Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche

 

03.02.2010, Erzbischof Albert Rouet

Pause während der Vollversammlung der französischen Bischofskonferenz in Lourdes, Anfang November 1993. Ich rauche draußen ruhig meine Pfeife und unterhalte mich mit einigen Mitbrüdern, da heißt es: »Der Nuntius will mit dir reden.« Ich war seit 1986 Weihbischof in Paris und wusste seit mehr als einem Jahr, dass ich für eine andere Aufgabe vorgesehen war, ohne schon Ort und Zeitpunkt zu kennen.

Die mir den Hinweis gaben, mochten sich ihren Teil denken, stellten aber keine Fragen. Das Gespräch mit dem Repräsentanten des Papstes war sehr kurz: »Also, es geht nach Poitiers. Der Bischof dort hat um einen Koadjutor gebeten.« Von mir aus! Ich habe gleich meine Zustimmung gegeben.

Von der Diözese Poitiers kannte ich nichts und niemanden außer ein paar romanischen Kirchen, Bischof Rozier und zwei Freunden, die dort gearbeitet hatten. Alles war neu zu entdecken. Noch zur Geheimhaltung verpflichtet, las ich einen Monat lang Bücher über die Geschichte des Poitou. Als Durchzugsgebiet war diese Gegend zu allen Zeiten auf starke menschliche Beziehungen angewiesen. Alles entscheidet sich hier auf der Ebene von Mensch zu Mensch, und darin liegt eine beachtliche Stärke. Es gab blutige Auseinandersetzungen: im Krieg zwischen Chlodwig und den Westgoten, in der berühmten Schlacht von Poitiers im Jahr 732, als Karl Martel den Vorstoß der Araber aufhielt, und im Hundertjährigen Krieg. Abgesehen davon verlief das Leben hier über Jahrhunderte ohne große Erschütterungen – wenigstens von Paris aus betrachtet. Denn bei näherer Beschäftigung mit der örtlichen Geschichte stößt man auf regionale Ereignisse, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind.

So haben die besonders unter Ludwig XIV. heftig tobenden Religionskriege im südlichen Teil der Diözese eine Kluft zwischen Katholiken und Protestanten aufgerissen. Aus dieser Zeit stammt eine tiefe Abneigung gegen jegliche Form religiösen Ausdrucks, zusätzlich geprägt durch freidenkerisches Selbstbewusstsein, das sich bei etwa einem Drittel der Bevölkerung heute noch bemerkbar macht. Der nördliche Teil des Départements Deux-Sèvres, der stark unter den Kriegen in der Vendée gelitten hat, wahrt bis heute einen Geist des Zusammenhalts und der Bereitschaft zu Initiativen. Das Poitou ist geografisch (Granit und Kalk) und geschichtlich sehr unterschiedlich gegliedert. Es hat all die Veränderungen durchgemacht, die das Leben auf dem Land erschütterten: Von den 750 000 Einwohnern der Diözese lebt rund die Hälfte in den drei größten Städten und deren Nahbereichen, also in Poitiers, Niort und Chatellerault. Abseits der Verkehrsadern geht die Bevölkerungszahl immer weiter zurück. Wie soll man da eine Synthese finden, die nicht schon vom Ansatz her in die Irre führt, indem sie all diese Verschiedenheiten nivelliert?

Nach einer Synode


Am 24. Januar 1994 komme ich in Poitiers an; bei der Feier der Amtseinführung überreicht man mir die Dokumente der Synode, die im November gerade zu Ende gegangen war. Zehn Jahre lang hatte Bischof Rozier sie intensiv vorbereitet. Zwischen 1988 und 1993 hatte der Synodenprozess die verschiedenen Gremien der Diözese in Bewegung gebracht. Die 604 Pfarreien waren schon in 74 Sektoren zusammengelegt worden ((Anm. d. Übers.) Vgl. »Der Sektor als pastorale Basiseinheit im Bistum Poitiers«.) (in der Zivilgesellschaft etwa einem Kanton entsprechend) und funktionierten dank eines Pastoralrats in jedem Sektor, dessen erstes Ziel es gewesen war, ein Projekt für die Pastoral des Sektors zu erarbeiten. Im Rat des Sektors waren vertreten: die Priester, die Diakone (ein Schwerpunkt der Diözese lag in der Förderung des Diakonats) sowie die Personen in den »durch Anerkennung übertragenen Dienstämtern«, also Laien mit schriftlicher Beauftragung für eine Aufgabe von übergeordneter Bedeutung (kategoriale Seelsorge, Organisation der Katechese u. a.). Die Sektoren waren jeweils einem der vierzehn »pastoralen Räume« (territoires) der Diözese zugeordnet. Soweit die räumliche Gliederung.

Die Verbände und Bewegungen nahmen an der Synode teil. Die Bewegungen der Action Catholique waren eine der wichtigen pastoralen Stärken
der Kirche von Poitiers. Dank ihnen hatten der Dialog der Kirche mit den Menschen, ihre Präsenz in der Welt und das Gespür für die Mentalität der
Leute eine besondere Lebendigkeit. Die Orientierungen der Synode waren von apostolischem Elan getragen.

Auf dem Weg zu e iner erneuerten Kirche Schließlich gab es die diözesanen Dienste für die unverzichtbaren Aufgaben wie Katechese und Liturgie, kategoriale Seelsorge, bis hin zu materiellen Belangen.

Diese verschiedenen Realitäten waren durch Diözesanräte beim Bischof vertreten. Die Räte gaben den einzelnen Aktivitäten eine diözesane Dimension. Diese ganze Organisation kann einem schwerfällig vorkommen! Sie hat aber drei Vorteile. Erstens: Die lebendigen Kräfte in der Diözese arbeiten konzertiert zusammen. Zweitens: Zwischen jedem Gläubigen und dem Bischof besteht theoretisch nur ein Vermittlungsglied. »Theoretisch« deshalb, weil immer noch viel kommunikative Mühe nötig bleibt, damit jeder Christ die Mitglieder der Räte kennt. Und Drittens erleichterte die zeitliche Begrenzung der Mandate (auf sechs Jahre), das heißt regelmäßige Wahlen, eine breite aktive Teilnahme.

Es gab folgende Gremien:
• Priesterrat,
• Rat für ökonomische Belange,
• Rat für die einzelnen Räume,
• Rat der Laien,
• Rat der Dienste,
• Pastoralrat der Jugend,
• Komitee für den Diakonat,
• Rat der Ordensschwestern,
• Rat der durch Anerkennung übertragenen Dienstämter.

Aus den Vorständen dieser Räte bildete sich der diözesane Pastoralrat, ein kohärentes und effizientes Gremium, an dem man sieht, dass Strukturen mit präzisen Regeln und spezifischen Zielvorgaben dem Leben einer Kirche durchaus dienen können.

Für einen Bischof ist es eine echte Gnade, wenn er in eine Diözese kommt und die Ergebnisse einer Synode verwirklichen darf. Indem er in eine lange Geschichte eintritt, wird er selbst von dieser Neuerung mitgetragen. Wenn man neu in eine Ortskirche kommt, hat man die Chance, sie als Gabe entgegenzunehmen – mit ihren Besonderheiten, ihren Reichtümern, ihrer Großherzigkeit, als eine Kirche, für die sich so viele Priester und Laien eingesetzt haben. Ihre Begrenztheiten sind dann nebensächlich! Hinzu kommt, dass der neue Bischof mit seinem Volk erst entdeckt, wie etwas so Originelles und Neues wie die synodalen Leitlinien ins Werk zu setzen sind. Alle stehen gemeinsam an der Startlinie.

Die Synode von 1993 hatte zwei Achsen für das Handeln vorgegeben. Sie stand für eine Kirche, die sie so definiert: »Mitten in der Welt, christliche Gemeinden, mit Priestern zum Dienst an ihnen«. An erste Stelle setzte die Synode die Mission der Christen, »Salz der Erde« zu sein, und zwar unter der Vorgabe, »als Gemeinden« gemeinschaftlich zu handeln, als Pfarreien, Equipen oder Gruppen. Die Synode berücksichtigte so die Tatsache, dass das Poitou Missionsland war; die Kirche konnte sich nicht mehr als identisch mit der Gesamtheit der Bevölkerung betrachten. Die apostolische Dimension erhielt den Vorrang. Zugleich wurden die christlichen Gemeinden zu Grundgegebenheiten erklärt. Der Priester stellte sich »in ihren Dienst«. Er war damit nicht mehr der allzuständige Chef, sondern ein Diener je nach der Art und Weise, wie sich die Christen in Gruppen zusammenfinden. Die den Laien zuerkannte Kraft zur Initiative gründete in den Sakramenten der Initiation und in den Strukturen der Gemeinschaftsbildung, die vor der Synode eingerichtet waren und durch sie bestätigt wurden: die Räume (territoires – in der Zivilgesellschaft etwa den elf ländlichen Arrondissements entsprechend, zu denen die drei Städte hinzukommen) und die Sektoren. In diesem Rahmen konnten die Gemeinden entstehen. Verbände und Dienste kamen in der größeren Einheit des Raumes hinzu.5 (Anm. d. Übers.) Vgl. »Der Sektor als pastorale Basiseinheit im Bistum Poitiers«. Hilfreich ist die aktuelle Information, dass die »Räume« oder territoires für die Pastoral kaum eine Rolle spielen, während die Sektoren (secteurs) die Grundeinheit sind. Im Übrigen verlieren die zivilen Organisationseinheiten, die zum Vergleich herangezogen werden (arrondissement für den Raum oder territoire, und canton für den Sektor oder secteur), an Bedeutung.

Galt die erste Handlungsorientierung den Gemeinden, beschrieb die zweite einen Rahmen für pastorale Gemeinschaft. Hier begegnet ein sehr altes konziliares und synodales Funktionsschema für die Kirche: das Dreierschema von Perspektiven (hier: Mission), Personen und Strukturen.

Umsetzung der synodalen Leitlinien

Was die Gemeinden angeht, so galt dem Verhältnis von Personen und Strukturen besondere Aufmerksamkeit. Man muss nämlich sorgfältig unterscheiden zwischen der Struktur, das heißt dem, was eine objektiv festgelegte Einteilung ist (in unserem Fall der Raum [territoire], der Sektor, die Pfarrei), und deren Funktionsweise, d. h. den lebendigen Beziehungen zwischen den Beteiligten. Dem Problem der Funktionsweise wurde die ganze Aufmerksamkeit gewidmet, weil hier eine entscheidende Weichenstellung stattfindet: Entweder folgt man der Schiene der Zentralisierung oder man verwirklicht eine Kirche der Gemeinschaft in der Sicht des Zweiten Vatikanischen Konzils. Hier galt es zu wählen. Die Umsetzung der Synodenbeschlüsse verlangt ein Handeln im synodalen Sinn, also mit Beteiligung von möglichst vielen und nicht in Entsprechung zu einer zentralisierenden Logik, die im Widerspruch zu dem von der Synode beschrittenen Weg liegen würde.

Wie jeder neue Bischof bin ich am Anfang erst einmal durch die Diözese gereist und habe die Bürgermeister besucht. Eine Frage wurde mir dabei immer wieder gestellt: »Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof?« Die Kommunen auf dem Land hatten erlebt, wie Straßenbahnen und Nebenstrecken der Bahn stillgelegt und Busverbindungen ausgedünnt wurden – mit Ausnahme der Schulbusse, was aber nur ein Zeichen war für die »pädagogische Neuordnung« durch Schließung zahlreicher Schulen. Postämter waren verschwunden. Einzelhändler in den Dörfern machten ihre Läden zu, Supermärkte zogen die Kunden in die Hauptorte der Kantone. Die Umgestaltung der ländlichen Gebiete – die vorschnell Landflucht genannt wird – verlangt höhere Mobilität. Menschen ohne Fortbewegungsmittel haben das Nachsehen. Zwar taten die Bürgermeister alles in ihrer Macht Stehende für das Leben der Bevölkerung und für ihre Kirchen, doch es herrschte in den Kommunen eine depressive Stimmung. Das ganze Gewebe menschlicher Beziehungen war im Begriff zu zerfasern.

Den Bürgermeistern – auch in den Städten – war durchaus klar, dass die Diözese nicht mehr in der Lage war, für jedes Pfarrhaus einen Priester zu entsenden, wobei man in den Städten noch davon ausgehen konnte, dass man immer einen Priester am Ort haben würde. In Ausnahmefällen konnte ein Bürgermeister sagen: »Bei uns gibt es noch alles, was wir brauchen: Bäcker, Lebensmittelhändler und Pfarrer!« Auch wenn er den Letzteren bestimmt seltener in Anspruch nahm als die beiden ersten! Die Sorge der zivilen Gemeinden ging an die Wurzeln. Hier klang durch: Wird uns nun auch noch die Kirche im Stich lassen? Wird auch sie sich wie die öffentliche Verwaltung und der Handel auf die Städte beschränken, die ohnehin schon alles haben, was sie brauchen? Wird auch sie sich an der Ausdünnung des Lebens beteiligen?

Das sind ernste Fragen: Darf sich die Kirche einer Logik der Rentabilität in der Verwaltung unterwerfen? Geht man zur Messe wie in einen Supermarkt, um sich zu besorgen, was man braucht, weitgehend anonym? – Eine ältere Frau meinte dazu: »Die Messe am Fernsehen ist ja was Schönes, aber es fehlen einem die anderen.« Sollte man das christliche Leben entsprechend der für die kommenden fünf Jahre zu erwartenden Priesterzahl auf die Städte konzentrieren und die Randgebiete vernachlässigen? In dieser Logik bliebe alles weiterhin auf den Priester hingeordnet wie zu Zeiten, als er der einzige war, der lesen, schreiben und reisen konnte. Das genaue Gegenteil zu den Orientierungen der Synode! Die grundlegende Frage ist hier, welches Gesicht die Kirche haben soll.

Keine Zentralisierung

Zu dieser Zeit gingen viele Diözesen an eine Neustrukturierung ihrer Pfarreien. Von ein paar Nuancen abgesehen, ist das Prinzip dabei identisch: das christliche Leben dort zu konzentrieren, wo ein Priester residiert. Ehemalige Pfarreien werden so zu Anhängseln oder Relais. (Anm. d. Übers.) Wörtlich: »Zwischenstation« zur Übernahme und Weiterleitung empfangener Botschaften, z. B. der Verstärkung beim Radio, der Weitergabe der Staffel beim Staffellauf. In vielen französischen Bistümern bezeichnet »Relais« Verbindungsstationen zwischen den zu einer Pfarrei zusammengelegten, nicht mehr selbständigen Gemeinden. So entsteht mehr als zweihundert Jahre nach der Zivilverfassung des Klerus (per Erlass wurde 1790 bestimmt, Pfarreien so einzurichten, dass ein Pfarrer für 6 000 Einwohner zuständig war) ein Netz aus Pfarreien nach zahlenmäßigen Vorgaben.

Der Vorteil für den Priester liegt auf der Hand: Er findet sich an der Spitze eines zentralisierten Gebildes wieder; von hier strahlt er aus. Aber klappt das so einfach? Ist es vernünftig, aufgrund einer zu erwartenden Priesterzahl Bezirke abzustecken, die weder in der Reichweite des ehrenamtlichen Engagements der Laien sind, noch berücksichtigen, dass menschliche Beziehungen Nähe herstellen wollen? Die Zusammenarbeit mit Laien, die nicht als ständige Mitarbeiter engagiert sind, geht davon aus, dass eine verheiratete, berufstätige Person rasch in ihrem Umfeld tätig werden kann, wie es der geringen Zeit entspricht, über die sie verfügt. Die »teilzeitbeschäftigten ständigen Mitarbeiter« zu erfinden, macht nur deutlich, wie sehr man immer noch von der Vorstellung des »vollzeitbeschäftigten Priesters « ausgeht.

Ein Priester kann nicht durch einen oder mehrere Laien ersetzt werden, schon gar nicht in Strukturen, die von Priestern für Priester konzipiert und von ihnen bestimmt sind. Eine Pfarrei, in der es im Lauf der Entwicklung zuerst zwei Priester gab, dann nur noch einen, danach eine Ordensschwester und schließlich eine Equipe von Laien, ist nicht mehr als eine rechtliche Fiktion. Man erhält eine Struktur aufrecht, die Sorge um das Leben darin hat sich durch den Übergang vom Weiheamt zu Laiendiensten jedoch in ihrem Wesen verändert.

Allerdings riecht hier noch viel nach der Macht des Priesters. Indem sein Territorium vergrößert wird, behält er die Aktivitäten im Griff, ähnlich wie wenn man den Kommunen einen Kanton überordnet. Ohne einen Wandel in der Funktionsweise erzeugt die Struktur fortwährend die Versuchung zur Macht. Sie »klerikalisiert« schon durch das, was sie ist. Ein Indikator dafür ist das Fehlen von Wahlen zugunsten von Kooptierungen. Durch Zentralisierung wird Macht verdichtet.

Auch den häufig verwendeten Begriff Relais sollte man hinterfragen. Demnach gäbe es voll funktionierende Gemeinden (Pfarreien) mit unbestimmter Repräsentation nach außen, aber ohne Konsistenz, außer der, woandershin zu verweisen. Wie soll diese »Zweistufenlogik« zu dem Satz Christi passen: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen« (Mt 18,20)? Für entlegene Orte bestellt der heilige Paulus selbst Älteste (vgl. Apg 14,23) nach dem Organisationsvorbild der Synagogen, wo zwölf Männer genügten, um eine Gemeinde zu bilden.

Pfarreien zusammenzulegen vereint die Überzeugten, diejenigen, die schon zum lebendigen Kreis der Kirche gehören. Durch Konzentrierung auf einen Punkt jedoch werden den anderen Orten Kräfte entzogen, die sie brauchen, um bestehen zu bleiben. Die Ungleichheit wird größer: Zentralisierung schwächt die Peripherie. Die nun zur Mitte gehören, fühlen sich dort sicherlich wohl. Aber die anderen? – Bei dieser Organisationsweise ist es wie bei einer ausverkauften Vorstellung: Sie gewinnt keinen einzigen Christen hinzu. In aller Klarheit: Um seinen Glauben zu leben, muss man hinausgehen, anderswohin.

Die vordringliche Frage betrifft offensichtlich nicht Zahlen oder Größe der Pfarreien. Sie betrifft ihre Funktionsweise. Die flächendeckende Einteilung in Pfarreien ist einst entstanden, um Nähe zu gewährleisten. Der Priester sorgte für das Leben der Pfarrei und das gereichte ihm zur Ehre. Heute ist dieses Modell nicht mehr haltbar: Welchen Unterschied macht es denn für einen Priester, ob er sich um siebzehn Kirchtürme kümmert oder ob er im selben Gebiet eine einzige neue Pfarrei verwaltet – mit einem Dutzend Relais? Räumt man damit nicht implizit ein, dass ganze Gruppen von Menschen, die imstande sind, einen zivilen Gemeinderat oder einen Verein zu leiten, unfähig wären, eine christliche Gemeinde am Leben zu erhalten? – Das Modell ›Pfarrei‹ ist immer noch am weitesten verbreitet. Es ist aber nicht das alleinige: Der Kanon 516 sieht vor, dass der Diözesanbischof, »wenn irgendwelche Gemeinschaften nicht als Pfarrei oder Quasipfarrei errichtet werden können, […] für deren Seelsorge auf andere Weise Vorkehrungen zu treffen« hat.

Der berühmte und so oft angewendete Kanon 517 §2 gestattet, dass Laien an der Verantwortung für die Pastoral beteiligt werden. Diese Erlaubnis führt ebenso in eine Sackgasse: Entweder erfolgt die Beteiligung an der Verantwortung für die Pastoral so, als ob es nur das priesterliche Dienstamt des Pfarrers gäbe – eine Vorstellung, die offenkundig unhaltbar ist angesichts des vielfältigen pastoralen Engagements jenseits des flächendeckenden Prinzips. Oder es wird eingeräumt, dass es sich nur um eine für Notzeiten vorgesehene und damit letztlich unbefriedigende Zwischenlösung handelt. Warum sollte man aber bei einer kirchlichen Funktionsweise bleiben wollen, die unmöglich aufrechtzuerhalten ist? Trotz aller Mahnungen und Notfallmaßnahmen gelangt das Modell Pfarrei an die Grenze seiner Möglichkeiten. Wenn man befürchtet, dass die Laien nicht zum pastoralen Handeln fähig sind, warum firmt man sie dann? Sollten sie Unmündige in der Kirche bleiben?

An dieser Stelle sei sofort und mit Nachdruck betont – später werden wir darauf zurückkommen –, dass es hier keineswegs darum geht, eine Kirche ohne Priester einzuführen. Wer befürchtet, hier wolle man sich organisieren, um ohne Priester auszukommen, der verwechselt einen vom Trienter Konzil übernommenen Typ des Dienstamtes, der allmählich obsolet wird, mit dem unverzichtbaren priesterlichen Dienstamt, für das man notwendig andere Formen der Ausübung finden muss. Daran festzuhalten, dass es keine Kirche ohne Priester gibt, sagt nichts darüber, wie viele Priester nötig sind und mit welcher Mission. Was die Pfarrei betrifft, so bedarf auch sie eines Gestaltwandels. Vom Übergangsort (gemäß dem Sinn des griechischen Ursprungswortes par-oikia) ist sie zu einer Pfründe geworden, schließlich zu einem Wohnsitz! Kann sie den dringenden Funktionswandel leisten, den die Gegenwart ihr abverlangt? Kann sie sich vor allem von dem überholten Zierrat befreien, um offener für die heutige Situation zu werden? Das Bild vom Kirchturm auf dem Hügel mit dem Pfarrhaus in seinem Schatten samt Garten des Pfarrers spukt noch immer in der Vorstellungswelt der Franzosen mit ihren 36 000 Pfarreien. Ein anderes Bild kommt mir dabei in den Sinn: Unbeschrankte Bahnübergänge werden heute noch durch eine stilisierte Dampflokomotive angezeigt, dabei hat die SNCF (Société Nationale des Chemins de Fer) seit nahezu vierzig Jahren keine Dampflok mehr im Einsatz!

Andere Orte, andere Organisation

Nach meiner Rundreise durch die weitläufige Diözese musste ich mich der Realität stellen. – Und ab hier sage ich »wir«, weil im Nachfolgenden das Ergebnis gemeinsamer Arbeit beschrieben ist. Beispiele anderer Länder zeigen uns Modelle einer ganz anderen Funktionsweise. In Lateinamerika, in der Karibik, in Südostasien, in Afrika. Tausende von Christen sind anders organisiert, in Basisgemeinden, in Wohnviertelgemeinden, in Basisgruppen. Diözesen mit mehreren hunderttausend Einwohnern haben weniger als dreißig oder gar zwanzig Priester, die weniger überlastet erscheinen als die Priester bei uns in Frankreich. Christen – immer zusammen mit einem Priester – sorgen für das Leben aktiver, engagierter, frohgemuter Gemeinden. Keine Klagelieder über einen Rückgang! Weil sie die Organisation, die für unsere Vergangenheit bestimmend war nie gekannt haben, waren sie auch nie in Versuchung zu meinen, Christus habe sie im Stich gelassen!

Es geht hier nämlich um ein echtes Glaubensproblem. Wenn man das Leben der Kirche mit einer kontingenten Organisation verwechselt, so wie man die Eroberung Roms durch die Barbaren für das Ende der Welt (und nicht nur einer Epoche) hielt, erscheint die Armut als völliges Aufgegebensein, als Gottverlassenheit. Um die Strukturen von gestern beizubehalten, ist man zu allen Tricks bereit: Man findet Ersatzlösungen, lockert beispielsweise die Anforderungen bei den Kriterien für die Priesterweihe (Hauptsache fromm!). In solchen Fällen gilt die Armut als Katastrophe: Was wird da aus der ersten Seligpreisung?

Glaubt man hingegen, dass Christus uns treu bleibt und dass das Ende einer Struktur nicht schon den Tod der Kirche bedeutet, dass Gott dieser Kirche die Arbeiter zugesteht, die sie heute benötigt, dann öffnet die Hoffnung die Tür zum Erfindungsgeist. Anders gesagt: Sie öffnet die Tür zum Vertrauen. Die Christen sind eingeladen, miteinander so umzugehen, wie Gott mit ihnen umgeht: mit Vertrauen.

Was ist die Kirche? Drei Verantwortlichkeiten

Nun rückte eine Frage für uns ins Zentrum: Was ist nötig, damit Kirche existiert? Die Antwort muss von ihren zentralen Verantwortlichkeiten ausgehen: Zeugnis, Gebet und Dienst. Ohne die Glaubensverkündigung, zu der die Apostel ausgesandt sind, gibt es dem Evangelium zufolge keine Kirche. Ohne das Gebet des Lobes und der Fürsprache im Geist Christi gibt es keine treue Kirche. Ohne Dienst an den Menschen und vor allem ohne den Blick für die, die das Leben verwundet, gibt es keine Kirche der Diener Gottes.

Diese kirchlichen Verantwortlichkeiten gelten auch für jeden einzelnen Christen. Um ihre Ausübung zu ermöglichen, ist mit den Weiheämtern der dreifache Auftrag verbunden: zu lehren, zu leiten, zu heiligen. Auch wenn es dabei Überschneidungen gibt, können zwei Gruppen von Funktionen unterschieden werden. Die gesamte Kirche hat den Auftrag, den Glauben zu verkünden: »Alle werden mich erkennen« (Jer 31,34). Der Geist, ausgegossen über alles Fleisch, verleiht jedem eine besondere Gotteserkenntnis, die nur danach verlangt, mit anderen geteilt und durch ihre Erfahrung bereichert zu werden. Die Lehre vom Weiheamt ist nicht dazu da, die Erkenntnisfähigkeit der Laien für unfruchtbar zu erklären und sie mehr oder weniger ausdrücklich einer Gruppe von Schriftgelehrten vorzubehalten. Der Träger des Weiheamtes bringt als Lehrer sein Wissen in die Gemeinschaft der gesamten Kirche mit ihren verschiedenen Kulturen und im Einklang mit ihrer Tradition ein. Auch der Auftrag zur Leitung des Volkes gewinnt umso mehr an Bedeutung, je erwachsener dieses Volk sich verhält. Was den Dienst der Heiligung betrifft, so profitiert der Priester vom religiösen Gespür seiner Gläubigen. Die Beziehung zwischen den drei Verantwortlichkeiten der ganzen Kirche (den Glauben verkünden, beten, dem Menschen dienen) stehen nicht in Konkurrenz zu den drei Beauftragungen der Weiheämter. Sie stehen eher komplementär als konträr zueinander. Gleichwohl liegen sie nicht auf derselben Ebene. Nicht die kirchlichen Verantwortlichkeiten müssen sich in den Dienst der priesterlichen Beauftragungen stellen, sondern genau umgekehrt: Das Dienstamt dient dem Leib Christi, damit dieser uneingeschränkt seine dreifache Verantwortung in der Gemeinschaft eben dieses Leibes auszuüben vermag, in Treue zu Christus, dem Haupt der Kirche (Eph 1,22).

Es geht also regelrecht um eine kopernikanische Wende: Nämlich um den Übergang aus dem Zustand, in dem Laien als fleißige und tüchtige Mitarbeiter um den Priester kreisen, um »dem Herrn Pfarrer zu helfen«, hin zu dem Status wirklicher, verantwortlicher Gemeinden – mit einem Priester zu ihrem Dienst, der von Gemeinde zu Gemeinde geht und sich für jede Zeit nimmt.

Den Glauben verkünden

An dieser Stelle sollten wir den Inhalt der Verantwortlichkeiten noch mehr präzisieren, die die Kirche konstituieren. Glaubensverkündigung ist mehr als Katechismusunterricht für Kinder! Manchmal muss man alterfahrenen Katechetinnen und Katecheten erklären, wieso ihre Arbeit mit den Kindern nur einen Teil der Verkündigung ausmacht. Verkündigung richtet sich an Jugendliche und Erwachsene. Sie umfasst Bildungsarbeit, Vereine und Verbände mit ihrem je eigenen Glaubenszugang (man denke an die auf Kinder spezialisierte Action Catholique oder an die christliche Landjugendbewegung u. a.), wie auch das Erwachsenenkatechumenat! Man muss einmal erlebt haben, wie überrascht und fassungslos eine Gemeinde reagiert, wenn ein Erwachsener um die Taufe bittet! Und doch gibt es kaum eine Erfahrung, die eine Gemeinde in ihrem Glauben mehr voranbringt als die Begleitung eines Katechumenen.

Es liegt auf der Hand, dass solche Aufgaben die Kräfte Einzelner übersteigen. Zweierlei erschien uns sehr bald als notwendig: Zum einen die Arbeit in und mit Equipen. Wenn jemand Verantwortung übernimmt, besteht seine erste Pflicht darin, dass er seine Equipe aufbaut und damit – das ist die andere Notwendigkeit – die Aufgaben differenziert (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) und nach den Möglichkeiten der Beteiligten aufteilt. So etwa: »Haben Sie alle vierzehn Tage eine halbe Stunde zur Verfügung? Einverstanden! Aber eine halbe Stunde sind genau dreißig Minuten: Sie wagen sich in ein zeitaufwändiges Unternehmen hinein!« Das setzt voraus, dass der Verantwortliche vor allem als Leiter der Equipe agiert, und nicht als einer, der alles selbst in die Hand nimmt. Er muss also andere rufen, die mit ihm arbeiten! Diejenigen, die mit der Glaubensverkündigung beauftragt sind, erteilen nicht unbedingt selbst die Katechese, sondern sie arbeiten vielmehr darauf hin, dass die Katechese Sache der Gemeinde wird.

Beten und dem Menschen dienen

Beten meint weit mehr als die Arbeit in einem Liturgiekreis, der die Sonntagsmesse vorbereitet oder die sonntägliche Sammlung der Gemeinde, wenn der Priester fehlt oder noch erwartet wird. ADAP (Assemblée dominicale en l’absence de prêtre ou en attente de prêtre) ((Anm. d. Übers.) Wörtlich: Sonntägliche Versammlung in Abwesenheit oder Erwartung des Priesters.)ist ein schrecklicher Ausdruck. Christen finden sich zusammen um zu beten, denn der Sonntag ist der Tag des Herrn, Tag der Schöpfung und der Auferstehung – der Tag, an dem wir das ankommende Gottesreich feiern! Daneben gibt es andere Formen des Betens. Die Gemeinde beginnt, sich darauf zu besinnen, was ihr beigebracht worden ist: Rosenkranz, Marienmonat u. a. Man kann feststellen, wie sehr das gemeinschaftliche Leben, wenn es nah bei der Bevölkerung gelebt wird, nach und nach das Gebet nährt. Den Rosenkranz betet man ganz anders, wenn man damit Fürbitten für die Nachbarn verbindet. Die Equipe sorgt dafür, dass die Kirche geöffnet ist, denn man muss unbedingt hereinkommen und in ihr beten können. Die Kirche ist ein lebendiger Bau. Die Equipe schmückt sie und richtet sie so ein, dass in ihr auch dann gebetet werden kann, wenn wenige da sind. Immer häufiger bietet diese Equipe einen Tag des Gebets in einem der sechs Klöster der Diözese an, die diese Initiativen geschwisterlich unterstützen.

Damit kommen wir zu der Verantwortung für die Nähe oder den Dienst am Menschen. Gerade da ist angesichts der großen Bedürfnisse eine Equipe unerlässlich: Not umgibt uns von allen Seiten, unauffällig und in immer neuen Gestalten. Eine der grausamsten Formen von Armut auf dem Land ist die Isolation. Besuche bei alleinstehenden Menschen gehören zu den Hauptaufgaben der Equipe für den Dienst der Nähe, ebenso die Begleitung von Kranken. Dann ergibt es sich wie von selbst, dass diese Equipe und die Gebetsequipe die Gemeinde bei Beerdigungsfeiern repräsentieren und schließlich auch Beerdigungsgottesdienste leiten. Das wird umso leichter verstanden und akzeptiert, je mehr die Beziehungen zu den Familien selbstverständlich geworden sind.

Drei Aufgaben, die anvertraut werden

So viel zu den drei Verantwortlichkeiten, ohne die es keine Kirche gibt. Bevor man Personen dafür bestimmt, sollten die Fundamente kirchlichen Lebens klar sein: Es geht nicht zuerst um eine Struktur, es gilt zurückzukehren zu dem, was die Kirche in ihrem Wesen ausmacht. Damit geht es um eine Bekehrung hin zu dem, was das Evangelium den christlichen Gemeinden als das Radikalste offenbart. Wir können nicht genug betonen, dass wir nicht in erster Linie ein neues Organisationssystem im Blick haben, sondern die Menschen; und vor den Menschen das, was das Wesen der Kirche in seiner Besonderheit ausmacht. In ihrem Innersten lebt die Kirche nicht nur, wenn sie viele Mittel und Menschen besitzt; sie lebt dann, wenn sie den Glauben verkündet, ihren Herrn feiert und der Menschheit dient – und das auch dann, wenn sie von außen betrachtet als kleine Herde erscheint (vgl. Lk 12,32).

Wie werden die drei Personen bestimmt, die mit diesen Verantwortlichkeiten betraut werden? Es ist klar, dass die Antwort auf diese Frage sich auch auf die Equipen auswirkt, die jede dieser Personen umgeben. Ein paar methodische Anmerkungen sind vorab nötig: Sehr früh haben wir gemerkt, dass nichts so sehr zur Erstarrung führt, wie wenn Aufgaben für unbestimmte Zeit übernommen werden. Wenn in einer Pfarrei die Katechese seit siebzehn Jahren von ein und derselben Person erteilt worden ist, kann man getrost davon ausgehen, dass sich für sie kein Ersatz finden wird. Kein Freiwilliger wird bereit sein, sich auf einen nicht terminierten Vertrag einzulassen! Daher der Beschluss, dass jede Beauftragung für drei Jahre übertragen wird und nur einmal um drei Jahre verlängert werden kann.

Des Weiteren empfiehlt es sich, die Aufgaben genau zu beschreiben. Niemand tut alles. Jeder soll wissen, wofür er oder sie sich engagiert. Innerhalb des Rahmens seiner so konkret wie möglich beschriebenen Verantwortlichkeit jedoch hat jeder einen großen Spielraum für eigene Initiativen und Kreativität, unter der einen Bedingung, dass er oder sie mit den anderen im Gespräch ist.

Schließlich versteht sich auch, dass die Verantwortlichkeiten innerhalb einer Equipe nach Erfordernissen und Verfügbarkeiten aufgeteilt oder miteinander verbunden werden können. Flexibilität ist geboten, damit Laien, die Familie und Beruf haben, Raum bekommen.

Je mehr Vertrauen man nämlich in die Menschen setzt, desto genauer muss eine Verfahrensweise den Rahmen festlegen. Nicht um das Vertrauen dann doch wieder einzuschränken, sondern um Menschen nicht zu strapazieren und ihre Großzügigkeit nicht zu missbrauchen und um die Kontinuität der Arbeit jenseits individueller Begabungen zu gewährleisten. Die Exaktheit der Aufgabenstellung ist eine Garantie für Zukunft und Weiterentwicklung.

Im Übrigen nimmt die Bestimmung zu den drei Beauftragungen viel von dem auf, was in der Apostelgeschichte berichtet wird (für die Bestimmung der Missionare durch die Gemeinde von Antiochien vgl. Apg 13,23) und von der paulinischen Lehre über die Charismen (vgl. Röm 12; 1 Kor 12). Wir sind überzeugt, dass es keinen Christen gibt, der unnütz ist oder unfähig, etwas beizutragen. Durch den Geist hat jeder für das Wohl aller wenigstens eine Qualität, eine Gabe, ein Charisma empfangen (vgl. 1 Kor 4,7). Dieses Charisma muss von denen anerkannt werden, die für dieses Gebiet beauftragt wurden.

Der Pastoralrat des jeweiligen Sektors unter Vorsitz des für den Sektor verantwortlichen Priesters erkennt daher ausdrücklich an, dass diese Menschen fähig sind, diese Aufgaben zu erfüllen. An dieser Stelle haben wir das Wort Funktion vermieden, um so zu zeigen, dass eine Gemeinschaft von Personen den Vorrang vor der Organisation eines Systems hat. Der Rat des Sektors spricht die Anerkennung aus, das heißt, er ist es auch, der ruft. Und dieser Ruf bringt etwas in dem Menschen, an den er ergeht, in Bewegung, auch wenn dieser ihn aus gutem Grund nicht annimmt. Der Ruf bewegt das Herz.

Zwei Verantwortliche, die gewählt werden

So viel zu den drei konstitutiven Beauftragungen. Zwei weitere müssen noch dargestellt werden. Es ist normal unter Menschen, in der Kirche und anderswo, dass sie über ihre materiellen Belange Bescheid wissen und verantwortlich damit umgehen. Man braucht keine Priesterweihe, um zu wissen, wo man Hostien kauft, wer eine Kirchturmuhr repariert oder wo die Schlüssel für die Lautsprecheranlage aufbewahrt werden. Das Evangelium verbietet keinem erwachsenen Menschen, ein Messbuch oder eine Altarkerze zu kaufen, ohne vorher viele und komplizierte Genehmigungen einzuholen! Ohne böse Absicht, nur einfach aus Gewohnheit, waren wir genau da angelangt!

Eine verantwortliche Gemeinde muss imstande sein, ihr materielles Leben selbst zu verwalten, also Einkünfte (eigene und für die Diözese) zu buchen und die laufenden Ausgaben für ihr Leben zu bestreiten. Da sie die sehr hohen Kosten für notwendige Investitionen oder Reparaturen nicht selbst tragen kann, liegt die Zuständigkeit hierfür beim Sektor. Materielle Belange, das sind Dinge wie Instandhaltung, Einhaltung von Sicherheitsnormen, Versicherungen, Beziehungen zu den Kommunen, die Eigentümer der Kirchengebäude sind und als solche vom zuständigen Pfarrer in die Pflicht genommen werden (in diesem Punkt ändert sich selbstverständlich nichts), und Beziehungen zu den Sektoren, die die gemeinsamen Mittel verwalten. Jede Gemeinde hat einen Eigenfond für die laufenden Kosten.

Für diese Aufgaben ist der Schatzmeister (oder Verantwortliche für die materiellen Belange) die Kontaktperson zwischen der Gemeinde und der zivilen Gesellschaft. Die Anerkennung, die er zur Ausübung seiner Aufgabe braucht, reicht über den Rahmen seiner Gemeinde hinaus. Deshalb wird er gewählt. Die Wahlen werden vom Pastoralrat des Sektors organisiert und in den Einzelheiten geregelt. Man kann beobachten, dass sich an solchen Wahlen auch diejenigen beteiligen, die sonst kaum aktiv sind, diese Neuerung aber interessant finden. Aus demselben Grund nimmt die Wahlbeteiligung bei der Erneuerung der Equipen zu.

Glaubensverkündigung, Gebet, Dienst am Menschen, materielle Belange – mit all diesen Beauftragten muss nun eine wirkliche Equipe gebildet werden. Das ist die Aufgabe des Pastoralbeauftragten (Délégué pastoral). Seine oder ihre erste Aufgabe ist nicht – bloß nicht! – alles zu tun oder alles zu bestimmen; seine bzw. ihre erste Arbeit besteht darin, der Gemeinschaft zwischen den Verantwortlichen und den übrigen Gemeindemitgliedern zu dienen. Er repräsentiert seine Gemeinde gegenüber dem Sektor und den zivilen Behörden, deshalb wird auch er gewählt. Dafür ist er »delegiert«, er kann nur nicht Pastoralbeauftragter und Bürgermeister seiner Kommune zugleich sein. Da es sich um eine kirchliche und damit pastorale Tätigkeit handelt, ist er der Repräsentant des Priesters der Gemeinde bei den bürgerlichen Instanzen.

Die Basisequipe

Damit ist nun die Basisequipe konstituiert, die unabdingbare Grundlage einer örtlichen Gemeinde. Sie ist nicht die örtliche Gemeinde. Sie ist die Equipe, die für das Leben der Gemeinde verantwortlich ist. In die Equipe wird notwendig ein vom Bischof ernannter Priester entsandt. Auf die Aufgabe dieses Priesters gehen wir später ein. Die fünf Basisaufgaben können jeweils auch Ehepaare ausüben. In zahlenmäßig größeren Gemeinden kann der bzw. die Verantwortliche für eine Aufgabe einen Stellvertreter hinzu nehmen. Zugleich werden nun für jeden Verantwortungsbereich mehrere Equipen gebildet: Auch in kleineren Gemeinden engagieren sich auf diese Weise an die zwanzig Personen. Aus diesen ausdifferenzierten Equipen stammen oft diejenigen, die bei der Erneuerung der Basisequipe als Verantwortliche gewählt werden. Zahlreiche Personen aus den Basisequipen sind zugleich im zivilen Leben engagiert. Manch einer findet durch den Ruf in die Basisequipe den Weg zur Kirche.

Dieser letzte Punkt ist von Bedeutung: Jeder Verantwortliche hat die Mission, Menschen zu rufen, die mit ihm zusammenarbeiten. Auf diese Weise breitet sich in einer Kirche, die ruft, weil sie selbst gerufen ist, eine Kultur des Rufens aus. Und vor allem: Bei solchem Vorgehen fällt besonderes Augenmerk auf das, was wir den zweiten Kreis nennen. Damit sind diejenigen gemeint, die im Umfeld des durch die Gemeinde gebildeten ersten Kreises am Glauben interessiert sind, ohne als sogenannte Praktizierende erkennbar zu sein. Sie sind bereit, irgendwo mitanzupacken und warten oft nur darauf, dass die Kirche sie um etwas bittet. Da öffnet sich eine apostolische Dimension, die nach allen Erfahrungen mehr Ressourcen birgt als man glauben möchte.

... für ein Gebiet

Wenn die Basisequipe gebildet ist, legt der Rat des Sektors ihren Wirkungsradius fest. Davon hat er natürlich am Anfang des Projekts schon eine Vorstellung! Jetzt muss aber entschieden werden. Der Radius einer örtlichen Gemeinde muss groß genug sein, um fünf Verantwortliche für die Basis equipe zu finden. Er wird also von Personen und nicht von Kirchtürmen bestimmt. Dabei ist es dann zweitrangig, ob von den bisherigen Pfarreien eine einbezogen wird oder zwei oder drei oder noch weitere. Die kleinste örtliche Gemeinde umfasst ein Dorf mit 163 Einwohnern und erweist sich als sehr lebendig. Zur größten gehören acht Kommunen mit nahezu 4 000 Einwohnern – dort haben die Leute darauf bestanden, zusammenzubleiben.

Hier spielt der Einfluss der örtlichen Geschichte mit. Unter Umständen haben zwei Nachbardörfer überhaupt keine Beziehungen zueinander, während andere schon lange zusammenarbeiten. Daher muss man zulassen, dass die Festlegung des Gebiets einer Gemeinde nicht einfach auf dem Verwaltungsweg erfolgt, sondern sich aus der Geschichte einer betroffenen Bevölkerung ergibt, die gerufen ist, sich durch eigene Gremien an der Festlegung zu beteiligen. Auf jeden Fall muss das Gebiet lebendigen menschlichen Beziehungen entsprechen. Sonst können diese nicht fruchtbar werden.

Die Idee der örtlichen Gemeinden setzt also auf ein vorhandenes Miteinander christlichen Lebens und auf die reale menschliche Situation am Ort. Fehlt es einem Dorf an einem Minimum an Miteinander (und wie viel Gehässigkeiten gibt es mancherorts!), dann wird es schier unmöglich, eine Gemeinde zu errichten, ohne zuvor nicht auf ein Mindestmaß an Versöhnung hinzuarbeiten – ein oft harter Weg der Umkehr! Es sollte vermieden werden, dass es in einem Sektor auf längere Zeit nur eine einzige Gemeinde gibt – mit wem sollte sie sich austauschen? Ebenso sollte das Gebiet einer Gemeinde sich besser nicht völlig mit dem Gebiet decken, das bisher einem Priester anvertraut war. Sonst stellen sich rasch die alten Gewohnheiten wieder ein! Gestern bekamen diese Dörfer ihren Pfarrer. Heute müssen sie sagen, wie sie ihr Zusammensein, um das Evangelium zu leben, verstehen.

Welche Reaktionen gab es zu Anfang?

Ehe wir in den Ereignissen fortfahren, möchte ich noch auf zwei Punkte hinweisen. Der erste Punkt betrifft die Reaktionen der Leute. Sie drücken praktisch einhellig ihre Nichtzuständigkeit bzw. Unfähigkeit aus: »So was ist nichts für uns.« – »Hier gibt es doch niemanden, der das macht.« – »Das schaffen wir nie.« – »So etwas können wir nicht.« Einmal abgesehen von einem normalen Maß an Schüchternheit und Zurückhaltung, bleiben doch zwei merkwürdige Empfindungen. Die erste ist der traurige Tatbestand, dass Leute, die anderweitig ihren Beruf ausüben, in Vereinen mitmachen, in einem Gemeinderat sitzen, in der Kirche ganz spontan den Ort ihrer Nichtzuständigkeit bzw. Unfähigkeit sehen, an dem sie unmündig bleiben. In der Kirche hat man zu folgen. Man hilft allenfalls mit. Aber aus ihrer Sicht ist sie weder ein Bereich für eigene Initiativen noch für normale Übernahme von Verantwortung. Die von ihnen empfundene Unfähigkeit bzw. Nichtzuständigkeit kommt als erstes hervor, wie eine erwiesene Tatsache, Folge einer lang andauernden Passivität.

Lange Jahre haben Menschen ihre Kräfte verbraucht, um Priestern zu helfen und zu Diensten zu sein. Ihre ausdauernde und treue Beharrlichkeit hat niemandem Mut gemacht, ihre Aufgabe zu übernehmen. Einen solchen Dienst mag man bewundern, aber er bringt keine Freiheit in der Kirche hervor.

Eine zweite Empfindung hat mit dem Eindruck zu tun, dass alles nur zurückgeht, dass in der Kirche alles an Elan verliert, alles immer schneller abstirbt. Es fehlt an Priestern, an Ordensschwestern, an ständigen Mitarbeitern; wenn es schon nicht anders geht, versuchen wir es also ein letztes Mal!

Diese beiden schmerzlichen Empfindungen hinterlassen die Frage nach dem realen Zustand des Volkes Gottes. Was hat es wohl in eine solche Passivität und Untertänigkeit geführt? Es genügt nicht, wenn man sich mit ein paar Unentwegten oder einigen besonders aktiven Katecheten tröstet, die sich im Übrigen selbst von den anderen in der Gemeinde im Stich gelassen fühlen. Allen wurde doch das Sakrament der Firmung gespendet. Was ist daraus geworden? Ist es nicht ein Widerspruch, die Firmung zu spenden, die Christen aber nicht wirklich als Erwachsene zu behandeln? Der Chef eines Unternehmens, der aktiver Christ ist, steht mit weniger Rechten vor seinem Pfarrer als ein junger Mönch vor seinem Prior. Die Leute reagieren sehr überrascht, wenn man ihnen sagt, dass der Priestermangel Anlass zur Gründung der örtlichen Gemeinden gibt, aber nicht der eigentliche Grund ist.

Selbst wenn wir viele Priester hätten wäre es normal, diese Gemeinden zu konstituieren, und zwar aufgrund der Sakramente der Initiation.

Zerbrechlich mögen die örtlichen Gemeinden sein; aber erinnern wir uns doch daran, dass von den zwölf Aposteln, die Christus gerufen hatte, der erste ihn verleugnet, ein anderer ihn verraten und verkauft hat und die zehn übrigen ihn im Stich gelassen haben! Schlimmer kann man es kaum machen. Alles ruht auf dem Vertrauen, das Gott uns schenkt und auf dem, was daraus folgt: dass wir einander mit dem Vertrauen begegnen, das wir empfangen haben.

Der zweite Punkt, auf den ich hinweisen möchte, betrifft den grundlegenden Unterschied zum bisherigen Pfarrleben. Die Gründung der Pfarreien hat die Christen und ihren Priester unter dem Gesichtspunkt einer räumlichen Nähe zusammengeführt. Die Pfarreien boten eine starke ortsgebundene Identifikation, die bei Taufen und Bestattungen heute noch zur Geltung kommt, selbst für diejenigen, die weit weggezogen sind. Der Charakter der Pfarreien als juristische Personen garantiert das Recht, mit einer eigenen Identität und mit eigenen Gütern zu existieren, die sich niemand einfach aneignen darf; selbst wenn die Pfarrei weniger als 300 Mitglieder hat, was für 44% der Pfarreien unserer Diözese der Fall ist.

Heute muss man sich die Folgekosten einer solchen Institution klar machen. Räumliche Nähe bedeutet nicht mehr dasselbe, wenn alle Straßen asphaltiert und überall Telefone installiert sind. Kleinräumige Nähe kann zur Zersplitterung führen, die dem kirchlichen Leben in Gemeinschaft abträglich ist, es sei denn, man meint, dass dafür der Priester allein ausreichend ist. Die einst aus den Pfarreien hervorgegangenen Kommunen erleben heute dieselben Schwierigkeiten, wenn sie Kommunalverbände gründen. Was bleibt, sind Pfarreien, deren Güter in keinem Verhältnis zu ihren wirklichen Bedürfnissen stehen, die sie aber eifersüchtig und nutzlos im Sparstrumpf hüten. Man wird also fragen dürfen, ob die Pfarrei mit ihrer alten Funktionsweise den heutigen Bedürfnissen wirklich entspricht, die geprägt sind von größerer Mobilität, ständigen Veränderungen und der zunehmenden Bedeutung von Beziehungen.

Sektor und örtliche Gemeinden

Damit kommen wir zu einer weiteren wichtigen Überlegung zum Verhältnis zwischen den örtlichen Gemeinden und ihrem pastoralen Sektor. Der Sektor hat die Aufgabe, das Leben der Gemeinden zu fördern, aus denen er besteht; das macht ihn zur pastoralen Grundeinheit der Diözese. Er dient den Beziehungen der örtlichen Gemeinden untereinander. Ein Zeichen für diese Geschwisterlichkeit, an das wir gar nicht gedacht hatten, ist die spontane Selbstverständlichkeit, mit der schon errichtete Basisequipen an der Errichtung einer neuen Gemeinde teilnehmen. Der Sektor kann nicht alles leisten, eine Gemeinde auch nicht; sie ist keine neue Pfarrei. Die Katechese beispielsweise geschieht alternativ teils in der örtlichen Gemeinde teils im Sektor nach einem vom Pastoralrat festgelegten Rhythmus. Das Gegenüber von Sektor und Gemeinden im ständigen Austausch ist Quelle von Lebendigkeit und Zeichen geschwisterlicher Gemeinschaft. Im Sektor gibt es umso mehr Leben, je lebendiger die örtlichen Gemeinden sind. Der Sektor seinerseits belebt die Beziehungen zwischen den Gemeinden.

Nach dieser ausführlichen Behandlung möglicher Einwände und den Hinweisen zu ihrer Beantwortung bleibt einfach anzuerkennen, dass es keinen Ort gibt, der so arm an Menschen und Mitteln wäre, dass man dort keine Basisequipe konstituieren könnte. Es sind nicht die Christen, die fehlen, was fehlt ist das Vertrauen, das man ihnen entgegenbringt. Das Projekt bleibt im Übrigen sehr anpassungsfähig: Es erlaubt einer ehemaligen Pfarrei hinzuzukommen. Eine verarmte Gemeinde kann sich mit einer anderen zusammentun (in sieben Jahren gab es zwei solcher Fälle), eine allzu große Gemeinde lässt sich aufteilen (was bisher einmal geschehen ist). Am Ende jeder Wahlperiode, alle drei Jahre also, wird hierzu die Situation neu überprüft.

Und wie steht es um das Alter der Verantwortlichen? Die Frage stellt sich unweigerlich. Dazu folgende Präzisierung: Die Basisequipen bestehen etwa zu 60% aus Frauen und zu 40% aus Männern; 60% der Mitglieder sind 60 Jahre alt und älter. Man muss aber hinzufügen, dass allmählich auch immer mehr Jüngere hinzukommen, nachdem die Aufgaben genau definiert sind und ihre Dauer befristet ist. Mehr als das Alter zählt hier die Hoffnung, die die Menschen beseelt. Jedes Mal bei der Erneuerung einer Equipe ist eine deutliche Tendenz der Verjüngung zu beobachten.

Die Errichtung

Wenn soweit alles geregelt ist, findet die Errichtung durch den Bischof oder den für den Bereich zuständigen Bischofsvikar statt. Anlass zu neuen Diskussionen! »Warum jetzt noch eine Errichtung, wo wir doch schon aktiv sind?« – »Wozu eine Eröffnungsfeier, wo wir öffentlich in Erscheinung treten – die Dienste werden doch längst getan?« – Die Einwände verlangen nach Antworten!

Zur ersten Frage: Worauf es grundlegend ankommt, ist der Übergang vom Helfen zur Übernahme von Verantwortung. Oder anders gesagt, vom guten Willen zum Ruf. Gewiss, auch bisher gab es Katecheten, fegten Leute die Kirche oder zählten das Kollektengeld, gab es einen Chor und Gruppen, die den Rosenkranz beteten. Und gut, dass es so war! Genauso gab es die Gruppen der Action Catholique (beispielsweise Chrétiens en monde rural). Solche meist mit viel Einsatzbereitschaft entstandenen Initiativen wurzelten aber in persönlicher, ganz und gar echter Entscheidung innerhalb eines Rahmens, für den die Leute nicht selbst Verantwortung trugen. Ihre Aktivitäten liefen nebeneinander her. Bester Beweis dafür ist, dass bei Auseinandersetzungen der Priester zwischen den Kontrahenten stand. Jetzt stehen sich die Leute von Angesicht zu Angesicht gegenüber, gewissermaßen dazu verpflichtet, sich zu verständigen und das Gebot »einander zu lieben« in einem Rahmen zu leben, für den sie selbst unmittelbar verantwortlich sind. Sie sind gerufen, um in eine Gemeinde und darüber hinaus zur ganzen Bevölkerung zu gehen. Übergang vom Helfen zur Übernahme von Verantwortung, das umschreibt die Aufgaben, die als Equipe zu bewältigen sind. Ein Reifungsprozess kommt in Gang.

Nun die zweite Frage. Die Feier der Errichtung ist nötig, weil der Ritus Neues schafft. Er bringt zum Ausdruck, dass die Mission eine empfangene ist, von der Kirche an diejenigen weitergegeben, die an einem bestimmten Ort den Auftrag haben, die Kirche lebendig zu erhalten. Diese Mission ist öffentlich, gemeinschaftlich und nicht privat; sie folgt Regeln und Verfahrensweisen, die allen bekannt sind; die Frauen und Männer, die sie empfangen, handeln im Namen der Kirche.

Der erste Akt in der Feier, noch ehe die für eine Verantwortung als fähig anerkannten oder gewählten Personen öffentlich gefragt werden und ihr Einverständnis zu diesem Auftrag und seinem Inhalt aussprechen, besteht darin, den Priester zu rufen und ihn in diese Gemeinde zu entsenden: »Sie sind der Gemeinde als Priester gegeben.« Dann ist es nicht mehr nötig, hervorzuheben, dass der Priester wahrhaft Priester sein soll.

Am Ende der Eucharistie wird die Teilhabe durch eine besondere Geste gefeiert: Zur Teilhabe gehören eine Person, die Teilhabe gewähren kann, und eine Wirklichkeit, an der Teilhabe gewährt wird. Der Bischofsvikar bittet die Basisequipe und den entsandten Priester, mit ihm das Evangeliar zu halten (»Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde«, 1 Kor 9,16) oder das Kreuz (»Ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten«, 1 Kor 2,2). Wenn der Bischof der Feier vorsteht, bittet er den Priester und die Basisequipe, mit ihm gemeinsam seinen Bischofsstab zu halten (»Ich sende euch«, Lk 10,3).

Ein Punkt ist den verschiedenen Gesten gemeinsam: Sie betonen die Mission. Darin liegt vor allem die Bestimmung der örtlichen Gemeinden. Sie sind nicht in erster Linie wegen einer neuen Gebietsaufteilung da, auch wenn sie unweigerlich einen Raum abdecken. Sie stellen nicht in erster Linie ein neues Organisationssystem für die Kirche dar. In unserer heutigen missionarischen Situation erinnern sie daran, dass die Kirche dazu da ist, den Menschen das Evangelium anzuvertrauen. Die Arbeit einer Gemeinde im Namen der Liebe, die sie selbst eint, beschränkt sich nicht darauf, noch so anziehende Equipen zu bilden, die dem eigenen Gemeindeleben guttun. Vielmehr drängt diese Arbeit dazu, hinaus zu den anderen zu gehen, sich den anderen anzuvertrauen und aufs Engste am Leben der menschlichen Gemeinschaft teilzunehmen, als Salz für diese Erde. Dafür haben die gewählten Vertreter der Kommunen gutes Gespür, sie sind immer darauf bedacht, bei der Errichtung einer örtlichen Gemeinde dabei zu sein.

Und der Priester?

Eine örtliche Gemeinde verzichtet nicht etwa auf Priester, sie empfindet gerade deren Notwendigkeit. Sie braucht den Priester, der wahrhaft Priester ist. Die Rolle des priesterlichen Dienstamtes erfährt eine beträchtliche Weiterentwicklung, sowohl dem theologischen Inhalt nach als auch in der Art und Weise seiner pastoralen Ausübung.

Was den theologischen Inhalt betrifft, so ändert sich im Wesentlichen des Sakraments der Priesterweihe natürlich nichts. Wohl muss man hier darauf hinweisen, wie sehr die pastorale Organisationsweise eine Konzeption des priesterlichen Dienstamtes beinhaltet und sie bestimmt. Den Priester »an sich« gibt es nicht, was bedeutet, dass die Theologie des Priestertums zum einen an die Zugehörigkeit zu einem Presbyterium geknüpft ist, zum anderen an die Ausübung der empfangenen Mission. Die Zugehörigkeit zu einem Presbyterium bindet den Priester an eine Ortskirche, zu der ein besonderes Volk, eine eigene Geschichte und bestimmte Orientierungen gehören. Bei seiner Weihe willigt der Priester ein, diesem Volk zu dienen, sich in diese Geschichte hineinzubegeben und sich die Orientierungen zu eigen zu machen, die vom Priesterrat und vom diözesanen Pastoralrat definiert sind.

Die Gründung der örtlichen Gemeinden lässt drei Akzente des priesterlichen Dienstamtes besonders hervortreten:
Zunächst die Dimension der Vaterschaft im Glauben im paulinischen Sinne (1 Kor 4,15). Die Freuden eines Vaters – sein Stolz – sind Kinder, die erwachsen geworden sind. Der Priester bringt die Gläubigen dazu, dass sie im Glauben wachsen; er hilft ihnen, dass sie sich aus dem Wort Gottes nähren; er schaut auf ihr Handeln und liest es im Licht des Glaubens; er ermöglicht, eine aus der Ausübung der Mission hervorgehende geistliche Erfahrung miteinander zu teilen.

Alsdann dient der Priester der Gemeinschaft unter den verschiedenen Gemeinden, deren Hirt er ist. In dieser Rolle steht er der Feier der Sakramente vor; die letzte Entscheidung über ihre Feier steht ihm zu. Sichtbares Zeichen für diese Gemeinschaft ist die Eucharistiefeier im Sektor, die in regelmäßigen Abständen (meist alle drei Monate) gefeiert wird.

Schließlich ist er das lebendige Zeichen für den Anderen und weist so darauf hin, dass all diese Arbeit in Christus, dem Haupt der Kirche, wurzelt. Damit »verkirchlicht« er die unterschiedlichen Aktivitäten, um so den Leib Christi aufzubauen (vgl. Eph 4,12–16). Er ist ihr »Bindeglied«, das bewegliche »Gelenk «: Je stärker die Glieder sind, desto solider müssen die Gelenke sein. Die den Laien anvertrauten Aufgaben machen, so gesehen, die Verantwortung des Priesters noch unverzichtbarer. Als Zeichen für den Anderen ist er zugleich auch das Zeichen für all die anderen. Der Priester wird von anderswo in eine Gemeinde entsandt und hindert sie, sich in sich selbst zu verschließen; er öffnet sie ständig für die apostolische Dimension.

Zum theologischen Inhalt kommen neue pastorale Wege und ein neuer Typ von Präsenz hinzu. So wie das Pfarrsystem den Priester in die Mitte stellt und die Laien um ihn herum kreisen – was dem Priester gewiss eine traditionelle soziale Stellung verschafft und ihn in seinem Ego stärkt –, so bringen die örtlichen Gemeinden es mit sich, dass der Priester, wie schon gesagt, von einer Gemeinde zur anderen geht und so um sie kreist. Er begibt sich damit gewissermaßen (bei uns allerdings in gemäßigter Form) auf Wanderschaft, gemäß der apostolischen Lebensweise, auf die hin er geweiht ist. Es darf ihm ja nicht genügen, an einem Ort ansässig zu sein, da er geweiht ist, »um das apostolische Dienstamt auszuüben« (wie es in der Messe für einen verstorbenen Priester heißt). Er ist nicht mehr der Mann des Organisierens, der sich um alle Details selbst kümmert, der alles weiß und alles dirigiert. Er muss zum Kern der Sache kommen, zu dem, was seine ganz eigene Sache ist: Er muss dem Wachstum im Glauben und der missionarischen Dynamik dienen.

In einem in örtliche Gemeinden organisierten Sektor gewinnt der Priester Zeit. Viele geben das zu. Ist er überlastet, dann meist deshalb, weil er noch zu sehr am Ideal eines prall gefüllten Terminkalenders hängt. Nun findet er Zeit um zu beten, zu lesen, sich weiter zu bilden, die Bewegungen und Verbände zu begleiten und Nichtchristen kennenzulernen. Solche Erfahrungen zeigen in der Tat, dass hier nicht einfach in einer von Priestern ausgedachten, von ihnen organisierten und für sie geschaffenen Struktur ein Priester durch Laien ersetzt wird. Wenn man den Laien Aufgaben überträgt, muss man eine andere Struktur erfinden.

Schritte des Beginns

Kehren wir zurück an den Anfang. Wie kam es zu der Entscheidung, mit dem Projekt der örtlichen Gemeinden zu beginnen? – Durch ein Zusammenwirken aller Kräfte zur Umsetzung der Synode von 1993. Nachdem das Projekt einmal präzisiert war, wurde es vom Priesterrat geprüft, verbessert und verabschiedet. Die anderen zuständigen Räte (Gebiets- und Laiengremien) haben das Projekt durchgearbeitet und angenommen. Schließlich hat auch der diözesane Pastoralrat es als Leitlinie für die Diözese gebilligt. Ab 1995 sind die ersten örtlichen Gemeinden entstanden. Die diözesanen Dienste haben besondere Weiterbildungen organisiert (Katechese, Katechumenat, Gebet, Dienst am Menschen). Jedes Jahr finden Treffen für die Pastoralbeauftragten und für die Schatzmeister statt. Priester von örtlichen Gemeinden haben sich bei ihren Treffen mit der Entwicklung des Weiheamtes befasst. Bei der Gründung der inzwischen 220 örtlichen Gemeinden (Stand Januar 2003) galt es, nichts aufzuzwingen, sondern zu überzeugen. Die Gründung geschieht nach und nach, in dem Maß, wie die Leute dazu bereit sind und die Gegebenheiten es erlauben (es wäre widersinnig, eine Arbeit zu überstürzen, solange sie weder verstanden noch gewollt ist).

Nachdem die örtlichen Gemeinden jetzt sieben Jahre funktionieren, kann man feststellen, dass das Empfinden von Schwäche und Schwund, das bisher vorgeherrscht hatte, abnimmt. Spürbar lebt die Hoffnung auf. Die Menschen wandeln sich durch die Ausübung ihrer Aufgaben. Was nicht heißen soll, es gäbe keine Probleme mehr! Verantwortliche werden beruflich versetzt, manche werfen bei den ersten Schwierigkeiten das Handtuch, andere können nicht mit Konflikten umgehen. All das gibt es. Aber das Bild, das sich letzten Endes aufdrängt, zeigt, dass das Volk Gottes eine große und schöne Wirklichkeit ist.

Nach ihrem Anfang in ländlichen Gegenden breitet sich diese Organisation in den kleineren Städten der Diözese aus. Sie beginnt bis in die großen Städte vorzudringen. Wenn die erste Intuition der fünf Aufträge gültig bleibt, weil sie die Kirche konstituiert, so verlangen doch die Städte, dass ihren Besonderheiten Rechnung getragen wird. Hier können daher weitere Beauftragungen zur Basisequipe hinzukommen: ein Verantwortlicher etwa für die Jugendpastoral (in den Schulen der Sekundarstufen gibt es bereits die Schulseelsorger) oder für Kommunikation. Oder man kann einen existierenden Auftrag ausbauen, indem man etwa die Krankenhausseelsorge mit den Aufgaben des Dienstes der Nähe zum Menschen verknüpft. Diese Flexibilität der Struktur erlaubt viele Anpassungen. Eine Stadt überlegt zurzeit die Gründung einer »Wohnviertelgemeinde«. Wir sind noch voller Kreativität!

Andere haben jetzt das Wort

Ich würde nie meinen, die örtlichen Gemeinden verdankten sich meinem persönlichen Einfall. Poitiers ist eine Diözese wie andere! Die Räte der Diözese und ihre Verantwortlichen haben sofort begriffen, was bei dem Projekt auf dem Spiel steht. Sie haben ihm zu einer größeren Stimmigkeit verholfen. Jedes Einzelelement ist nur sinnvoll im Zusammenhang mit den anderen. Diese Wirklichkeit würde verzerrt, wollte man die einzelnen Komponenten auseinanderreißen: etwa ein Delegierter, der nicht gewählt wird; Verantwortliche des Sektors, die weder mit ihrer Equipe noch unter Nachbarn Begegnung und Austausch pflegen; eine Equipe ohne eigene Konsistenz, weil sie sich unter der Hand doch einer Zusammenlegung verdankt. Es gibt kein eingetragenes Markenzeichen! Es gibt nur Kriterien für die Existenz einer Gemeinde: die Anerkennung und die Sendung, die Definition der Aufgaben und das Teilen mit anderen Gemeinden.

Diese Anforderungen sind nicht nur eben dahingesagt! Die folgenden Seiten vertiefen die Theologie dieser Gründung und ihrer Funktionsweise; sie erzählen von ihrer gesellschaftlichen Wirkung und davon, wie sich die Verantwortlichen dabei entfaltet haben. Es wäre widersinnig, wollte ich allein die Autorschaft übernehmen, wenn andere besser als ich dem konkreten Leben dieser Menschen dienen. Im Grunde geht es weniger um neue Strukturen, die besser funktionieren, sondern um eine große Mission: Dass die Christen das Evangelium lieben lernen und Geschmack daran finden, indem sie den Austausch pflegen, Verantwortung übernehmen und ihre Mission leben. Ein Aufbruch, der weitergehen soll! Zwei Voraussetzungen sind hierfür unerlässlich.

Zum einen kommen auch bei den Laien, die Verantwortung übernehmen, sehr rasch Empfindungen auf, wie Priester sie kennen: sie werden beobachtet, werden beurteilt, sie stoßen auf Indifferenz oder Ablehnung, sie erleben Augenblicke großer Freude. Es genügt nicht, wenn man ihnen technische Fertigkeiten vermittelt, etwa wie man Leute zum Singen bringt oder wie man eine Sitzung leitet. Ihre Fragen sind viel grundlegender. Sie beziehen sich auf die Bedeutung des Glaubens selbst, auf das Wesen der Mission, auf den Sinn des Betens. Und hier schuldet ihnen die Diözese eine Antwort. Die Klöster der Diözese, die das Projekt aktiv begleiten, werden uns helfen, auf diese wesentlichen Fragen zu antworten, die zugleich ein Zeichen von Reife sind.

Wenn die Zukunft eine Bildung auf diesem Niveau braucht, von dem wir jetzt gesprochen haben, dann braucht sie auch eine Kultur des Rufens. Eine Gemeinde lebt nur, wenn sie zur Übernahme von Verantwortlichkeiten ruft. Das ganze Volk Gottes hat mit dem Rufen zu tun. Dann begreift es, dass es auch seine Aufgabe ist, zum Ordensleben und zu den Weiheämtern, Diakon und Priester, zu rufen. Diese sind nicht Dienstämter, die sich ein Einzelner selbst geben oder individuell definieren würde. Sie sind darauf angewiesen, dass zu ihnen gerufen wird; so entsprechen sie dieser Mission des Volkes Gottes, die das Rufen ist.

Alles bisher Gesagte hat nur dann Bedeutung, wenn man Vertrauen hat. Dieses Vertrauen lässt uns den anderen als den erkennen, den Gott uns als Bruder gibt, als Schwester, die ihre Gaben hat, ihren Unternehmungsgeist und ihre Hoffnung. Die Mission der Kirche geschieht durch jeden und jede. Es ist an uns, dieses Vertrauen, durch das Gott uns existieren lässt, gemeinsam zu leben. Eine Kirche der Gemeinschaft ersteht aus einem solchen Austausch.

Albert Rouet ist Erzbischof in der französischen Erzdiözese Poitiers