25.04.2007, Univ.-Prof. Dr. Walter Kirchschläger
Liebe Mitchristen,
Die biblische Verkündigung dieses Gottesdienstes führt es uns in aller Deutlichkeit vor Augen: Wir feiern heute Abend ein Mahl – nicht irgendeine Mahlzeit, sondern ein besonderes Mahl.
Ev: Joh 13,1-17; Gründonnerstag 2007; Kastanienbaum
Im Ablauf des Lebens Jesu ist es wohl das Mahl schlechthin, das er da mit seiner Nachfolgegemeinschaft in Jerusalem veranstaltet hat. Was wir über das Mahlverhalten Jesu früher in den Evangelien lesen, wird an diesem Abend gleichsam gebündelt. Wir sollten es uns deshalb kurz in Erinnerung rufen: Das Mahl mit jenen, von denen die Pharisäer sagen, sie seien Zöllner und Sünder, die Bejahung der Tischgemeinschaft mit den Menschen am Rand, aber auch die Mahlgemeinschaft mit Zachäus, dem offenbar begüterten Steuerpächter, oder mit dem Pharisäer Simon, der es sosehr an Liebe mangeln lässt, dass eine Frau aus der Stadt dies mit Salböl und ihren eigenen Tränen ersetzt. Die Kranken brauchen den Arzt, sagt Jesus, und jenen, die sich über seine offene Mahlgemeinschaft mokieren, erzählt er das Gleichnis von dem Vater, der mit seinem heimgekehrten zuvor verlorenen Sohn ein Festmahl feiert.
Es ist tatsächlich unser Glück, dass Jesus sich nicht auf eine Mahlpraxis der Vollkommenheit zurückgezogen hatte – weder früher in seinem Leben noch heute abends. Nur so ist es mög-lich, dass er an jenem Abend eine Tischgemeinschaft zusammenbringt. Der Augenblick ist damals wohl ernst, das wissen alle, die mit ihm nach Jerusalem gekommen sind: die Zwölf, die Frauen, die am nächsten Tag unter dem Kreuz und sodann am Grab stehen, dazu auch andere. Vielleicht sind es 20 oder 30 – wir wissen es nicht genau. Vorschnelle Selektion scheint nicht angebracht – es sei denn, Jesus hätte gerade am letzten Abend seines Lebens seine Praxis geändert, hätte sich mit einigen wenigen zurückgezogen und damit den anderen Frauen und Männern angedeutet, sie sollten für sich selbst zusehen – jenen Menschen, die mit ihm bereits in Galiläa unterwegs waren und die mit ihm bis hierher mitgegangen waren, bis in den Ernst dieses Abends in Jerusalem. Sie könnten wohl selbst diesen schweren Abend bewältigen, ohne ihn… Wer dies folgert, nimmt einen markanten Bruch an im Verhalten Jesu gegenüber seiner Nachfolgegemeinschaft.
Dass ein jüdisches Mahl zu einem besonderen Anlass gedeutet wird, ist nichts aussergewöhnliches. Die Exodusgeschichte, das Mahl mit dem einjährigen Böcklein (vgl. Ex 12,1-13,16), ist dafür wohl ein besonders markantes Beispiel. Auch ein Abschiedsmahl erfährt eine besondere Sinngebung. Gehen wir davon aus, dass Jesus seine Situation richtig einge-schätzt hat, so hat sein Mahl an diesem Abend zumindest auch diesen Charakter gehabt. Einzigartig freilich ist und bleibt die Art der Deutung.
Jesus deutet die Mahlgaben auf seine Person. Brot und Wein als sein Fleisch und Blut, kurz gesagt: als sein Ich. Aber mehr noch. Es geht nicht einfach um eine Umdeutung der Substan-zen – wie das eine spätere Theologie formulieren wird. Es geht darum, dass Jesus sich der Tischgemeinschaft selbst als Speise gibt. Darin, nicht nur im Brot und im Wein, sondern im Vollzug des Essens und des Trinkens, wird Jesus selbst für uns Speise und Trank.
Eben: Es ist ein Mahl. Und dazu gehört es ganz wesentlich und entscheidend, dass gegessen und getrunken wird. Stellen Sie sich vor, Sie sind zu Tisch geladen, machen aber gerade Fast-tag. Ich habe das einmal miterlebt: Es stört, es irritiert – sowohl die Gastgeber als auch die Mahlgemeinschaft.
Mit anderen Worten: Jesus deutet das Brot und das Essen dieses Brotes als die existentielle Teilhabe der Tischgemeinschaft an ihm selbst, an seiner Person; für den Becher und das Trin-ken des Bechers gilt das gleiche. Das ist nicht einfach eine Deutung, sondern mehr. Denn ein Mahl ist ein Beziehungsgeschehen, und dieses Mahl ist es in besonderer Weise. Wer sich in den Vorgang des Brot-Essens konkret vertieft, kann ermessen, wie intensiv der Verbindungs- und Durchdringungsvorgang ist, wenn dieses Brot gegessen wird. Darin, im Essen dieses Bro-tes teilt sich mir das Ich Jesu mit.
Das ist zwar mehr als wir denken können, aber es entspricht all dem, was wir von Jesus von Nazaret wissen. Er lebte auf andere hin, er wollte sich ihnen mitteilen, um Beziehung, Ge-meinschaft aufzubauen – bis hin zu diesem letzten Mahl. Daher geht es ihm nicht nur um die Deutung der Mahlgaben von Brot und Wein; es geht ihm um die Gemeinschaft, die im Essen dieser so gedeuteten Mahlgaben geschaffen wird. Deswegen wird das Brot gebrochen und gegessen und der Becher herumgereicht und getrunken – von „allen“, wie Markus übrigens sogar noch vor der Becherdeutung festhält. – Eben, es ist ja ein Mahl!
Was das zu bedeuten hat? Die Jesusgemeinschaft im Saal mag darüber zunächst gerätselt haben. Mit der Zeit haben sie es begriffen, die biblische Verkündigung dieser Gottesdienstfeier erschliesst es uns in aller Deutlichkeit:
Jesus stiftet in diesem Mahl personale Gemeinschaft zwischen der Tischgemeinschaft und ihm selbst. Er tut dies in einer Stunde seiner Todesgewissheit, wohl wissend um den weiteren Weg, der vor ihm liegt. Das ist herausfordernd, heisst es doch, die Menschen um ihn mit hin-ein zu nehmen in sein Todesschicksal, ihnen Teilhabe zu geben an seinem Ich, das auf den Tod zu lebt – freilich auf einen Tod, der, so wie sein ganzes Leben, nicht um seiner selbst willen geschieht, sondern deshalb, weil er stets für die Menschen da gewesen ist.
Für die Tischgemeinschaft ist dies eine Herausforderung. Es geht ja nicht einfach um Gemeinschaft mit Jesus, sondern um die Gemeinschaft mit diesem Jesus.
… dieser Jesus: Wir müssten jetzt die Evangelien lesen, um das auszuloten. Die Kurzfassung dafür bietet uns die Erzählung von der Fusswaschung. Sie sagt uns in anderer Bildhaftigkeit ähnliches. Es ist ein dienstbereiter Jesus, und sich auf ihn einzulassen, heisst, so zu tun, wie er an uns getan hat, also füreinander da zu sein, notfalls bis zum Waschen der Füsse, ja notfalls bis zum Einsatz unseres Lebens.
Vielleicht wäre es sinnvoll, die immer wieder gestellte, scheinbar so brennende Frage nach der so genannten Würdigkeit für das Herrenmahl durch die Frage zu ersetzen: Sind wir bereit, wollen wir mit diesem Jesus existentielle Gemeinschaft eingehen – das wäre doch das Kriterium für die Mitfeier dieses Mahles. Da geht es um die existentielle Bereitschaft einer Umkehr in einem weit umfänglicheren Sinne als üblicherweise gemeint.
In der Stunde dieses letzten Mahles Jesu ist aber nicht nur das Wissen um den Tod. Da ist auch, selbst und gerade in dieser Stunde, die Zuversicht, dass Gott, den Jesus als Vater erkannt und erfahren hat, dass Gott ihn hält und trägt, selbst angesichts des Todes und wohl darüber hinaus. Es ist also neben der Todesgewissheit auch eine Todeszuversicht zu spüren. Tisch-, Mahl- und damit Personalgemeinschaft mit Jesus ist dann in dieser ernsten Stunde tatsächlich auch eine Einladung, an dieser hoffenden Zuversicht teilzuhaben, dass Gott treu bleibt, auch im Tod. Wäre diese Haltung in Jesus nicht zu orten – z. B. eben in der Tatsache, dass Jesus überhaupt dieses, ein solches Mahl mit seiner Gemeinschaft feiert – das ganze Passionsgeschehen wäre tatsächlich fatal.
So aber steht es in der Spannung von Einladung und Herausforderung, in der Spannung der Todessituation und der ungebrochenen Hoffnung, der selbstlosen Liebe Jesu und der staunen-den Teilhabe seiner Nachfolgegemeinschaft.
Die frühe Kirche hat das offensichtlich verstanden. Sie hat in der Feier des Herrenmahles und im Verzehr der Herrenspeise sich mit Jesus Christus, mit dem gekreuzigten und auferstande-nen Herrn, verbunden, eben in eins gewusst. Zurecht hat sie darin seit Paulus die Mitte ihrer Gemeinschaft erkannt, wusste sie sich doch selbst, weil in Teilhabe an dem einen Brot, als der Leib Christi. Eucharistie ist deshalb der Ernstfall von Kirche. Oder: Was Kirche ist, erfahren wir in der Feier des Herrenmahls – nicht als einer Feier der Vollkommenen, die schon am Ziel sind, sondern als Stärkung auf dem Weg für alle, die danach verlangen. Das Ärgernis dabei sind nicht zu weite Grenzziehungen, sondern zu enge Ausgrenzungen.
Das letzte Grosse Konzil hat für uns dieses Verständnis der Eucharistiefeier wieder gewon-nen, auch wenn es sich nur unzureichend in den Texten der Messfeier niedergeschlagen hat. Heute machen sich bis in die höchsten Etagen der Kirchenleitung erneut wieder andere, die alten Töne bemerkbar. Aber Jesus von Nazaret hat im Abendmahlssaal keinen Kult gefeiert. Das Staunen gilt nicht einem „Opfer“ – und sei es auch als noch so einzigartig oder groß gedacht - , sondern es gilt seiner Einladung zum Mahl und dem Mahl selbst. Wir stehen „am Abend vor seinem Leiden“, der Karfreitag liegt noch vor uns. Und auch dieser muss erst noch einmal gedeutet werden.
Was uns alle zum Leib Christi verbindet, ist das gemeinsame Sitzen an diesem Tisch, als Gemeinschaft derer, die Jesus Christus, die diese personale Speise essen und trinken, die sich dazu einladen und herausfordern lassen von diesem Jesus von Nazaret, diesem Jesus Christus.
Das gilt auch heute abends. So gehen wir Lebens-, Todes- und Auferstehungsgemeinschaft mit Jesus Christus ein. Mit dieser Mahlfeier eröffnen wir Ostern.
FÜRBITTEN
Gott,
an diesem Abend scheinen wir im Geheimnis deines Handelns zu versinken. Das Mahl, das dein Sohn Jesus mit den Seinen gefeiert hat, gibt uns Halt und Orientierung. Im Suchen nach dem Verstehen bitten wir:
Lass uns verstehen, dass das Grundmotiv deines Handelns Liebe ist und dass dein Sohn Jesus Christus stets für uns gehandelt hat – in seinem Leben, in seinem Tod, in seiner Auferstehung.
Du bist ein Gott, der uns zu Tische lädt. Halte in uns bewusst, dass dieses Angebot der Ge-meinschaft beides enthält – Einladung wie Herausforderung.
In der Feier und im Essen dieses Mahles erleben wir Anteil an deinem Sohn. Bewahre uns vor Achtlosigkeit, und ermutige uns zugleich, an diesem Tisch zu essen.
Unzählige Menschen vor uns haben aus der Eucharistie gelebt. Schenke ihnen, was auch wir erhoffen: die endgültige, himmlisch-festliche Mahlgemeinschaft mit dir.
Guter Gott,
In dieser Mahlfeier verkünden wir den Tod und die Auferstehung deines Sohnes, bis er kommt. Deswegen legen wir dir unsere Bitten vor.
Amen.