17.04.2008, Mag. Markus Schlagnitweit
Schwestern und Brüder!
„Weltgebetstag für geistliche Berufe“ steht heuer so wie jedes Jahr als Motto über dem 4. Sonntag der Osterzeit. In Zeiten wie diesen und in kirchlichen Regionen wie der unseren mutiert das Gebetsanliegen „für“ nahezu automatisch und verständlich zum Gebet „um“ geistliche Berufe: Denn das Durchschnittsalter der Geistlichen in unseren Breiten erhöht sich fast schon im Gleichschritt mit den absoluten Jahreszahlen und liegt mittlerweile bei gut 63 Jahren; ich gehöre mit meinen 45 Jahren immer noch zum jüngeren Eisen; und wenn überhaupt noch Jüngere nachkommen, hat man – offen gesagt und ohne jemanden verletzen zu wollen – nicht den Eindruck, dass es immer die Geeignetsten und Brauchbarsten sind.
Ein Unternehmen, das hilflos und ohne Aussicht auf eine Trendumkehr mit ansieht, wie sein Leitungspersonal sich kaum noch nennenswert erneuert und kräftemäßig ausrinnt – ein solches Unternehmen hat ein ernsthaftes Problem. Und weil das mittlerweile nicht mehr nur die alternden Geistlichen selbst am eigenen Leib erfahren, sondern weil auch immer mehr Gemeinden v.a. personell davon betroffen werden, beschränkt sich wenigstens ein Teil der kirchlichen Basis aus echter Mitverantwortung für das Wohlergehen ihrer Gemeinden nicht mehr allein aufs Beten, sondern beschreitet auch andere Wege: Im Laufe des vergangenen Jahres etwa haben mehrere oberösterreichische Pfarrgemeinderäte ihrer Sorge um geistliche Berufe in Briefen Ausdruck verliehen – offene Briefe an den Bischof, den päpstlichen Nuntius und den Vorsitzenden der Bischofskonferenz Kard. Schönborn, in denen dringend v.a. für Änderungen der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt plädiert wird. Bekanntlich scheinen für unsere Bischöfe die zumindest physiologische Männlichkeit und die Bereitschaft zur Ehelosigkeit dzt. ja die wichtigsten unter diesen Bedingungen zu sein; und an sich wären doch auch andere Eignungskriterien als sinnvoll vorstellbar – oder etwa nicht?
Dieses Drängen der Pfarrgemeinderäte ist offenbar bis Rom gedrungen und hat mittlerweile auch eine Antwort gefunden – eine Antwort allerdings nicht unähnlich der kolportierten Reaktion Kaiser Franz Josephs auf die revoltierenden Bürger des Jahres 1848: „Ja, dürfen’s denn das?“ – Ich habe jedenfalls Kenntnis erhalten vom Brief einer vatikanischen Kongregation, dessen Inhalt sich – allen Ernstes! – in etwa wie folgt zusammenfassen lässt: Die werten Pfarrgemeinderäte mögen sich gefälligst auf ihre – zumindest in römischen Augen – eigentliche Zuständigkeit beschränken, nämlich die Beratung ihrer Pfarrgemeinden. Die Beratung der Bischöfe stehe ihnen hingegen nicht zu. Man könnte auch sagen: Die Sorge darum, wie es mit der sinnvollen Wahrnehmung der Leitungsaufgaben in ihren Gemeinden in naher Zukunft weitergehen soll, sei nicht ihre Sache. Wir könnten uns also auch fragen: Warum dann überhaupt noch darum beten? – Ist ja nicht unsere Angelegenheit…
Als ich von diesem Brief aus Rom gehört habe, war mein erster bitterer Gedanke: „Entfremdung“ – totale Entfremdung der römischen Kirchenleitung nicht nur von den Sorgen und Anliegen der kirchlichen Basis, sondern auch in den deren Handeln jeweils bestimmenden Kirchenbildern: Hier kirchlich engagiertes „Bodenpersonal“ – Laien wie niederer Klerus, die ein hautnah erlebtes Problem nicht mehr länger nur mit ansehen wollen, die aus echt gefühlter Mitverantwortung für eine gedeihliche Zukunft ihrer Gemeinden nach neuen Wegen und Lösungen suchen; dort eine in ihrem Monarchismus seltsam anachronistisch wirkende „Chefetage“, welche die Kirche offen oder insgeheim als ihr Eigentum und ihre ausschließliche Zuständigkeit sieht, die das „niedere Personal“ intern höchstens für niedere Hilfs- und Handlangerdienste braucht und es ansonsten v.a. extern beschäftigt wissen will, die aber nicht sieht, dass das Unternehmen in seiner Erstarrung und Entwicklungsunfähigkeit diesen „Außendienst“ selbst immer schwieriger macht und den „Außenarbeitern“ auch keinerlei notwendige Unterstützung mehr zu geben vermag.
Entfremdung! – Beklemmend dazu das Wort aus der heutigen Evangelienstelle: „Einem Fremden aber werden sie (i.e. die Schafe der Herde) nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme des Fremden nicht kennen.“ Ist damit etwa die Zukunft unserer Kirche beschrieben? Anzeichen für die hier angedeutete Fluchtbewegung gibt es ja zuhauf.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, es tut mir leid; aber an einem Sonntag, der die geistlichen Berufe in unserer Kirche thematisiert, der aufgrund einschlägiger Bibelstellen auch „Guter-Hirten-Sonntag“ heißt – an so einem Sonntag fällt es mir von Jahr zu Jahr schwerer, mich in meinen Predigten vor bitterem Sarkasmus zu bewahren, und ich fürchte, dass es vielen meiner Berufskollegen ähnlich ergeht. Es gibt also durchaus gute Gründe, an diesem Weltgebetstag doch auch verstärkt „für“ die geistlichen Berufe, sprich: für uns Geistliche zu beten und nicht nur „um“ solche.
Mir kommt da aber noch eine Idee: Wir sind aktuell Zeugen dafür, wie der olympische Fackellauf, der ja ursprünglich Einladung zu Völkerverständigung und friedlichen sportlichen Wettkämpfen sein will – wie dieser Fackellauf angesichts eines olympischen Gastlandes, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, zum Anlass wird für politische Protestbewegungen im Namen echten Friedens in Gerechtigkeit, also genau im Namen des ursprünglichen olympischen Anliegens. – Vielleicht müssen wir mit unserem Weltgebetstag für geistliche Berufe in Zeiten wie diesen ähnlich verfahren: Ohne sein positives Anliegen selbst in Frage zu stellen – muss uns dieser Tag gegenwärtig nicht zum Anlass werden für herdenmäßigen Protest und Ungehorsam, und zwar gerade im Namen seines ursprünglichen Anliegens und eines Evangeliums, in dem der eine gute Hirt, dem wir vertrauen, seinen Herden (und was anderes ist damit wohl konkret gemeint als die christlichen Gemeinden?) zusichert, er sei gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. In Fülle – und nicht unterworfen der eifersüchtig geifernden Disziplinierungswut seiner angeblichen Stellvertreter! Amen.
gehalten am: 4. Ostersonntag – Lesejahr A: evt. Ez 34 / Joh 10,1-10, Linz – Ursulinenkirche, 13. IV. 2008; weitere Informationen unter : http://w3.khg.jku.at/schlagnitweit/