"Parasitäre Existenzen"

24.05.2012, Norbert Scholl

Der Regensburger Bischof, Gerhard Ludwig Müller, bezeichnet die Veranstalter des alternativen Katholikentages in Mannheim als "parasitäre Existenzform", weil sie quasi im Windschatten des Katholikentages Veranstaltungen angeboten hatten, die großen Zulauf sowie hohe Sympathie und gute Presse hatten. Drauf antwortet der Religionspädagoge Norbert Scholl mit nachstehendem Brief.

Exzellenz,
Hochwürdigster Herr Bischof Prof. Dr. Dr. h.c.mult. Müller!

Mit Erstaunen habe ich davon Kenntnis genommen, dass Sie die Reformgruppen in der römisch-katholischen Kirche als eine „parasitäre Existenzform“ bezeichnet haben. Parasiten betreiben lt. Wikipedia ihren „Ressourcenerwerb mittels eines in der Regel erheblich größeren Organismus einer anderen Art“.

Da ich mit den „Reformgruppen“ sympathisiere, fühle ich mich von Ihren Worten angesprochen. Mir kam bei Ihren bemerkenswerten Ausführungen, die inzwischen von vielen Seiten – vermutlich auch von den Piusbrüdern – würdigend kommentiert wurden, in den Sinn, dass sie eigentlich auch auf die deutschen Bischöfe zutreffen. Denn Sie und Ihre Mitbrüder im bischöflichen Amt erhalten ihre „Ressourcen“ nicht von der Kirche, sondern von einem „erheblich größeren Organismus“, vom Staat. Dabei handelt es sich nicht um Peanuts. Ungefähr 8.000 Euro sind es im Monat, Erzbischöfe oder Kardinäle bekommen bis zu 12.000 Euro. Sie verfügen über ein Dienstfahrzeug (meist BMW – bei Bedarf mit getönten Scheiben und Standarte, wie beim Bischof von Limburg - oder Mercedes mit Chauffeur). Das ist noch nicht alles: Die Bundesländer - mit Ausnahme des Stadtstaates Bremen - bezahlen in der Regel auch noch Weihbischöfe, Kanoniker, Domkapitulare und Dom-Mesner. So zahlte das Bundesland Bayern im Jahr 2000 für derartige Zwecke die stolze Summe von rund 121 Millionen DM (62 Millionen Euro) allein an die sieben Bistümer im Freistaat – von den „Jahresrenten für 7 Bischöfe/Erzbischöfe" und „60 Kanoniker" über „Dienstentschädigungen für 7 bischöfliche Sekretäre" und „Einkommensergänzungen der 15 Leiter und 33 Erzieher an den bischöflichen Priester- und Knabenseminaren" bis hin zu den „Beiträgen zum Sachbedarf der Domkirchen" (Carsten Frerk, Finanzen und Vermögen der Kirchen, Aschaffenburg 2002, 104). 10 Jahre später hat sich daran nichts geändert“. (Siehe dazu folgenden Link.)

Aber vermutlich haben Sie daran nicht gedacht und Ihre Aussage als Bischof der römisch-katholischen Kirche anders gemeint. Sie wollten sicher sagen: Die Reformgruppen sind „parasitär“, weil sie wie wir, die Bischöfe, zu einem „erheblich größeren Organismus“, zu dem einen Leib Christi gehören, an dem es verschiedene Glieder gibt und verschiedene Aufgaben (1 Kor 12,12-28). Die Reformgruppen sind, wie wir Bischöfe, „Reben“ an dem einen Weinstock (Joh 15,4 f.). Auch das Bild von den aufgepflanzten Zweigen am edlen Ölbaum mit der Warnung, nicht überheblich zu werden, kam mir in den Sinn (Röm 11,13-24, v.a. 20).

Da stimme ich Ihnen gerne zu: Bischöfe und Reformgruppen, Sie und ich, sind „Parasiten“, Parasiten am Leib Christi und am Weinstock des Herrn und am Ölbaum Israel. Dort liegen unsere gemeinsamen „Ressourcen“. Und deshalb möchte ich Ihnen für Ihre Worte ausdrücklich Dank sagen.

Ich grüße Sie
als (um Ihre Wortwahl zu benutzen) Ihre Ko-„parasitäre Existenzform“

Norbert Scholl

Wirhelmsfeld, am 23. Mai 2012