Der katholische Wendepunkt: Helmut Schüller auf großer U.S.-Tour

19.07.2013, Jamie Monson

Helmut Schüller ist vom 16. Juli bis 7. August 2013 auf einer Vortragsreise durch die USA. Titel seiner Vorträge: "Der katholische Wendepunkt" ("The Catholic Tipping Point"). Die Pfarrer-Initiative hat die Reise angekündigt. Zahlreiche Medien berichten darüber: KURIER , DER STANDARD , religion ORF

Alle, die willens und fähig sind, zum Priesteramt zulassen!

Jamie Manson schreibt im NCR über den Auftritt Helmut Schüllers in New York am 16.07.2013:

Schüllers Tour geht durch 15 Städte in den USA. Seine Ansprache hat den Titel "Der katholische Wendepunkt. Gespräche."

Dienstag Abend kamen bei großer Hitze und Schwüle 230 reform-orientierte Katholiken zusammen, die Schüllers Vision für die Kirche und für ein erneuertes Priesteramt hören wollten. Von 100 Priestern, die sich zur Ruhe setzen, gibt es derzeit nur 30 neue Priester, die deren Plätze einnehmen. Die Amtskirche schließt Gemeinden zusammen oder löste sie ganz auf, anstatt alle, die willens und fähig sind, Priester zu werden, zum Priesteramt zuzulassen.

Bei Schüllers Aufruf zum Ungehorsam geht es nicht ums reine Opponieren. Es geht um Gehorsam gegenüber Gott, gegenüber dem eigenen Gewissen und erst dann gegenüber der Ordnung der Kirche.

425 von Österreichs 3.800 Priestern sind in der Pfarrer-Initiative zusammengeschlossen. 70% der Katholiken unterstützen deren Forderungen.

"Weil wir Mitglieder der Hierarchie sind, ist die Hierarchie sehr nervös geworden," sagte Schüller. Die Bewegung wurde aus tiefer Sorge um die Zukunft der Gemeinden gegründet.

"Die Struktur der Kirche lässt nicht viel Platz für Reformen oder Fragen."

Schüllers größte Sorge ist, dass der Priestermangel den Getauften Zugang zur Eucharistie verwehrt, "die der spirituelle Kern unserer Gemeinden ist."

"Die Priester können ihren Dienst nicht mehr leisten. Sie hetzen von Ort zu Ort." Es schmerzt ihn, gesagt zu bekommen: "Ich weiß, Herr Pfarrer, Sie haben keine Zeit."

"Wenn die Menschen das Gefühl bekommen, dass der Priester nicht mehr in der Gemeinde anwesend sein kann, dann ist es das Aus für seinen Dienst."

Die Realitäten des Gemeindelebens zeigen die dringende Notwendigkeit auf, das Priesteramt allen zu öffnen, die die Begabung haben, zu führen, zu inspirieren und Vertrauen aufzubauen, insbesondere den Frauen.

"Die Bibel sagt, Männer und Frauen sind als Ebenbild Gottes geschaffen. Wie können wir dies verkünden, wenn diese Wahrheit nicht in unseren Strukturen reflektiert ist? Hier geht es nicht um Zugeständnisse an die moderne Gesellschaft, sondern um den Kern unserer Botschaft. Wir müssen das uns gemeinsame Bild Gottes wiederentdecken."

Reform-orientierte Gemeinden in Österreich praktizieren Reformen in ihren Gemeinden: Laien, die predigen und Gottesdienste mit Kommunionfeiern leiten, wenn keine Priester verfügbar sind. Wiederverheiratete, Protestanten, Lesben und Schwule sind bei der Kommunion willkommen.

"Die Eucharistie darf kein Instrument der Strafe sein. Die wichtigste Symbolik der Kommunion liegt in der Akzeptanz."

"Als Priester haben wir Macht. Das bedeutet, dass wir verantwortungsvoll damit umgehen müssen. Die Bewegungen zur Kirchenreformen dürfen nicht allein von Laien getragen werden. Wir müssen diese Bewegungen mittragen."

Während Schüllers Tour wird es private Treffen mit Priestern geben. Schüller will von ihnen hören, welche ihre Sorgen sind, und möchte sie ermutigen, sich untereinander und mit den Laien zusammenzuschließen.

Schüller ruft die Reformgruppen auf, in Solidarität zueinander zu stehen. Eines der Ziele der Die Kirche auf der Kippe-Tour ist es, ein internationales Netzwerk von Reformgruppen aufzubauen. Zehn fortschrittliche katholische Organisationen, einschließlich Future Church, Call to Action, Dignity USA und Voice of the Faithful sind Sponsoren der Tour.

Schüller setzt sich dafür ein, dass die Kirche Grundrechte für alle Getauften festschreibt. "Wir sollten nicht von Laien sprechen, sondern von Kirchenbürgern." Das Wort Laie suggeriert fehlende Sachkenntnis und mangelnde Erfahrung."

"Für uns als Christen haben alle Menschen Rechte und Verantwortung, und sie haben eine besondere Würde, die respektiert werden muss. Alle sind daher befugt, bei den Entscheidungsfindungen in der Kirche mitzuwirken."

"Die umfassende Beteiligung der Kirchenbürger ist eine Frage des Respekts vor den Menschen. Mit der Demokratie haben unsere Gesellschaften einen Schritt vorwärts gemacht, doch unsere Kirche kämpft seit Jahrhunderten dagegen."

Das Fehlen von Grundrechten in der Kirche war der Anstoß für den Aufruf zum Ungehorsam. "Wir vermuten, und wir haben auch selber die Erfahrung gemacht, dass unser Gehorsam von den Führern der Kirche missbraucht wird, um eine Reform der Kirche zu verhindern."

"Gehorsam gegenüber Führern zu leisten, die für das, was sie mit ihrer Macht machen, keine Rechenschaft ablegen, das geht nicht."

Für jemanden, der zum Ungehorsam aufruft, macht Schüller einen sehr zahmen Eindruck und spricht sehr ruhig.

Zum Verlust seines Monsignor-Titels, den ihm der Vatikan 2012 aberkannte, meinte er lässig: "Das war für mich nicht die größte Tragödie meines Lebens."

Nach seiner 30-minütigen Ansprache folgte eine einstündige Diskussion.

Gabriella Velardi Ward von der Römisch-Katholischen Priesterinnenbewegung (RCWP) fragte Schüller, wie er und die österreichischen Priester denn zu dieser Bewegung ständen, die ja in Europa ihren Anfang genommen hat. Schüller antwortete, dass sie die RCWP respektieren und den Mut der Frauen bewundern. Seine Hoffnung ist, dass sich bald die ganze Kirche der Ordination von Frauen öffnet.

Velardi antwortete: "Wir versuchen, das zu leben, was wir predigen, und den Wandel, den wir anstreben, in unserem Dienst umzusetzten. Heute kommen wir durch die Hintertür, damit in Zukunft die Frauen durch die Vordertür hereinkommen dürfen."

Schüller gab ein Beispiel für das respektvolle Zuhören, dass er sich von der Kirchenhierarchie wünscht, als er darauf einging und sagte: "Dann sollten wir Sie als prophetische Bewegung anerkennen."

Ein anderer Anwesender fragte, ob diese Diskussion auch für die Kirche außerhalb der USA und Europa relevant ist.

Schüller antwortete: "Wir bekommen immer wieder gesagt, dass die Kirche in Europa und den USA krank ist und dass die Kirche in Lateinamerika und Afrika der Beweis dafür ist, dass eine konservative Kirche erfolgreich ist. Doch die Fragen, mit denen wir in unseren modernen Gesellschaften konfrontiert werden, werden letztendlich auch für andere Teile der Welt relevant werden, und vielerorts, wie zum Beispiel in den Megastädten, sind die Menschen heute schon mit den gleichen Fragen konfrontiert wie wir in Europa und den USA."

Für Schüller sind Europa und die USA eine Art Laboratorium der Zukunft, wo die Kirche sich mit den Fragen und Herausforderungen der modernen Welt auseinandersetzen kann.

Schließlich kam die Frage, die alle beschäftigte: Gibt ihnen Papst Franziskus Hoffnung?

Schüller antwortete: "Ich glaube wir sind erleichtert, dass er Papst geworden ist. Aber wir wissen nicht, ob seine symbolischen Gesten auch zu systemischen Veränderungen führen, oder ob er vom vatikanischen System überrollt wird."

"Echter Wandel wird eintreten, wenn er Kollegialität durch neue Synoden und durch Dezentralisierung päpstlicher Macht zeigt. Es gibt Hoffnung. Warten wir ab, ob er das, was er als Einzelner tut, auch für das System tun kann."

Schüllers nächster Halt ist in Boston, wo Kardinal Sean O'Malley ihm verboten hat, in kirchlichen Gebäuden zu sprechen.

Schüller meinte dazu: "Es gibt Bischöfe, die verbieten, dass ich hier spreche. Es macht mir nichts aus, wenn mir verboten wird, zu sprechen. Es ist jedoch sehr traurig, dass Ihnen als Gläubigen verboten wird, zuzuhören."

Der Beitrag im National Catholik Reporter (NCR) stammt aus der Feder von Jamie Manson , übersetzt von Bernhard Aurin