Hoffnung erwartet Erfüllung

09.03.2014, Hans Peter Hurka

"Wir sind Kirche" zum ersten Jahr von Franziskus als Bischof von Rom

Seit der argentinische Jesuit Jorge Mario Bergoglio SJ vor einem Jahr zum Bischof von Rom gewählt wurde, ist überall in der Kirche Hoffnung spürbar. „Wir sind Kirche“ freut sich über die Ergebnisse seines ersten Dienst-Jahres und gratuliert Franziskus zu seiner prophetischen Gabe. Viele Gläubige erwarten von ihm zeitgemäße Reformen in der römisch-katholischen Kirche. Der entscheidende Punkt ist aber, ob die Erwartungen auch Realität werden. Dazu bedarf es nicht nur eines top down Prozesses, sondern es braucht gleichzeitig auch die Beteiligung der Ortskirchen.

Franziskus lebt einfach, spricht verständlich, geht offen auf Menschen zu. Dabei sind ihm Achtung und Würde aller Menschen wichtig. Er setzt sich für die an den Rand der Gesellschaft Gedrängten ein und kritisiert eine Wirtschaft die tötet. Weder wiederverheiratete Geschiedene noch Homosexuelle verurteilt er. Franziskus spricht sich gegen Kontrolleure des Glaubens aus. Er fordert Hirten mit dem „Duft der Schafe“, die mit den Menschen auch am Rand der Gesellschaft gehen. Ihm ist eine „verbeulte Kirche“ an der Seite der Menschen lieber, als eine pompös feiernde in den Kathedralen dieser Welt. Er will, dass die Kirche die befreiende Botschaft Jesu lebt und zu den Menschen bringt.

Franziskus nimmt sich auch struktureller Fragen an. Er streicht Ehrentitel, nimmt eine internationalere Besetzung der Kurie vor und stört alte Seilschaften. Ein „Finanzministerium“ wurde geschaffen, welches saubere Geschäfte des Vatikans sicherstellen soll. Die Umstrukturierung der römischen Kurie bereitet ein Kardinalsrat vor. Vorbereitung und Ablauf von Bischofssynoden werden neu gestaltet. Die Gläubigen wurden unmittelbar zu Ehe, Familie und Sexualität befragt. Eine Dezentralisierung von Aufgaben und Entscheidungen an die Bischofskonferenzen ist in greifbarer Nähe, wenn endlich die Ortsbischöfe den Ball aufgreifen.

Mit kleinen Gesten und einfachen Worten hat Franziskus die Herzen vieler Menschen erobert. Wie lange aber wird die Hoffnung tragen und werden die Menschen auf Erfüllung warten? Die Einrichtung eines Dikasteriums für Laien überwindet noch nicht das Klassendenken in der Kirche. Geschwisterlichkeit braucht entschiedene Gläubige die selbständig und eigenverantwortlich handeln, auf allen Ebenen der Kirche.

Dazu braucht es aber neben wohltuenden Worten und beflügelnden Gesten sowie strukturellen Veränderungen auch die Korrektur von Glaubenssätzen und die Anpassung des Kirchenrechts. Dabei geht es um die Anschlussfähigkeit an die Ergebnisse der aktuellen Wissenschaften, an die Moderne. Die theologische Wissenschaft ist wieder von jenen Fesseln zu befreien, die ihr in den letzten Jahrzehnten angelegt wurden. Dann ist es auch selbstverständlich, dass die Menschenrechte in der Kirche einforderbar sein und nicht alle „Türen zu bleiben“ müssen.

Jede Hoffnung erwartet Realisierung. Das ist der Punkt wo sich entscheidet, ob die Hoffnung begründet war oder blinde Illusion ist. Nach dem ersten Jahr Franziskus ist noch beides möglich. Mit Worten und Gesten ruft er auf, mit den Menschen zu gehen, ihre „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (GS 1) zu teilen. Wer das tut, kann nicht am Leid der Menschen, an der vorenthaltenen Würde vorbeigehen. Barmherzigkeit ist die Gnadengabe Gottes, nicht die eines Menschen. Darauf haben alle den selben Anspruch.

Die eingeleitete Aufbruchstimmung beflügelt. Viele Menschen trauen Franziskus Reformen im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils zu. Manche sehen in ihm den direkten Nachfolger von Johannes XXIII. Im Gedächtnis haftet aber auch die Erfahrung, nach Johannes XXIII. gab es 40 Jahre Eiszeit. Damit dies nicht wieder so ist, braucht es die notwendigen Änderungen Schritt für Schritt im persönlichen Bereich, strukturell aber auch in der Lehre und im Kirchenrecht auf allen Ebenen der Kirche.

„Wir sind Kirche“ sieht ein, dass Reformen dieses Umfangs Zeit brauchen. Sie dürfen aber keinesfalls wieder zu einem Abbruch führen, wie nach dem letzten Konzil. Die Enttäuschung der Menschen wäre ein noch größerer Schaden. Deshalb ist es notwendig, dass alle in der Kirche mit Reformen an dem Ort beginnen, wo sie gerade stehen.

Für den Vorstand der Plattform „Wir sind Kirche“: Hans Peter Hurka

Medienreaktionen:

10. März 2014: Wiener Zeitung ; religion.ORF ,