Wien, 12. November 2016
Der heurige Studientag der Reformbewegungen Österreichs bediente ein doppeltes Interesse: das an unseren jungen Leuten, also Kindern und Enkelkindern und deren Freundeskreis, den Generationen hinter uns, und an der Kirche. Beide tun nicht immer so, wie wir wollen.
Wir bedauern, dass so manche unserer Töchter und Söhne unsere Liebe zur Kirche nicht mehr nachvollziehen können. Die meisten von uns „Alten“ haben Kirche noch erfahren mitten im Aufbruch nach dem Konzil, als eine kraftspendende Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die an Jesus Christus glauben und seinem Weg folgen wollen. Deshalb bewegt uns die Frage, wie sich der christliche Glaube in der Zukunft entwickeln wird. Das Kirchenregime, das wir heute erleben, wird vermutlich nicht Bestand haben, wenn es weiterhin so reformresistent agiert. Die Kirchenstruktur, in der wir uns alle befinden, wird sich ändern müssen. Aber wo sind die bleibenden oder neu gewonnenen Inhalte? Welche Formen sind denkbar?
Was lernen wir von unseren Jungen bezüglich der Zukunft der Kirche? Was verstehen die jungen Leute unter „christlichen Werten“, was leben sie, wie denken sie, welche Hoffnungen haben sie? Vielen von ihnen ist unsere heutige Kirche nicht einmal mehr des Nachdenkens wert, auch nicht des Widerstands. Worin finden sie den Sinn des Lebens? Denn unbestritten ist, dass sie sich darum mühen wie wir. Auch sie schauen die Welt durch ihre Augen an, haben also eine „Weltanschauung“ und brauchen Orientierung in unserer pluralen Welt.
Dieser Studientag sollte ein genaueres Hinschauen auf die Vorstellungen der Jungen ermöglichen, genauer, als dies im Alltag geschehen kann.
Das Morgenlob gestaltete die Musikgruppe aus Probstdorf. Wir haben sie kennengelernt, als wir im vorletzten Sommer während unserer Vorstands-Wienwoche von Helmut Schüller zum Pfarrpicknick eingeladen waren – und wir waren sehr begeistert. Diese Begeisterung hat während des Studientages noch zugenommen!
Für den „Blick auf die Jungen“ haben wir ExpertInnen eingeladen, die ihn in verschiedenen Richtungen schärfen konnten:
Zunächst hat uns DDr. Judith Heizer, Unternehmensberaterin und Coach für Generationenmanagement, über die Generationeneinteilung der Soziologie unterrichtet. Unterschiedliche Erwartungshaltungen einzelner Altersgruppen sind per se kein neues Phänomen. Die Klage der etablierten Generation über Begehrlichkeit, Zügellosigkeit und mangelnden Respekt der Jugend ist ein Thema, das mindestens seit Platon die Weltliteratur beschäftigt. Neu sind allerdings die Rahmenbedingungen. Welches Fundament haben denn die Schlagwörter, die wir so hören über die „Generation Y“ und die anderen? Was können wir uns darunter vorstellen?
Frau Heizer sprach über die etablierten Generationen und beschrieb mit vielen anschaulichen Beispielen jeweils prägende Trends, Grundhaltungen sowie lebensphasenbedingte Merkmale. Daraus leiten sich für diese Generationen spezifische Herausforderungen ab. Was also kennzeichnet die Nachkriegsgeneration, die Baby-Boomer, die Generation X? Was charakterisiert die Generation Y und die Generation Z, die als jüngste Generationen derzeit in die Erwachsenenwelt nachrücken und neue Erwartungen haben? Und wie kann man überhaupt mit so generalisierenden Kategorisierungen umgehen? „Das war ein neuer Blick und hat mir so vieles erklärt“, sagte ein Teilnehmer.
Mag. Philipp Ikrath, Vorsitzender des Vereins jugendkulturforschung.de und Geschäftsleiter und Gesellschafter von tfactory, erzählte engagiert und spannend, nach welchen Werten die jungen Leute unter 30 leben – und wie verschieden das sein kann! Als besonderes Kennzeichen der Lebensbedingungen der Unter-30-jährigen nannte er u.a. die Juvenilisierung der Alltagskultur: Jugendlich, aktiv, frei und ungebunden zu sein ist das Leitbild für alle Altersgruppen. Die Jugendkultur dominiert die Konsummärkte. Das, was die Jugend haben will, wollen alle haben, so wie die Jugend ist, wollen alle sein. Nicht mehr die Jugend lernt von den Alten, sondern die Alten von den Jungen. Beispiele: Internet, Computer, Handykultur, aber auch Musik, Bekleidung, Sport etc. -Der Körper ist das Schlüsselsymbol der juvenilen Gesellschaft: Fitnesstraining, gesunde Ernährung etc.
In einer „Bildkultur“ sind Bilder wichtiger als verbale Inhalte. Jugend kommuniziert „bildzentriert“. Wenig Worte, viel Bild und Symbolkommunikation, also nonverbal. Es geht viel weniger um Argumente, statt dessen wird mehr dargestellt und inszeniert.
Das dritte Referat des heutigen Vormittags wurde dann sehr kirchlich: Wie stellt sich eine junge Theologin gelingende „Sorge“ (nicht nur „Seelsorge“) für junge Erwachsene vor? Wie könnte das gelingen? Was schwebt ihr vor? Und wie weit ist die gängige Praxis von ihren Vorstellungen entfernt? Mag. Jacqueline Straub, Theologin und Boxerin, träumt davon, katholische Priesterin zu werden. Sie versetzt uns in das Jahr 2036 und erzählt uns, wie ihre pastorale Arbeit in ihrer kleinen Landgemeinde aussieht. Sie setzt auf Authentizität und Offenheit, lässt viele Experimente zu und hat längst „den Geruch der Schafe“ angenommen, auch im Boxclub. Sie betont, was die Kirche zeigen muss: Lebendigkeit, Freude, Liebe und die Faszination des Glaubens. Man muss die Charismen der Menschen einbinden. Aber man kann gar nicht bei allen ankommen: 55% der Ausgetretenen haben kein Interesse an Glaubensfragen (es ist also nicht primär die „Kirchensteuer“). Für viele ist die Kirche also uncool, unsexy und unstylisch. Dabei, sagt sie voller Optimismus, wäre das doch gar nicht so kompliziert zu ändern!
Zwischen den Referaten haben wir uns sehr persönliche Statements gewünscht: da erklärt einmal Mag. Sarah Kohlmaier, warum sie aus der Kirche ausgetreten ist. Ihre Generation ist an Wahlfreiheit gewohnt, das betrifft auch die Kirchenzugehörigkeit. Wenn also die Kirche die eigenen Werte nicht unterstützt (Frauenfrage, Kindesmissbrauch, fehlende Dialogbereitschaft, demokratische Wert missachtet…), dann ist es logisch zu gehen. Sie schließt mit dem Satz: „Mein Glaube ist frei!“
Der zweite „Zwischenruf“ kam von Renate Bachinger, die uns berichtete, dass ihre Tochter drei Jahre lang in einer christlichen Gemeinschaft (Loreto) lebte und was sie als Mutter – bei aller Skepsis – daraus für die „reguläre“ Kirche gelernt hat: junge Menschen sind gemeinschaftsbedürftig und wollen gebraucht werden. Sie brauchen junge Vorbilder und: sie suchen ekstatische Erlebnisse. Wo bitte bietet das die normale Pfarrgemeinde?
Der Nachmittag galt den Praxisberichten. Nach der Methode des „Weltcafes“ setzten wir uns an verschiedene Tische, an denen Fachleute und junge Erwachsene folgende Themen einleiteten, über die dann intensiv diskutiert wurde:
Helmut Schüller: Die 20-30Jährigen in der Pfarre
Petra Schäffer: Was ist im Religionsunterricht wichtig? Was kommt an?
Gerald Miedler, Katholische Jugend: Wie wird was nachhaltig von unserer Arbeit?
Patrick Michna: Junge Erwachsene engagieren sich in Projekten
Nikolaus Pesl: Aus der Sicht eines Studierenden: Kirche wohin?
Jacqueline Straub: Ich will Priesterin werden. Was wäre mir wichtig für die Jungen?
Nico Sperl: Ich möchte Priester werden. Aber nicht zölibatär.
Dreimal war ein Wechsel der Gruppe möglich, sodass alle Teilnehmenden ein breites Spektrum wahrnehmen konnten.
Im Anschluss daran waren alle aufgefordert, auf ein Kärtchen zu schreiben, welchen wichtigen nächsten Schritt sie im Laufe dieses Tages erkannt haben: was steht an, damit es weiterhin eine Gemeinschaft der Glaubenden geben kann?
Diese „Ernte“ war reichhaltig.
Die Beiträge der TeilnehmerInnen beschäftigten sich zu einem großen Teil mit den dringend nötigen Veränderungen innerhalb der katholischen Kirche. Unsere Forderungen nach Reformen wurden wieder sehr bestätigt. Junge Leute engagieren sich nicht so leicht in einer Kirche, die undemokratisch handelt, ohne die jeweils Betroffenen in Entscheidungen einzubeziehen, die Priestern ein Familienleben verweigert, die Frauen nicht gleiche Rechte zugesteht und oft genug mit jenen, die dem hohen Ideal nicht folgen (können), rüde umgeht.
Viele Beiträge beschäftigten sich auch mit dem generellen Klima in der katholischen Kirche: Die Kirche muss ehrlicher, authentischer werden, um bei jungen Menschen wieder attraktiver zu erscheinen.
Das Vorbild, die Person Jesu Christi muss im Vordergrund stehen, nicht die Moral – und auch nicht die Probleme!
Zuerst Caritas leben, sie ist das Kerngeschäft der Kirche! Damit können auch die Jungen!
Eine ehrliche, verständliche Sprache, frei von Floskeln und ewigen Wiederholungen!
Die Herrschaft/Gängelung der Gewissen durch den Klerus reduzieren/ verunmöglichen und eigenständig und selbständig werden: Emanzipation der Gewissen!!
Und schließlich gab es konkrete Anregungen für unseren Umgang mit den jungen Leuten in der Kirche:
FRAGT DIE JUNGEN!!!!
Eine der Jugendlichen meinte am Schluss, wir hätten sie alle noch viel mehr ausfragen sollen. Es ist wichtig, gefragt und gehört zu werden.
So meinte eine Teilnehmerin: Ich werde im Pfarrgemeinderat anregen, eine Befragung, ein JUGENDPARLAMENT zu machen mit unseren Pfarrjugendlichen und Sympathisanten, um zu erfragen, was sie sich in der Pfarre/ von der Pfarre wünschen (unter Leitung der jugendlichen PGRe)
Musik ist für Junge ein wichtiges Medium. Also: Musikalisch begeisterte Leute suchen und mit ihnen spezielle Lieder für die Messe vorbereiten….
Angebote: viele Meldungen befassten sich mit speziellen Angeboten für die Leute unter 30. Dazu braucht es offene Räume, ansprechbare Menschen, ästhetische Gestaltung, Interesse, Offenheit, Glaubwürdigkeit und liebevolles Engagement. Die Jugendlichen müssen Gelegenheiten bekommen, wo sie mit Freude aktiv werden können. Sie sollen erkennen können, wofür sie „brennen“ (und wie sie das umsetzen können). Diese Angebote sind auf vielen Ebenen bekannt machen (Schulen, social media, Uni,….). Es braucht „Persönlichkeiten“, die anziehen. Austausch zwischen allen Generationen, Erfahrungsmöglichkeiten. Für die Jugend ist das SEHEN wichtig! Freiraum für die eigenen Ideen anbieten!
Allerdings gab es auch Zweifel, dass all dies helfen würde: „Ich habe wenig Hoffnung. Ich bezweifle, dass die Jugend heute den Willen aufbringt, Altes und Verstaubtes zu ändern. Die bauen lieber was Neues. Alte Häuser renovieren ist nicht cool.“
Am Ende dieses vollen Tages blieb bei den OrganisatorInnen Zufriedenheit über den guten Verlauf und die rege Beteiligung der Teilnehmenden, über die guten und spannenden Referate mit dem vielen Neuen, über die schwungvolle und begeisternde musikalische Begleitung. Aber es blieb auch Nachdenklichkeit. Über die anstehenden Reformen waren wir uns alle einig. Aber selbst wenn sie alle endlich gemacht würden (und das steht immer noch in den Sternen), wäre das nur ein erster Schritt, um die Kirche als Gemeinschaft wieder glaubwürdig, attraktiv, verlockend zu machen. Unverzichtbar ist, und das kam von mehreren Teilnehmenden, immer wieder die Faszination Jesu Christi zu bezeugen, nach seinem Vorbild zu leben, zu BRENNEN.
Den Schluss-Segen gestaltete wieder die Musikgruppe aus Probstdorf mit dem
Gebet der Vereinten Nationen
Gott,
unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall.
An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen,
dessen Geschöpfe
nicht von Kriegen gepeinigt werden,
nicht von Hunger und Furcht gequält,
nicht zerrissen in sinnlose Trennung,
nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.
Gib uns Mut und Voraussicht, schon heute mit diesem Werk zu beginnen,
damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz den Namen Mensch tragen. Amen