Ungehorsam = gehorsam

19.06.2012

Der langjährige stellvertretende Chefredakter der kathpress, Peter Musyl, berichtet von einer Veranstaltung des Forums XXIII, einer Mitgliederorganisation von "Wir sind Kirche".

Unterwerfungsforderung contra Gewissensgehorsam

Theologe Franz Josef Weißenböck bei FORUM XXIII-Veranstaltung in St. Pölten: Sowohl der Papst als auch die Pfarrer-Initiative handeln nach ihrem Gewissen, aber die „Selbstbeschädigung“ kirchlicher Autorität hat schwerwiegende Folgen.

St. Pölten, 13. 6. 2012: Die Frage des „schuldigen“ Gehorsams ist immer auch eine Frage der Autorität, der dieser Gehorsam „geschuldet“ wird. Darauf verwies der Laientheologe und ehemalige Chefredakteur des Österreichischen parlamentarischen Pressedienstes, Dr. Franz Josef Weißenböck, Dienstag Abend bei einer Veranstaltung des FORUMS XXIII im St. Pöltener Hippolyt-Haus.

Vor dem Hintergrund der Debatte um den „Aufruf zum Ungehorsam“ der österreichschen Pfarrer-Initiative unterstrich Weißenhöck in seinem Vortrag mit dem Titel „Gehorsam = Ungehorsam“, dass — auch nach katholischer Auffassung — jeder Mensch so handeln müsse, „wie es ihm sein Gewissen, sein innerstes Selbst, sagt“. Sowohl dem Papst, der der Pfarrer-Initiative vorwarf, die Kirche nach ihren Wünschen und Vorstellungen „umwandeln“ zu vollen, als auch den Mitgliedern der Pfarrer-Initiative, die meinen, als Seelsorger den „Weg Jesu“ gehen zu müssen, sei „zuzubilligen, dass sie der Stimme des Gewissens zu folgen bemüht und in diesem Sinn gehorsam sind“. Das Verhältnis zwischen Papst und Pfarrern sei allerdings „kein symmetrisches“. Während Benedikt XVI. dank seiner hierarchische Position über „Definitions- und Sanktionsmacht“ verfüge, „haben die Pfarrer nur die Möglichkeit des öffentlichen Widerstandes“.

Anhand biblischer Beispiele wies der Theologe darauf hin, dass ein Verhalten, das zunächst wie Ungehorsam erscheine, in Wahrheit zutiefst Gehorsam sein könne. „Die Gleichung funktioniert auch in der umgekehrten Richtung: Ein äußerlich als Gehorsam auftretendes Verhalten kann zutiefst Ungehorsam sein“, fügte er hinzu. Denn wenn Gehorsam sei, dem Gewissen zu folgen, dann sei „Ungehorsam, dem Gewissen nicht zu folgen, und mag es noch so als Treue und Gehorsam gefeiert werden. Viele, die ungehorsam erscheinen, sind gehorsam, und viele Gehorsame und in Wahrheit ‚ungehorsam.“ Bei Paulus heiße es; „Bleibe bei deiner persönlichen Überzeugung. wenn du sie vor Gott verantworten kannst, aber versucht nicht, sie anderen aufzudrängen. Denn nur der handelt richtig und hat Frieden, dessen Entscheidungen mit seinem Gewissen vereinbar sind.“

Unterwerfungsforderung

„Wenn von Gehorsam die Rede ist, muss auch von Autorität die Rede sein“, betonte Weißenböck weiter. Laut Lexikon versteht man unter Autorität „das Ansehen einer Person (oder auch einer Institution), das es erlaubt, ihren Aussagen ohne weitere Prüfung ihrer Wahrheit Glauben zu schenken bzw. ihren Handlungsweisen ohne weiteren Aufweis ihrer Verbindlichkeit oder Vorbildlichkeit Folge zu leisten“. „Trifft diese Definition auf die Autorität der Kirche zu?“ fragte der Theologe. „Und woran liegt es, dass der Kirche — zugespitzt gesagt — nicht mehr geglaubt und nicht mehr gefolgt wird?“ Er sieht eine wesentliche Ursache in der — wie er sagte — „Selbstbeschädigung der kirchlichen Autorität“.

Einen der Gründe für diese ‚Selbstbeschädigung“ ortet Weißenböck in der „Überdehnung“ kirchlicher Autorität. Das kirchliche Lehramt beanspruche Zuständigkeit nicht nur in Angelegenheiten des Glaubens, sondern auch der „Sitten“, also der Moral . Als Beispiel, wie in diesem Bereich kirchliche Autorität „durch Überdehnung unwirksam geworden“ sei, führte der Theologe die sogenannte „Pillenentzyklika“ „ Humanae vitae“ Papst Pauls VI. an. „Aus den Betten der Menschen soll sich das Lehramt heraushalten“, so Weißenböck.

Einen weiteren Grund für die Selbstbeschädigung kirchlicher Autorität sieht er darin, das wie er meint — das Lehramt und die meisten verantwortlichen Kirchenführer den Anschluss an die moderne Welt verloren hätten. Das zeige sich u. a, in ihrer Sexualmoral. Dabei sei die Kirchenführung „nicht einmal bereit, die Ergebnisse der eigenen Wissenschaftler, der eigenen Theologen und Bibliker ernst zu nehmen“. Die Kirchenführung verharre auch in einem feudalen Denken und fange mit demokratischen Werten absolut nichts an. Weißenböck: „Dass alles Recht vom Volk ausgeht, dass die Gewalten getrennt, dass die Regierenden dem Volk zur Rechenschaft verpflichtet sind, hat in der Kirche keinen Platz.“

Unglaubwürdigkeit ist nach Weißenböcks Ansicht eine weitere wesentliche Ursache für die Selbstbeschädigung kirchlicher Autorität. “Die Explosion der Skandale von sexueller Gewalt hat der Kirche schweren Schaden zugefügt. Die jahrzehntelange Praxis von Vertuschung und Verleugnung und die verbreitete Doppelmoral habe, die katholische Autorität weithin schlicht vernichtet.“

„Zuviel Wissen“ beschädige ebenfalls die Autorität. Seit dem Sieg des Christentums unter Kaiser Konstantin nehme die Kirchenführung für sich in Anspruch zu Wissen, „wie es im Inneren der Trinität zugehe, wie das Verhältnis zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu genau zu verstehen ist, was bei der Wandlung geschieht und weshalb nur ein ordinierter Mann das Zustande bringt“. Weißenböck: „Eine Autorität, die sich in ihrem angeblichen gesicherten Wissen so weit von der alltäglichen Wahrnehmung der Menschen entfernt hat, deren Rede wird wie das Rauschen eines Wasserfalls: Eines Tages hört man es nicht mehr.“

„Selbstbeschädigung durch Nostalgie“ führte Weißenböck in diesem Zusammenhang als letzten Punkt an. Nach Seiner Einschätzung wollen „maßgebliche Personen der Kirchenleitung das Rad der Kirchengeschichte zurückdrehen“, den Aufbruch des Konzils rückgängig machen, das II. Vaticanum „als kirchengeschichtlichen Zwischenfall erledigen“ und die Aufklärung aus der Kirche eliminieren. „Aber dieser Weg ist nicht gangbar“, betonte der Theologe. „Er macht aus der Kirche eine Sekte. Er gibt Europa und in der Konsequenz die Welt auf.“ (end)