27.10.2012
Johannes Wahala las nachstehenden Text, den der in Österreich lebende und als beauftragter Priester für Homosexuelle der Erzdiözese Wien und als Rektor in St. Ruprecht wirkende niederländische Priester Joop Roland von einem "eher konservativen Priester" aus Joppe in den Niederlanden erhalten hatte, beim Lainzer Kreis im Oktober 2012 vor:
Früher war das alles ein Tabu. Zu viele Menschen mussten in die Ehe fließen, mit allem damit verbundenen Kummer. Andere sperrten sich ganz vor irgend einer Freundschaft ab. Sie wollten nicht, dass man ihre Veranlagung entdecke. Und so sind viele verbittert, denn kein Mensch kann ohne die Freundschaft eines anderen Menschen leben. Einmal war ich am Sterbebett eines alten homosexuellen Mannes. Er hatte seine Veranlagung sein ganzen Leben verschwiegen. Natürlich hatten seine Geschwister wohl ihre Vermutung gehabt. Aber das Thema war tabu.
Seine Eltern hatten nie etwas geahnt. Er hat ihnen immer erzählt, dass er gerne Priester werden wollte, dass seine Fähigkeiten dazu aber nicht ausreichen. Seine Eltern hatten ihm geglaubt und ihn immer mit einer Mischung von Kummer und Respekt betrachtet. Sie hatten ihren Sohn hoch geachtet, weil er seinem Ideal Priester zu werden treu geblieben war, in dem er nicht heiratete. Sie hatten Kummer mit seiner Einsamkeit. Was sollte aus ihm werden, wenn es seine Eltern nicht mehr gäbe?
Er hatte seine Geschwister heiraten gesehen, er hatte gesehen, dass sie Kinder bekamen. Das waren oft schwere Tage für ihn. Auch er hätte so gerne die Freundschaft eines anderen erfahren. Auch er hätte so gern jemanden gehabt, mit dem er reden hätte können. Demgegenüber er ehrlich sein konnte. Auch er hätte so gern einen Arm um seine Schultern gespürt. Zusammen mit jemandem im Leben stehen. Aber es durfte nicht sein. Es durfte nicht sein, wegen der Menschen, wegen der Kirche, wegen der Eltern und auch seinetwegen. So durfte man nicht sein. Dann war man gebrandmarkt und verdammt.
Als alles offener wurde und die Menschen mehr Lebensraum bekamen, waren seine Jahre vorbei. Er musste zuschauen, wie die jungen Leute wohl glücklich ihren Weg gehen konnten. Er, der so gerne gewollt aber nicht gedurft hat. Wie gerne wäre er jung gewesen in diesen Tagen. Aber seine Tage waren vorbei.
Einige Wochen vor seinem Tod brachte ich Freundschaft vorsichtig ins Gespräch. Eine seiner Schwestern hatte mir über ihre Vermutungen erzählt. Auch sie, die Geschwister, hatten unter seinem Schweigen gelitten. Auch sie hätten ihrem Bruder etwas Wärme und Zuwendung vergönnt. Aber auch sie hatten sich nie getraut darüber zu reden. Er wollte das Gespräch nicht mehr, wollte kein Wort über Freundschaft hören. Er hatte seine Gefühle beerdigt. Was er lebte, lebte er ausschließlich in seinem Kopf. Er wollte auch nicht, dass Menschen ihn berühren. Sprechen reiche oder besser, schweigend zusammen sein.
Irgendwann kam dann doch das Verlangen nach Freundschaft zur Sprache. Er sprach über seinen eigenen Schmerz. Nur ein paar Sätze sprach er über all das, wonach er immer verlangte, einen wirklichen Freund. Es durfte nicht sein, sagte er leise. Ich war anders. Das war eine Schande, für meine Eltern, für meine Familie, für mich. Dann schloss sich wieder die Türe seines Herzens.
An einem kalten Morgen haben wir uns von ihm verabschiedet. Wer er war, wonach er verlangte und was ihm als Mensch hätte lieb sein können nahm er in die Stille seiner letzten Ruhestätte mit.
Wenn wir es wirklich gewusst hätten, sagten seine Brüder und Schwestern später, dann hätten wir ihm jene Freundschaft vergönnt. Wirkliche Liebe ist nie anders. Aber es war zu spät, er war zu alt. Er hatte die Zeit gegen sich. Er musste in der Stille mit seinem großen Geheimnis weiter leben und bekam nie, was er so oft verlangt hatte.
Später sprach ich noch mit einer seiner Schwestern. Seit seinem Tod hatte sie oft über das Unrecht, das ihm zugefügt wurde, gegrübelt. Auch durch ihr Schweigen. So ist es oft, dass Andere – wie dem auch sei – wird totgeschwiegen. Und so gehen Menschen zugrunde in der Stille. Den Schein aufrechterhaltend für die Familie und für sich selbst aber mit einem Leiden, das große Opfer verlangt. Zu groß und oft überflüssig.