Der Wein ist schon im Keller

 
Hubertus Halbfas (1932-2022)

In Memoriam - von Günther Doliwa
Eine beeindruckender persönlicher Einblick in Wirkens und Bedeutung von Hubertus Halbfas
aus: Günther M. Doliwa, Hätte aber Liebe nicht 2020 S.269ff

Vor allem sich selbst ist er treu. Konsequent setzt er um, was er einmal schmerzhaft erkannt hat. Nimmt er den Glaubensverlust wahr, kann ihn nichts davon abbringen, eine radikale Kurs-Korrektur vorzunehmen, vor der die meisten in der Kleriker-Kirche zurückschrecken und lieber „so weiter machen“. Er leistet „Aufklärung und Widerstand“. War er jemals nicht im Abseits!? Immer wenn er seine eigenen wohl durchdachten Deutungen vorbringt, melden sich seine amtlichen Vorgesetzten und treiben ihn in die Häretiker-Ecke. Halbfas spricht in seinen Memoiren von „Herrschaftskirche“ (So bleib doch ja nicht stehn 2015, S.199), bereits im Jahr 1970. Sie sei „in ihrer Rechtsverfassung, Doktrin und Moral ein Werk des Gesetzes“. Er hat erkannt, „dass die bisherige Kleriker-Kirche ein Auslaufmodell ist“ (370). Er verwendet bereits in den 60er Jahren eine „selbstmörderisch-offene Sprache“ (KNA). Damals, um die Studentenrevolte herum. Er scheint mir kühner als Küng gewesen zu sein. Der legte kein großes Wort für ihn ein. Rahner drückt und biegt sich um ihn herum.

Glaube habe stets „welterschließende Funktion“ (195). Aufgaben der Kirche wären: „Not zu lindern und durch tätige Liebe den Geist Jesu zu bezeugen“ – aber in welchen Entwürfen? Das Evangelium sei in babylonischer Gefangenschaft, von wegen Triebkraft für Humanität, Aufklärung und Emanzipation! Reformer unterlägen einem verbissenen Wunschdenken. Es fehlt „eine Revolution in den Köpfen.“ (198)

Die Gottesfrage verlegt er ins Innerste des Menschen. Er verwirft den Dualismus von Diesseits und Jenseits. Was, wenn Gott nicht dies und das, sondern unser tiefstes Wesen wäre!? So fragt er mit den Mystikern wie Eckart. „Der Wein Gottes ist immer schon im Keller.“ (242) Wo die Schönheit Gleichnis ist und Leben zum Leben spricht. Bei Tisch holt der Frieden tief Atem. Von Wurzelwerk und Labyrinth wissen jene nichts, die im Denken stagnieren, Entwicklungen nicht mitvollziehen, lieber dogmatisch hinrichten.

Die Bibel ist nicht mehr das unantastbare heilige Buch der Messe. Erkenntnisse „zwingen zu einer Revision der bisherigen Deutung und Bewertung der Bibel als inspiriertes Wort Gottes, wie es die Liturgie immer noch beansprucht.“ (313) Da sei viel Ungereimtes, Abstoßendes, Unbarmherziges drin. Aber er besteht darauf, dass es „ohne dessen Kenntnis keine kulturelle Kompetenz geben kann.“ (314) „Heute stehen Christen im Dialog mit der Bibel, nicht unter ihrem Diktat.“ (314) Sprache lebt von Erzählweisen, Gattungen, Mustern. Er fragt: Welche Erzählmuster liegen in einem Text vor? Nicht: Für wie heilig müssen wir diesen Text halten? Glaube ist für ihn kein Betriebssystem, da wären seine Inhalte „ausgestopfte Präparate“ (394).

Wo bleiben prophetisches Ungestüm, Anregungskraft, Poesie, Alltagsrelevanz? Um den Formelbestand aufzubrechen, müssten wir: 1. Das mythische Erzählen wiederfinden. 2. Die Lücke im Credo füllen (Jesu Leben). 3. Die vergegenständlichte Rede von Gott überschreiten (keine Diesseits-Jenseits-Spaltung).

Lass Gott um Gotteswillen fahren! Er beklagt den völligen Ausfall innovativer Theologie. (378) Über neue pastorale Räume sagt er: Dahinter steckt der pure Mangel. (371) Es handelt sich um eine Erosion des religiösen Lebens. Der Ansatz beim Pfarrer geht in die Leere, zumal das Begabungsprofil konservativer wird. Zusammenschmelzen von Pfarreien mache Kirche unkonkret. Kirche wird nur noch behauptet. Formel: Kirche weg – Leute weg! Er empfiehlt das Modell Poitiers (S.372f) Der Erzbischof entwickelte 1994-2011 ein Modell für priesterlose Gemeinden: Pro Gemeinde fünf Verantwortliche; Gemeinde wird gebildet, um das Evangelium zu leben. Pfarrer ist abgeschafft, weil sonst die Laien nur Gehilfen bleiben. Dienst ist Aufgabe von allen. Glaube ist primär Praxis. Der idealisierte Blick nach rückwärts genügt nicht. (376)

Vorbei sind die Zeiten von Kirche „als sakral begründeter Herrschaft, in der christliche Freiheit zu Gehorsam werde.“ (385) Der Can.208 (CIC) rede von der Taufwürde, stufe aber ab nach Stand und Geschlecht. Der allgemeine Autoritätsschwund mit Glaubensgehorsam müsse weichen zugunsten mehr Partizipation, die alle Teilnehmer ernst nimmt.

Opulent und monumental seine kommentierte Bibel, astreine Schürfarbeit, alles nah am Puls der Zeit, so glasklar, so unbequem, so „jesuanisch“. Er favorisiert einen Mut, einen Glauben, „der die Kraft gibt, Erschrecken, Unverständnis, Kopfschütteln und Tadel aller, die im Boot sitzen, auszuhalten.“ (Ebd. 97) Nur wer aussteigt aus dem sicheren Boot samt Steuermann und Segel, kann sich selbst erfahren. Der Vorausdenker, Anreger, Vielarbeiter ist erfahren in der Kunst des Kelterns, ein „bleibender Bote“, mit Rilke zu rühmen:

„Alles wird Weinberg, alles wird Traube,

in seinem fühlenden Süden gereift.“