18.09.2011
Als erste Frau durfte Elisabeth Rathgeb am Festtag der Tiroler Landesheiligen Notburga in Eben am Achensee die traditionelle "Söllerpredigt" halten. Siehe dazu auch den Bericht vom ORF-Tirol.
Elisabeth Rathgeb wurde 2004 von Bischof Scheuer mit der Leitung des Seelsorgeamtes der Diözese Innsbruck betraut und war damit österreichweit die erste Frau in einer derartigen Position.
Liebe Notburga-Festgemeinde,
ich begrüße Sie alle sehr herzlich und freue mich, heute hier die Predigt halten zu dürfen.
Die hl. Notburga hat in meiner Familie einen besonderen Platz: Meine Oma mütterlicherseits war eine Notburga. Meine Mutter ist in Rotholz am Fuß der Rottenburg aufgewachsen, und mein Onkel war in jungen Jahren als Helfer und Handlanger von Kaplan Ludwig Penz am Bau der Kapelle auf der Rottenburg beteiligt.
So kommt in meiner Familie mütterlicherseits die hl. Notburga ganz oben und gleich danach Kaplan Ludwig Penz.
Deshalb gehört die hl. Notburga neben meiner Namenspatronin Elisabeth und meinem Kontaktlinsen-Patron Antonius zu meinem persönlichen BeraterInnenstab, mit dem ich in verschiedenen Situationen Zwiesprache halte. „Zwiesprache halten“ heißt auf gut katholisch „Beten“ – zumindest ist es ein Teil davon. Und weil ich – außer im Gottesdienst und beim „Vater unser“ - nie auf Hochdeutsch bete, werde ich diese Predigt jetzt auch nicht auf Hochdeutsch halten. Ich denke, die hl. Notburga – geborene Rattenbergerin, Chefköchin auf der Rottenburg und bäuerliche Magd in Eben - versteht mich so auch besser.
Das mag ich so an der Hl. Notburga: Man kann mit ihr „auf Du und Du“ reden.
Aber Achtung: Notburga ist keine „Kuschel-Heilige“. Sie kann ziemlich unbequem und radikal sein. Deshalb ist ein Gespräch mit ihr immer mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Soviel zur Vorwarnung...
Hallo Notburga, Griaß di,
heute ist eine E-Mail aus Eben gekommen: Ich soll an deinem Feiertag die Söllerpredigt halten. Aber ich glaube, ich trau’ mich nicht. Was meinst du dazu?
Himmel, bist du ein Feigling! Wieso denn nicht?
Das tun nur Männer – und zwar Priester-Männer. Und da nehmen sie auch nicht jeden – der vom letzten Jahr wird im Oktober in Brixen zum Bischof geweiht.
„Ich trau’ mich nicht“ gibt es nicht: Was hätte denn ich da sagen sollen? Ich als einfache Magd – keinen Hof, keinen Adels-Titel, keinen Mann. Weißt du, was das zu meiner Zeit für eine Frau bedeutet hat?
Und trotzdem habe ich getan, was mir der Hausverstand und mein Gewissen gesagt hat. Auch, wenn’s nicht immer leicht war.
Notburga, woher hast du den Mut dafür genommen?
O mei, o mei, die Theologen heutzutage…
Hast du noch nie davon gehört, dass „sich trauen“ von „ver-trauen“ kommt? Und zwar von Gott-Vertrauen, nicht nur von Selbst-Vertrauen.
Deswegen: Ich trau’ mich nicht – das gibt es nicht.
Und was soll ich den Tirolerinnen und Tirolern von dir als ihrer Landesheiligen ausrichten?
Das haben wir doch gerade besprochen – es reichen 3 Sätze:
1.) Traut’s enk!
2.) Sich trauen kommt von Gott-Vertrauen.
3.) Vergesst die Armen nicht!
Notburga, des soll eine Predigt werden, kein Telegramm! Da bin ich ja viel zu früh fertig. Was sollen sich denn die Leute denken?
Wenn du fragst, was sich die Leute denken sollen, bist du sowieso auf dem falschen Dampfer. Frag eher, was sich Gott denkt. Und wenn dir der zu weit weg ist, frag’ den Jesus.
Notburga, du hast aber viel Vitamin B – sprich ziemlich gute Beziehungen. Wie hast du denn das geschafft?
Ganz einfach: Beziehungen brauchen Zeit. Zeit zum Reden. Und reden mit Gott heißt Beten. Aber das muss ich dir als Seelsorgeamtsleiterin wohl nicht erklären?
Nein, Notburga, das verstehe ich schon. Aber das Problem ist, dass heute niemand mehr Zeit hat. Und schon gar nicht zum Beten. Es läuten zwar noch drei Mal täglich die Glocken zum Betläuten, aber viele wissen gar nicht mehr, wozu das gut ist. Und am Sonntag werden die Kirchen auch immer leerer.
Oje, oje, was ist denn das für ein Gesumse und Gejammere? Damit kommst du nicht weiter. Tu es einfach!
Was denn?
Beten, wenn es dir wichtig ist. In den Gottesdienst gehen. Wirf nicht den anderen vor, dass sie es nicht tun. Wirf die Sichel in die Luft und tu es!
Notburga, ich arbeite nicht mit der Sichel, sondern meistens mit dem Computer. Und der hält es nicht aus, wenn man ihn in die Luft wirft.
Siehst du, du hast kein Gottvertrauen. Aber du kannst ihn ja auch einfach herunter fahren, den Computer, so sagt man doch?
Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass sich jeder Christ und jede Christin für seinen/ihren Glauben einsetzen kann – an seinem Arbeitsplatz, auf dem Feld, am Stammtisch oder im Fußballverein.
Botschaft Nr. 1 an die Christen und Christinnen in Tirol: Traut’s enk!
Notburga, wie stellst du dir das vor? Weißt du nicht, dass es heute auch in Tirol in manchen Kreisen nicht mehr „in“ ist, Christ zu sein?
Und nach dem Missbrauchs-Skandal letztes Jahr muss man sich ja fast schämen, zu sagen, dass man katholisch ist.
Ja, das verstehe ich schon, dass das heute schwerer ist als zu meiner Zeit. Aber Christ ist man ja nicht, weil es „in“ ist. Sondern weil einem Gott wichtig und Jesus ein Vorbild ist. Und weil es meinem Leben Wurzeln und Halt und eine Richtung gibt. Und weil es für den Zusammenhalt in der Gemeinschaft gut ist. Deswegen war es mir zu meiner Zeit wichtig, dass ich meinen Glauben öffentlich leben kann – du hast ja schon die Geschichte mit der Sichel erwähnt.
Und deshalb solltet ihr euch heute dafür einsetzen, dass alle ihren Glauben leben können – Christen und Moslems, ohne Unterschied.
Notburga, du bist die Tiroler Landesheilige, hast du das vergessen?
Ich habe in den letzten Jahrhunderten schon viele Kämpfe und Kriege gesehen in Tirol:
Da wollten 1809 die Bayern und Franzosen unter Napoleon im Namen der „Aufklärung“ die Weihnachtsmette abschaffen, da haben unsere Katholiken unsere Protestanten aus dem Zillertal und dem Defreggen-Tal verjagt, da hat man im sog. „Dritten Reich“ einen Otto Neururer, einen Jakob Gapp, einen Carl Lampert und viele andere ins KZ geliefert und umgebracht, weil sie sich für ihren Glauben eingesetzt haben…
Meinst du nicht, dass es Zeit ist, etwas daraus zu lernen?
Klar meine ich das, aber das ist nun einmal nicht mehrheitsfähig!
Wenn der Bischof sagt, Ausländerfeindlichkeit ist mit dem Christsein unvereinbar, bekommt er Beschwerdebriefe.
Und wenn ein Politiker das sagt, wird er nicht mehr gewählt.
Was ist denn das für ein Wort für eine Christin – mehrheitsfähig?
Jesus hat sich nicht an der Mehrheit orientiert. Sein Auftrag war eindeutig: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Egal, woher der Nächste kommt.
Notburga, sprich Klartext: Was soll das jetzt bei diesem Thema konkret heißen?
Christen und Christinnen müssen sich nicht fürchten vor fremden Menschen mit einem anderen Glauben. Menschen, die beten, haben das wichtigste gemeinsam: Gott. Was soll sie also trennen?
O mei, o mei, Notburga, das wird eine heiße Predigt. Da schießen sie mich vom Söller herunter.
Und wenn? Auf der Rottenburg haben sie mich auch einmal davon gejagt.
Aber lieber davon gejagt als das Gewissen verbogen und die Botschaft Jesu verraten...
Notburga, du bist mir einfach zu radikal…
Ja, radikal ist ein gutes Wort. Da steckt doch das Wort Wurzel drin, oder?
Das meine ich mit Gott-Vertrauen: Wer in Gott verwurzelt ist, hat einen guten Stand. Er muss sich nicht fürchten. Er hält auch einen Sturm aus. Es reißt ihn nicht so schnell etwas um. Deshalb meine 2. Botschaft: „Sich trauen kommt von Gott-Vertrauen.“
Starke Wurzeln sind gut gegen die Angst. Und es wundert mich nicht, dass heute viele Leute Angst bekommen – in einer Welt, die so kompliziert geworden ist wie die eure… Ja, ja – heute verliert man trotz Fernsehen und Internet leichter den Überblick als zu meiner Zeit.
Apropos Überblick, Notburga – du hast ja jetzt eine große, weite Perspektive: Stimmt es, was ein berühmter Theologe gesagt hat? „Wer in Gott eintaucht, taucht neben den Armen wieder auf?“
Hm, ja – das hat er schön gesagt. Ja, er hat’s kapiert: Beten allein macht noch keinen Christen und keine Christin. Wenn das Beten keine Konsequenzen hat, ist es für die Fisch. Aber damit sind wir ja genau bei Punkt 3 meiner Botschaft: Vergesst die Armen nicht! Und davon habt ihr heute ja wirklich genug – es ist ein Skandal und eine Schande, wie ihr die Flüchtlinge vor Lampedusa ersaufen lasst und die Armen in Afrika verhungern!
Notburga, es heißt „ertrinken“ und nicht „ersaufen“. Und jetzt schimpf’ nicht – was sollen wir denn machen? Es ist einfach zu viel Elend.
Da fühlt man sich nur noch ohnmächtig – schau nur einmal „Zeit im Bild“. Danach hast du selber die Krise vor lauter Krisen: Wirtschaftskrise, Eurokrise, Schuldenkrise. Globalisierungskrise, Klimakrise, Hungerkrise. Korruption, Nahrungsmittelspekulanten und dazwischen jede Menge Investment- Fonds-Haie.
Oje, davon verstehe ich jetzt wirklich nichts.
Aber eines weiß ich ganz sicher: Jeder und jede kann etwas tun. Niemand ist ohn-mächtig. Egal ob groß oder klein, Mann oder Frau, unten oder oben.
Notburga, wir bemühen uns ja eh: Da gibt es die Sr. Konstantia und ihre Notburga-Gemeinschaft.
Da gibt es hunderte Sozialkreise, Vinzenzgemeinschaften, die Schützen und andere Ehrenamtliche in unseren Pfarren und Gemeinden, die sich um Menschen in Not in Tirol kümmern.
Da gibt es Mindestsicherung und viel Unterstützung vom Land.
Und hast du schon gehört, dass die Caritas-August-Sammlung für die Hungernden in Afrika ein sensationelles Ergebnis in Tirol erzielt hat?
Ja, da bin ich stolz auf euch!
Die Solidarität ist groß. Auch mit denen, die in Tirol in Not sind, obwohl es euch ja viel besser geht als zu meiner Zeit. Nur habe ich oft den Eindruck, dass die Menschen das gar nicht zu schätzen wissen. Ich höre wenige Dankgebete.
Aber trotzdem bleibt meine 3. Botschaft: Vergesst die Armen nicht!
Die Schere zwischen Arm und Reich darf nicht noch weiter auseinander gehen.
Ja, Notburga, ich werde es unserem Landeshauptmann sagen.
Der gehört ja auch zu einer christlich-sozialen Partei. Aber die will keine Vermögenssteuer ab 1 Million Euro. Verstehst du das, Notburga?
1 Million Euro? Da wären die Armen vor der Rottenburg längst verhungert, wenn ich gewartet hätte, bis ich soviel Geld auf der Kante gehabt hätte.
Aber vielleicht macht die Partei ja vor ihrer nächsten Klausur eine Wallfahrt zur Kapelle auf die Rottenburg, dann könnten wir miteinander über die Bedeutung von „Christlich-Sozial“ nachdenken…
Und noch etwas: Keine Ausreden mit dem Landeshauptmann oder „denen da oben“. Jeder und jede kann etwas tun, du auch.
Oje, Notburga, jetzt hast du mich erwischt. Ich weiß ja, dass du manchmal ganz schön lästig sein kannst. Aber es wäre halt so praktisch, immer einen Sündenbock zur Hand zu haben, der Schuld ist…
Noch eine vorletzte Frage, Notburga: Was sagst du zu unserer aktuellen Kirchenkrise?
Wieso Kirchenkrise? Sei froh, dass Menschen diskutieren und sich interessieren.
Aber apropos Sündenbock: Das ist ein gutes Stichwort. Ich werde das Gefühl nicht los, dass bei euch immer jene die Sündenböcke sind, die auf Probleme aufmerksam machen und sich darum kümmern wollen.
So war es auch bei mir auf der Rottenburg: Die neue Herrin hat mich davon gejagt, weil ich mich um die Armen gekümmert habe. Aber die Armen sind geblieben.
Notburga, den Zusammenhang verstehe ich jetzt nicht ganz.
Was meinst du, wie geht es weiter?
Es geht weiter, wenn man sich den Problemen stellt und nicht, wenn man sie tot schweigt. Es geht ja nicht um die Kernfragen des Glaubens, sondern nur darum, wie man die Botschaft Jesu ins Heute übersetzen kann. Also macht die Hausaufgaben, die seit 40 Jahren anstehen und widmet euch danach wieder mit voller Kraft dem Wesentlichen.
Und noch etwas – das gilt jetzt für Kirche und Politik: Es geht gut weiter, wenn sich alle gemeinsam kümmern um das, was ansteht:
Die „unten“ und die „oben“, die „Linken“ und die „Rechten“.
Und wenn alle, die im Trockenen sitzen, auch an die denken, die im Regen stehen.
Notburga, ich habe den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden.
Nur noch eine letzte Frage: Weißt du, wieso gerade du unsere einzige Tiroler Landesheilige bist?
Nein, das wundert mich eh bis heute.
Aber vielleicht ist es gerade das, was den Menschen hilft: Dass auch die scheinbar Kleinen und Unwichtigen für andere Großes und Wichtiges tun können. Sonst hättet ihr mich in den 698 Jahren seit meinem Tod sicher längst vergessen.
Das gibt den Menschen Hoffnung. Und das macht ihnen Mut. Deshalb bin ich gerne eure Landesheilige: Für Glauben, Mut und Hoffnung stehe ich gerne gerade und übernehme ich gerne die Patronanz.
Notburga, danke für das Gespräch.