Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ ist vor 30 Jahren mit fünf Forderungen zur dringenden Erneuerung der katholischen Kirche angetreten. Diese werden von der Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken weltweit geteilt, sind aber nach wie vor nicht erfüllt. Mit Papst Franziskus wurden immerhin Weichen in die richtige Richtung gestellt. Nun muss dieser Weg fortgeführt werden.
1. MITSPRACHE UND MITENTSCHEIDUNG
Im Sinne von Papst Franziskus treten wir gegen Klerikalismus ein und fordern stattdessen Partizipation und Mitbestimmung für alle. Die Leitung der Kirche darf nicht allein geweihten Männern überlassen werden.
Der Klerikalismus monopolisiert die Lehre, die sakramentalen Handlungen und die Verwaltung der Kirche. Er macht die Gemeinden zu einer weitgehend passiven Schar von Abhängigen, die in ihrer religiösen Praxis vom Priesterstand angeleitet werden, ohne über Form und Inhalt dieser Praxis wesentlich mitbestimmen zu können. Geistliche Tätigkeit, die aus der Gemeinschaft kommt und sich auf die Gemeinschaft bezieht, wird so verdrängt und durch die ausschließliche Zuständigkeit der „Geweihten“ ersetzt.
Dies widerspricht der gleichen Würde aller Getauften. Nur wenn die Kluft zwischen Menschen mit und ohne Weihe überwunden wird, kann die Vielfalt der Begabungen und Charismen wieder voll zur Geltung kommen. Menschen ohne Priesterweihe müssen auf allen Ebenen gleichberechtigt vertreten sein und durch entsprechende demokratische Strukturen mitbestimmen können.
Es braucht schriftlich fixierte Rechte für alle Gläubigen (Kirchenverfassung), Gewaltenteilung, dezentrale Entscheidungsfindung und faire Verfahren. Entscheidungsprozesse müssen transparent und mit Rechenschaftspflicht versehen sein.
Bei der Ernennung von Bischöfen müssen die Ortskirchen ein Mitspracherecht haben und mitentscheiden können
Das unbestritten größte Vermächtnis von Papst Franziskus ist sein neues Verständnis von Synodalität (Gemeinsamkeit) in der Kirche, mit dem er eine Wende in der Geschichte der Kirche eingeleitet hat, die die Taufwürde aller Christen ernst nimmt, so dass eine Synode anders als in der Vergangenheit nicht mehr eine Insider-Veranstaltung ausgewählter Bischöfe ist, sondern eine Versammlung des Volkes Gottes, in der auch nicht-geweihte Christ:innen en ihre Stimme erheben und abgeben können. Die Aufgabe einer Kirche nach Franziskus wird es sein, diese neue Synodenkultur weiterzuentwickeln und die Synode mehr und mehr zu einem kollegialen Instrument kirchlicher Leitung zu machen, das die Kirche als Gemeinschaft aller Getauften widerspiegelt.
Franziskus hat die Gläubigen in aller Welt nach ihrer Meinung gefragt. Diese Meinungen müssen in Zukunft mehr Gewicht haben und in Beschlüsse umgesetzt werden.
Bislang ist der Name „Bischofssynode“ gleichgeblieben, aber das nächste Treffen im Jahr 2028 wird eine „Weltkirchenversammlung“ oder ähnliches sein.
Wir brauchen einen Papst, der diese dringenden Reformen weiterführt.
2. FRAUEN IN ALLE ÄMTER
Die Zeit ist reif, alle kirchlichen Ämter für alle Geschlechter zu öffnen; das ordinierte Amt bildet da keine Ausnahme.
Die Kirche kann nicht länger auf die Fähigkeiten und Lebenserfahrungen von Frauen verzichten. Das gilt auch für Leitungsämter und alle sakramentalen Handlungen.
Franziskus hat den Frauen in ihrem legitimen Bestreben nach Gleichwertigkeit nicht geholfen. Er hat nicht verstanden, dass sich Frauen durch die Argumente, die gegen die Weiheforderungen vorgebracht wurden, gedemütigt fühlen (1976 Inter insignores, 1988 Mulieris dignitatem, 1994 Ordinatio sacerdotalis, 2020 Querida Amazonia).
Und doch hat Franziskus auch in der Frauenfrage Fortschritte gemacht: Die Ernennung von Frauen in die höchsten kirchlichen - nicht sakramentalen - Ämter, wie Präfektin eines vatikanischen Dikasteriums (Januar 2025) oder Regierungschefin des Vatikanstaates (März 2025), wird die Kirche langfristig verändern und auch frauenfreundlicher machen. Einige Diözesen haben diesen Ansatz des Papstes bereits aufgegriffen und Frauen in Führungspositionen befördert. Allerdings bleibt die Tür für jene Positionen geschlossen, die bisher an die Priesterweihe gebunden waren (Leitung einer Pfarre oder einer Diözese sowie sakramentale Dienste).
Bei aller Freude über Fortschritte muss doch festgestellt werden, dass die Ansichten von Franziskus über die Geschlechterverhältnisse weit hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen zurückgeblieben und ideologisch geprägt waren. Hier besteht dringender Handlungsbedarf für den nächsten Papst: Machtverhältnisse zwischen Männern über Frauen müssen als solche erkannt und angeprangert werden, damit die Kirche der weltweit voranschreitenden Diskriminierung von Frauen nicht Vorschub leistet und sich an der Tatsache, dass Armut überwiegend weiblich ist, nicht weiter schuldig macht.
3. FREIE WAHL DER LEBENSFORM TROTZ PRIESTERWEIHE
Die Verbindung zwischen dem ordinierten Amt und der zölibatären Lebensform ist historisch gewachsen und daher veränderbar. Das Recht der Gemeinden, die Eucharistie zu feiern und zu leiten, ist wichtiger als das Kirchenrecht.
Das Sakrament der Priesterweihe muss auf der Höhe moderner Theologie reflektiert werden, Es darf nicht zu Klerikalismus und einer sakralen Überhöhung der Priester führen. Schlussendlich wird eine andere Form der Beauftragung gefunden werden müssen.
Viele Kleriker und ihr Umfeld leiden unter der vorgeschriebenen Ehelosigkeit. Gleichzeitig gibt es viele begabte Männer und Frauen, die zu guter Seelsorge fähig sind, aber keine Priester werden können, weil sie Familien gründen wollen.
Die Empfehlung der Amazonas-Synode 2019, das Priestertum nicht mehr zwingend an den Zölibat zu binden, griff Franziskus nicht auf, obwohl er selbst zuvor zu kühnen Vorschlägen geraten hatte. Unter dem Eindruck des heftigen Widerstands aus Teilen der kirchlichen Hierarchie konnte er sich zu keinem zukunftsweisenden Schritt in dieser Frage durchringen und hat damit nicht nur die Sakramentenpastoral der Gläubigen in aller Welt beschädigt, sondern auch die Zukunft des priesterlichen Dienstes als solchen gefährdet.
Priestern muss die Freiheit zugestanden werden, ihre Lebensform frei zu wählen. Die Kirche braucht einen mutigen Papst, der gerade auch in der Zölibatsfrage Änderungen herbeiführt.
4. POSITIVE SEXUALMORAL – SEXUALITÄT ALS GOTTESGESCHENK
Die verantwortliche Gewissensentscheidung in Fragen der Sexualmoral (z.B. Empfängnisregelung und sexuelle Identität und Orientierung) muss anerkannt werden.
Pauschale Verurteilungen (z.B. in Bezug auf voreheliche Beziehungen oder in Fragen queerer Identitäten) dürfen in einer Gemeinschaft, die der Nächstenliebe verpflichtet ist, keinen Platz haben.
Der Blick der katholischen Sexualmoral auf das "Naturrecht" der Zweigeschlechtlichkeit muss an die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse herangeführt werden.
Der Vatikan muss die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zur Förderung der Gleichheit der Geschlechter und der Geschlechtergerechtigkeit uneingeschränkt unterstützen und darf nicht auf der Ideologie der Unterschiedlichkeit und Komplementarität von Mann und Frau beharren.
Die Glaubwürdigkeit der Kirche in Fragen der Sexualmoral hat in den westlichen Ländern ohnehin so sehr gelitten, dass kaum noch Gläubige auf „Erlaubnisse“ oder „Verbote“ der Kirche hören. Orientierungshilfen in Fragen der Sexualmoral, die auf Respekt und Nächstenliebe basieren, wäre aber wünschenswert, würden der Kirche gut anstehen und sind daher dringend zu empfehlen.
Aber auch hier hat Franziskus wichtige Schritte unternommen. Wer hätte von einem katholischen Papst erwartet, dass er über die „Lust an der Liebe“ (amoris laetitia) schreibt? Dass er sagt, dass die Lust göttlich ist? Und der in im Blick auf homosexuelle Menschen fragt "Wer bin ich, dass ich darüber urteile?
Schließlich erlaubte er als ersten Schritt die Segnung homosexueller Paare - was ihm seitens afrikanischer kirchlicher Würdenträger solche Kritik einbrachte, dass er der afrikanischen Kirche schließlich einen eigenen Weg zugestand.
5. FROHBOTSCHAFT STATT DROHBOTSCHAFT
Der Anspruch von „Wir sind Kirche“ seit 1996 ist: Unsere christliche Botschaft stellt helfende und ermutigende Unterstützung und Solidarität über angstauslösende und einschränkende Normen.
Was auf der Ebene der Kirchengemeinden weitgehend geschieht, muss auch von kirchlichen Verlautbarungen gefordert werden: nämlich im Umgang mit Menschen in schwierigen Situationen (z.B. wiederverheiratete Geschiedene, verheiratete Priester ohne Amt und vor allem Trans-Menschen) statt gnadenloser Härte und Strenge Verständnis und Bereitschaft zur Versöhnung zu zeigen.
Hier hat Franziskus die größten Veränderungen bewirkt, und dafür sind wir ihm dankbar. Seine Liebe zu den Menschen hat er immer deutlich gezeigt. Damit hat er das Gesicht der Kirche verändert.
Das schlichte „Buona sera!“, mit dem er nach seiner Wahl am 13. März 2013 die Menschen auf dem Petersplatz und in aller Welt begrüßte, war der Auftakt zu einem Pontifikat, das sich den Menschen zuwendete und die Kirche aus der Erstarrung und Selbstbezogenheit herauszuführen versuchte.
Sein Plädoyer für eine „verbeulte Kirche“, die sich selbst verletzt und beschmutzt, indem sie auf die Straße geht, und gegen eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihres Festhaltens an den eigenen Gewissheiten krank ist, löste auch innerhalb der Kirchenhierarchie heftigen Widerstand aus. Kein anderer Papst der Neuzeit hat so viel innerkirchlichen Widerstand erfahren wie Papst Franziskus. Aber kein anderer Papst hat den Finger so sehr in die Wunden des kirchlichen Lehramtes gelegt wie Papst Franziskus.
Mit unzähligen symbolischen Gesten, spontanen Äußerungen, apostolischen Schreiben, päpstlichen Enzykliken und anderen Stellungnahmen hat Franziskus versucht, die katholische Kirche weiterzuentwickeln. In vielerlei Hinsicht hat er sich als Türöffner erwiesen - etwa in der Frage des Kommunionempfangs für Geschiedene, Wiederverheiratete oder im Umgang mit Homosexuellen - und es ist zu hoffen, dass die Kirche nun die Kraft und Entschlossenheit findet, die kleine Lücke, die Franziskus aufgerissen hat, nicht zu schließen, sondern im Gegenteil die Tür ganz zu öffnen.
Der Weg von Franziskus muss mit dem neuen Papst fortgesetzt werden!!