Der Krieg und die Kirchen

 
Auch religiöse Motive zur Begründung?

Wie sehr wünschte ich, die Religionen würden ihr höchstes Anliegen in die Bestärkung des Friedens legen und jenseits aller Macht- und Einflussfragen tun, was Jesus in der Bergpredigt vorgeschlagen hat! Und wenn es schon nicht gelingt, die Feinde zu lieben, sollte dann nicht wenigstens der Respekt vor deren Menschenwürde die Minimalanforderung christlichen Handelns sein?! Der Krieg in der Ukraine – so ehrlich müssen wir sein – bedeutet nicht nur ein Versagen der Politik, sondern auch des Christentums.

Nicht in meinen schlimmsten Albträumen hätte ich mir vorstellen können, was in den letzten Februartagen in der Ukraine zu grausamer Realität wurde: ein barbarischer Krieg in Europa, sinnloses Gemetzel und Sterben nicht nur unter Soldaten, sondern auch unter Zivilisten.

Die Bilder machen einem das Herz schwer, die Betroffenheit schnürt den Hals zu. Trotzdem will der Kopf denken. Er fragt „Wie konnte es so weit kommen? Was ist da geschehen?“ – und geht dabei weit in die Geschichte zurück: Ob die NATO-Osterweiterung wirklich dem Frieden diente oder denen auf der anderen Seite zur Provokation wurde, die alle menschlichen Hemmmechanismen aushebelte? Oder ob das alles nur Rechtfertigungsversuche der eben anderen Seite sind, die das nicht Verstehbare doch verstehbar machen sollen? Aber noch weiter muss das Denken zurück, noch viel weiter bis ins 10. Jahrhundert zur „Taufe der Rus“ durch den Großfürsten von Kiew, Wladimir (ukrainisch: Wolodymyr) I., versucht sich der russische Präsident doch in einer eklatanten Neuschreibung der Geschichte, um so seinen Griff nach der Krim im Jahr 2014 und nun auch den nach der ganzen Ukraine zu rechtfertigen.

Fassungslos nehme ich wahr, wie hier religiöse Motive bedient werden, um Krieg zu begründen und geradezu ungläubig lese ich, dass Putin seinen Angriffskrieg dem Schutz der russisch-orthodoxen Christen in der Ostukraine verschrieben habe. Wurde mit ähnlicher Rhetorik nicht auch die russische Politik im Nahen Osten befeuert und sind Worte wie diese nicht auch Begleiterscheinungen der russischen Politik im Syrien-Krieg? Es dreht einem den Magen um. Wie recht hatte doch Hans Küng mit seinem „Projekt Weltethos“, in dem er die Bedeutung der Religionen für den Frieden unterstrich! Wie viel aber bleibt hier noch zu tun?! Und wie oft bleiben die Religionen und insbesondere ihre Führer hinter diesen Ansprüchen zurück?!

Wie sehr wünschte ich, die Religionen würden ihr höchstes Anliegen in die Bestärkung des Friedens legen und jenseits aller Macht- und Einflussfragen tun, was Jesus in der Bergpredigt vorgeschlagen hat! Und wenn es schon nicht gelingt, die Feinde zu lieben, sollte dann nicht wenigstens der Respekt vor deren Menschenwürde die Minimalanforderung christlichen Handelns sein?! Der Krieg in der Ukraine – so ehrlich müssen wir sein – bedeutet nicht nur ein Versagen der Politik, sondern auch des Christentums.

Aber noch etwas beschäftigt mich in diesen Tagen: Wie oft habe ich in der Katholischen Kirche schon das Argument gehört, dass Frauen deshalb nicht zu Priesterinnen geweiht werden könnten, weil das die orthodoxen Kirchen vor den Kopf stoßen würde. Aber was für ein Bild geben die orthodoxen Kirchen in diesen Tagen? Es ist sehr offensichtlich geworden, dass die starke Nummer 1 in der orthodoxen Welt der russische Patriarch Kyrill ist oder dass er es zumindest zu werden droht. Mit dem Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., der der Tradition nach den Ehrenvorsitz innerhalb der Weltorthodoxie führt, hat Kyrill vor Jahren schon öffentlich gebrochen, er hat dessen Namen aus der Gottesdienstliturgie streichen lassen und Mahlgemeinschaft zwischen russisch- und griechisch-orthodoxen Christen für verboten erklärt. Auch in Afrika – und damit im Jurisdiktionsgebiet der alexandrinischen Schwesterkirche – mischt sich Kyrill seit einiger Zeit unzulässig ein. Wo aber bleibt er, wenn es darum geht, das Blutvergießen in der Ukraine zu stoppen und seinem Präsidenten - seinem Freund, wie er ihn nennt - die Friedenbotschaft Jesu in Erinnerung zu rufen? Mir scheint, Religion und Politik geben sich wieder einmal unsäglich die Hand. Das wird Nachwirkungen haben bis in ferne Zeiten. Wir aber sollten jetzt endgültig aufhören, das „ökumenische Argument“ als Hemmschuh für die Umsetzung der Menschenrechte in unserer eigenen Kirche gelten zu lassen und Ökumene vielleicht mehr in Richtung der reformatorischen Kirchen denken, die uns in dieser Frage voraus sind. Denn die Würde aller Menschen ist christlich gesehen wichtiger als die Allianz der Mächtigen. Auch das ist eine Erkenntnis aus dem Ukraine-Krieg.

Harald Prinz