17.04.2004
Abschied nehmen fällt schwer. Noch schwerer fällt mir der Abschied von einer Arbeit, von einem Einsatz, von lieben Menschen ... von all dem, was mein Leben in den vergangenen neun Jahren geprägt hat, weil ich diese Arbeit sehr gerne und mit aller Kraft geleistet habe.
Vor zwei Jahren schon hatte ich anlässlich meiner Wahl zur Vorsitzenden meinem Mann versprochen, dass es meine letzte Funktionsperiode sein wird. Eine große Familie, die Betreuung meiner inzwischen 93-jährigen Mutter und auch mein eigenes, steigendes Bedürfnis nach mehr Stille und Ruhe ließen sich nicht mehr so leicht wie in den vergangenen Jahren mit dem Totaleinsatz in der Plattform „Wir sind Kirche“ vereinbaren.
Inzwischen kann ich aber auch eine gewisse Resignation angesichts der Situation unserer Kirche nicht mehr verdrängen. Ich bin zwar nach wie vor überzeugt davon, dass Gruppen wie die unsere lebensnotwendig sind für die Zukunft unserer Kirche, und ich hoffe und bete darum, dass andere Menschen diesen Auftrag weiter tragen – mir selbst ist die Motivation dafür ziemlich abhanden gekommen. Von Monat zu Monat wurde für mich der Spagat immer unmöglicher, innerlich immer mehr auf Distanz zur Kirche, zu ihren Strukturen und verletzenden Umgangsformen zu gehen, während ich nach außen Hoffnung versprühte und mit aller Kraft darum kämpfte, dass Änderungen – irgendwann einmal – möglich werden.
Meine persönliche Situation ist in den vergangenen Monaten dadurch zeitweise fast unerträglich geworden. Ich denke, dass unter dieser Zerrissenheit die Glaubwürdigkeit meines Einsatzes, womöglich auch die Glaubwürdigkeit der Plattform, leiden würde, wenn ich all das verdrängen und weiter machen würde wie bisher. Die – auch für mich – schmerzliche und bittere Konsequenz war mein Entschluss, bei der Wahl nicht mehr zu kandidieren und auch alle anderen Aufgaben innerhalb der Plattform zurück zu legen.
Erleichtert wird mir der Abschied von meinen bisherigen Aufgaben und das Loslassen „meines geliebten Kindes Plattform“ durch die Zuversicht, dass andere kompetente Menschen genauso in meine Fußstapfen treten werden, wie ich den Weg nach meinen Vorgängern Dr. Thomas Plankensteiner und Dr. Hubert Feichtlbauer weiter gegangen bin.
Mein Dank gilt ihnen und den Freundinnen und Freunden des Vorstands. Mit ihnen durfte ich viel Schönes erleben, mich über Erfolge freuen und so manche schmerzliche Erfahrung teilen. Von ihnen habe ich viel gelernt und in problematischen Situationen Rückendeckung erhalten. Sie alle werden mir sehr fehlen!
Danken möchte ich auch allen Frauen und Männern, die mir im Laufe der Jahre Mut machten und durch Mitarbeit und wohlwollende Kritik halfen, meine Aufgaben zu erfüllen.
Nicht zuletzt danke ich Gott für seinen Ruf in diesen Einsatz, weil ich dadurch meinen Teil der Berufung aller Christinnen und Christen in Kirche und Welt erfüllen konnte, selbst reich beschenkt wurde und in meinem Wachsen und Werden reifen durfte.
Ich möchte mit einem Text von Hermann Hesse schließen. Er drückt besser als viele weiteren Worte von mir aus, was mich im Augenblick bewegt und was ich tief in mir empfinde - im Blick auf meinen Abschied und auf mein eigenes Leben. Zugleich steckt in diesem Gedicht auch meine ganze Hoffnung für die Zukunft unserer Bewegung.
STUFEN
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang liegt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir wollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse