Weder Kleriker noch Lai:inen

Predigten |
von Harald Prinz
© Waltraud Kim

Predigt von Dr. Harald Prinz in der Pfarrkirche Kronstorf, OÖ, am 22.6.2025, dem 12. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C).

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galátien (Gal 3,26-29):
Ihr alle seid durch den Glauben Söhne und Töchter Gottes in Christus Jesus.
Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.
Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich;
denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.
Wenn ihr aber Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben gemäß der Verheißung.

Evangelium nach Lukas (L 9,18-24):
In jener Zeit betete Jesus für sich allein und die Jünger waren bei ihm.
Da fragte er sie: Für wen halten mich die Leute?
Sie antworteten: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elíja; wieder andere sagen: Einer der alten Propheten ist auferstanden.
Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich?
Petrus antwortete: Für den Christus Gottes.
Doch er befahl ihnen und wies sie an, es niemandem zu sagen.
Und er sagte: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet
und am dritten Tage auferweckt werden.
Zu allen sagte er: Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.

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Liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen!

„Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklave und Freie, nicht männlich und weiblich, sondern ihr alle seid einer in Christus Jesus“ – so die Botschaft des Apostels Paulus in seinem Brief an die Gemeinden in Galátien. Was Paulus hier mit wenigen Worten beschreibt, ist das, was er als die neue Wirklichkeit im christlichen Glauben sieht. In der Welt mag es Juden und Griechen geben, Sklaven und Freie, Männer- und Frauenrollen. Aber in der Welt des Glaubens soll das überwunden werden. In der Welt des Glaubens soll es keine Rolle spielen, ob jemand Jude oder Grieche ist, Sklave oder Freier, männlich oder weiblich. Denn der Jude kann genauso auf Jesus Christus schauen wie der Grieche, der Sklave genauso wie der Freie, der Mann genauso wie die Frau. Im Blick auf Jesus Christus werden alle gleich.

Was ist das für eine befreiende Botschaft, liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen, die Paulus hier verkündet! Kann man ermessen, was diese Botschaft für einen Sklaven/eine Sklavin bedeutet oder für jemand anderen, der am Rand der Gesellschaft steht? Wir rühren hier an die Sprengkraft eines radikalen christlichen Gesellschaftsentwurfs, wir träumen hier mit Paulus von einer Kirche, die der Welt zeigt, dass es eine Alternative gibt zum Kampf Oben gegen Unten, Arm gegen Reich, Ausländer gegen Inländer … Das alles kann überwunden werden, wenn wir uns bewusstwerden, dass wir von Gott her – von Christus Jesus her, wie Paulus sagt – alle die gleiche Würde haben, dass es keine Besseren gibt und keine Schlechteren, sondern ganz einfach nur die bunte Schar der Kinder Gottes, die sich die Würde der Gotteskindschaft geschwisterlich teilt. Kein Grund zum Streit, kein Anlass zum Krieg. Es ist genug Würde da für alle.

Die Sprengkraft einer solchen Vorstellung von christlicher Gesellschaft ist gewaltig. Sie war das von allem Anfang an, als es tatsächlich noch Sklaven und viele andere gab, die von Staat und Gesellschaft diskriminiert und marginalisiert waren; und wir wissen, dass das Christentum in seinen Anfängen gerade von diesen Menschen, von den Verfemten und Ausgegrenzten, voller Hoffnungen angenommen wurde, weil sie hierin für sich selbst so etwas wie den Anbruch des Reiches Gottes spüren konnten. Aber auch heute hat diese Vorstellung nichts von ihrer Sprengkraft eingebüßt - und wenn wir in die Kirchengeschichte schauen, dann sehen wir, dass eine solche Vision von christlicher Gesellschaft auch der Kirche selbst oft nicht geheuer war! Für das Erste Vatikanische Konzil beispielsweise (1869/1870) wurde seitens der Römischen Kurie ein Text vorbereitet, der – völlig gegen die Überzeugung des Paulus im Galaterbrief – behauptete, dass die Kirche eine Gemeinschaft von Ungleichen wäre!: da die Kleriker mit Vollmacht, dort die Laien ohne Macht. Dieser Text ist glücklicherweise niemals zur kirchlichen Lehre geworden, aber nicht etwa deshalb, weil man seine Falschheit erkannt hätte, sondern weil das Erste Vatikanische Konzil aufgrund politischer Wirrnisse, die ja auch zum Ende des Kirchenstaates führten, urplötzlich vertagt und abgebrochen werden musste und keine Zeit mehr war, diesen Vorschlag zu diskutieren und zu beschließen. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hat die Weichen dann ganz anders gestellt. Da heißt es nämlich, dass unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde waltet. Da ist sie Gott sei Dank wieder, die Vision des Paulus aus der heutigen Lesung, die Vision von der gleichen Würde aller Gotteskinder und dem Eins-Sein in Christus.

Aber von der Theorie eines Konzilstextes bis zur Wirklichkeit im kirchlichen Alltag ist es mitunter weit, sehr weit sogar. Schauen wir doch zurück auf das Konklave, das in Rom gerade einen neuen Papst gewählt hat: Wer war würdig, den Papst zu wählen? Nur Männer waren in der Sixtinischen Kapelle zugelassen! Kann es denn wirklich sein, dass es den Frauen für diesen so bedeutenden Akt an Würde mangelt oder gar an heiligem Geist? Oder haben wir in der Kirche vielleicht doch einfach noch nicht ganz verstanden, was der Galaterbrief meint? Oder noch etwas weitergedacht: Wenn Paulus schreibt „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklave und Freie, nicht männlich und weiblich“, könnten und müssten wir die Aufzählung dann nicht fortsetzen und beispielsweise auch sagen „Es gibt nicht mehr Kleriker und Laien“? Für die Kirche zur Zeit des Paulus stimmt das und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Zweiklassengesellschaft, die die Kirchengeschichte später hervorgebracht hat, ein eklatanter Verstoß gegen den Galaterbrief und auch gegen das Evangelium ist. Eine eigene Priesterkaste, so wie es das in der Zeit des Alten Bundes, in der Zeit des Alten Testaments gab, mag zwar praktisch sein und für manche bequem, aber die Aufteilung in Priester und Lai:innen vernebelt die Tatsache, dass wir in der Kirche alle gemeinsam die Würde des Priesteramtes tragen, dass wir als Getaufte alle Priesterinnen und Priester sind - denn wer getauft ist, wurde in der Taufe auch gesalbt zum Priester, König und Propheten. Einer nur mehr ist Hohepriester, wie der Hebräerbrief betont – und das ist Jesus Christus. Alle anderen haben gleichermaßen Anteil an ihm, dem Christus.

Auf ihn dürfen wir unterschiedslos schauen und aus dem gläubigen Blick auf ihn kommen uns der Auftrag und die Kraft zu, unsere Welt zu gestalten: gerecht vor allem und im Sinne Gottes, ohne Unterdrückung und Diskriminierung auf der einen Seite, ohne Bevorzugung und Privilegien auf der anderen Seite. Und das macht deutlich, dass uns der Glaube zum Tun ruft, zur Aktivität, wie es das heutige Evangelium bezeugt: Wer in Jesus den Christus erkannt hat, den Messias, den Sohn Gottes, für den bleibt das nicht ein theoretisches Erkennen im Elfenbeinturm theologischer Wissenschaft, sondern der geht über zur aktiven Nachfolge, will heißen: Er bemüht sich, dass er das, was er vom Glauben verstanden hat, in seinem Leben zur Umsetzung bringt. Und das ist der Punkt, wo das Reich Gottes beginnt: wo Menschen anfangen, die Dinge in die Hand zu nehmen und die Welt nach Gottes Willen zu gestalten. Dazu sind wir alle eingeladen, ohne jeden Unterschied: Egal ob uns die Welt als Juden oder Griechen sieht, als Inländer oder Ausländer, als Sklaven oder Freie, als Männer oder Frauen, als Priester oder Laien – darum geht es nicht. Sondern es geht christlich betrachtet immer nur um das eine: dass wir Getaufte uns verstehen als hineingenommen in die Gemeinschaft mit Gott und dass wir aus diesem Verständnis heraus mit diesem Gott und in seinem Sinne unser Leben gestalten. Mögen uns die heutigen Lesungstexte dazu Ansporn sein!