Seit vielen Jahren haben die Themen Familie und Sexualethik einen hohen Stellenwert in unseren Organisationen und Bewegungen. Die Erneuerungen, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßen wurden, haben uns dazu inspiriert. Wir glauben, dass Papst Franziskus diesen Kurs klar und deutlich wieder aufgegriffen hat.
Wir sind in großer Sorge über die ständig wachsende Diskrepanz zwischen Glaube und Gewissen bei der großen Mehrheit der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche einerseits
und in der Doktrin und der pastoralen Praxis des kirchlichen Lehramts andererseits.
Die Einberufung der zwei Synoden durch Papst Franziskus macht Hoffnung, dass nun die Zeit reif ist für eine stärkere Rückbindung der kirchlichen Lehre an das Evangelium. So könnte die Lehrverkündigung nicht länger ein Hindernis für jene Gläubigen darstellen, die ihr Familienleben hier und heute an der Botschaft Jesu orientieren möchten.
Wir haben uns am Dialog beteiligt, der durch die beiden Umfragen des Synodensekretariats in vielfältiger Weise in Gang gesetzt wurde. Im Folgenden übermitteln wir Ihnen, die Sie an der Synode teilnehmen, das Ergebnis unserer Überlegungen und die Vorschläge, welche die Hauptthemen betreffen, die unserer Meinung nach angesprochen und reformiert werden
sollten.
Die grundlegenden Probleme der Familie
Wir freuen uns, dass der erste Teil des Instrumentum Laboris für die Synode 2015 (Pkt. 12- 27) eine Liste von grundlegenden Problemen enthält, die die Familie betreffen und die in der Außerordentlichen Synode 2014 kaum zur Sprache kamen. Bei diesem Teil des Dokuments wurde berücksichtigt, dass in der Vergangenheit die Aufmerksamkeit beinahe ausschließlich auf Ehepaare beschränkt war. Das Instrumentum Laboris zeigt ein erweitertes Bewusstsein.
Es werden jene sozialen, ökologischen und ökonomischen Faktoren erwähnt, von denen viele Familien stark betroffen sind, wie z.B. Armut, soziale Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und Stellenmangel, Migration und Lebensumstände von alten Menschen und Behinderten.
Die Mitglieder der katholischen Kirche haben durch die Beantwortung der Fragebögen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die kommende Synode all diese Themen gründlich
diskutieren und in ihrer Lehrverkündigung berücksichtigen sollte.
Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Themen Eltern-Kind-Beziehung und Bildungsfragen im Allgemeinen. Bis jetzt wurden diese Aspekte von der Synode nicht aufgegriffen. Die Texte erwecken den Anschein, als ob Familie nur ihre erwachsenen Mitglieder betrifft. Kinder werden lediglich erwähnt, weil sie von einer Krise in der Beziehung ihrer Eltern betroffen sein könnten oder als Opfer von Missbrauch, Gewalt und Ausbeutung (Pkt. 29). Das reicht nicht!
Wir erwarten darüber hinaus eine angemessene Berücksichtigung der Situation von unterdrückten und missbrauchten Kindern und Frauen. In vielen Teilen der Welt werden Frauen nicht als gleichberechtigt mit dem Mann angesehen, weder vor dem Gesetz noch in der gesellschaftlichen und kirchlichen Realität. Sie haben nicht die gleichen Rechte, sie bleiben unbeachtet und werden schlecht behandelt. Zudem werden sie Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Rechte der Kinder werden auf verschiedene Weise missachtet. In manchen Teilen der Welt werden sie als Ware oder als billige Arbeitskräfte angesehen; sie werden als Kindersoldaten missbraucht, sie leiden unter physischer und psychischer Gewalt. Die römisch-katholische Kirche muss klar und mutig solche Praktiken aufdecken, dagegen Stellung beziehen und diese bekämpfen. Sie muss unmissverständlich ihre Solidarität mit den Missbrauchsopfern, den Unterdrückten und Ausgestoßenen bezeugen.
Grundlegende Probleme des klerikalen sexuellen Missbrauchs
Die Synode sollte eine klare Botschaft der Buße an die Überlebenden des klerikalen sexuellen Missbrauchs und ihre Familien sowie an die ganze Kirche aussenden. Viele Menschen und Familien wurden durch sexuelle Gewalt an Kindern, durch den Schutz Pädophiler durch die Amtskirche und die Vertuschung krimineller Handlungen vor zivilen Behörden in ihrem Innersten zerstört. Die Verfehlungen der institutionellen Kirche haben zu einer Vielzahl weiterer Missbrauchsfälle geführt. Die Synode muss die Amtskirche verpflichten, das
Kirchenrecht zu ändern. Bisher müssen Bischöfe pädophile Priester zivilen Behörden nicht melden, es sei denn ein Staatsgesetz erzwingt die Berichterstattung. Alle, die es versäumt
haben zu handeln, um gefährdete Kinder zu schützen, müssen öffentlich für diese schweren Unterlassungen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Synode muss sich in einem wahrhaft christlichen Geist zu einer Reform der globalen Leitungsstrukturen und der Kultur, die diese Gräuel ja erst ermöglichten, bekennen.
Konsultationsprozess und Zusammensetzung der Synode
Wir begrüßen die Art und Weise der neuen allgemeinen Konsultation, wie sie Papst Franziskus vor der Außerordentlichen Synode im Oktober 2014 gefordert hat und wie sie in
den letzten Monaten im Hinblick auf die Ordentliche Synode im Oktober 2015 weitergeführt wurde. Dadurch werden uns allen die Glaubensansicht und -praktik der Kirchenglieder klarer bewusst: Sie ist oft weit entfernt von dem, was die Kirchenleitung im Hinblick auf Familien und Sexualethik vorgibt. Die Ergebnisse der Beratungen, die leider nicht überall transparent durchgeführt wurden, bestärkten allgemein den Wunsch des Kirchenvolkes, Doktrin und pastorale Stellungnahmen stärker an den „Zeichen der Zeit“ und am Evangelium zu orientieren.
Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die stimmberechtigten Mitglieder der Synode nicht wirklich repräsentativ für das christliche Volk und nicht hinreichend befähigt sind, mit den schwerwiegenden und komplexen Problemen heutiger Familien umzugehen. Wir erwarten, dass die Synode wirklich offen ist für die Teilnahme aller Mitglieder der katholischen Kirche, für Frauen und Männer, Paare und Alleinstehende sowie Gruppen, die von den diskutierten Themen betroffen sind. Die momentane Zusammensetzung der Synode reflektiert nur unzureichend die Komplexität der katholischen Familien. Die vom Vatikan am 15. September 2015 veröffentlichte Liste der Teilnehmenden bestätigt dies.
Ehe, Scheidung und Wiederverheiratung
Ein Überdenken des traditionellen Verständnisses der Unauflösbarkeit der Ehe ist notwendig und dringend erforderlich. Das Ideal der Unauflösbarkeit muss sich an Grenzsituationen und Einschränkungen jener Menschen orientieren, denen es aus vielen unterschiedlichen Gründen oft nicht gelingt, eine Ehe auf Dauer zu führen. Gleichwohl entspricht das Ideal der Unauflösbarkeit des Ehebundes dem tiefen persönlichen Wunsch nach gegenseitiger und dauerhafter Liebe – einer Liebe, die nie zu Ende geht.
Im Hinblick auf die Teilnahme der geschiedenen Wiederverheirateten an der Eucharistie sollte die römisch-katholische Kirche auf die Praxis der ersten Jahrhunderte zurückgreifen,
die in den orthodoxen Kirchen noch immer gültig ist: Paare, die zivilrechtlich geschieden und wiederverheiratet sind, sollten nach einer Zeit pastoraler Begleitung an allen Sakramenten teilnehmen und von der christlichen Gemeinschaft mit Freude aufgenommen werden.
Das Instrumentum Laboris 2015 geht einen Schritt in die richtige Richtung, wenn es erwägt, „die bisher praktizierten Formen des Ausschlusses im liturgisch-pastoralen, im erzieherischen und im karitativen Bereich“ neu zu bewerten und abzuschaffen (Pkt. 121).
Wir hoffen deshalb, dass die Synode für geschiedene Wiederverheiratete das allgemeine Prinzip der Gewissensfreiheit gelten lässt. Wenn sie die Eucharistie empfangen möchten,
muss ihnen dies möglich sein ohne direkte oder indirekte Zensur durch die christliche Gemeinschaft.
Unmittelbar vor der Synode hat Papst Franziskus ein Motu Proprio über die kanonischen Prozesse der Nichtigkeitserklärung einer Ehe unterzeichnet. Trotz unserer grundsätzlichen
Kritik am Konzept der Annullierung einer Ehe stimmen wir der Vereinfachung des Procedere zu und begrüßen sie. Wir begrüßen auch die Entscheidung, die den Eherichter der
Verantwortung des Bischofs unterstellt. Dadurch wird eine stärkere pastorale Erwägung der Frage ermöglicht.
Wir erwarten eine angemessene Berücksichtigung der Situation von Frauen und Kindern, die verletzlicher sind und in wirtschaftlicher Hinsicht von einer Ungültigkeitserklärung betroffen sein könnten.
Die christliche Gemeinschaft wird sich auch um ein neues Vorgehen hinsichtlich zivilrechtlich geschlossener Ehen und stabiler Partnerschaften bemühen müssen. Wir sollten uns mehr auf die Wirklichkeit der Beziehung von Paaren zueinander und zu ihren Kindern konzentrieren und nicht so sehr auf die formalen Aspekte ihrer Beziehung.
Priester, die geheiratet haben und wieder zum pastoralen Dienst zugelassen werden möchten, sollten akzeptiert werden, so dass wir alle aus ihrer Erfahrung und ihren Fähigkeiten Nutzen ziehen könnten.
Homosexuelle Einzelpersonen und homosexuelle Paare
Eine Überarbeitung der Beziehung zwischen der kirchlichen Gemeinschaft und Homosexuellen ist dringend erforderlich. Wir meinen, dass die in der Relatio post disceptationem 2014 aufgezeigte Öffnung beibehalten werden sollte. Was dagegen im Instrumentum Laboris 2015 steht, ist genauso wie die Einladung an die christliche Gemeinschaft (Nr. 40 des Fragebogens) völlig unzureichend. Es genügt nicht, ihnen „die Erfordernisse des Willens Gottes in ihrer Situation deutlich (zu) machen.“ Stattdessen sollten homosexuelle Einzelpersonen und Paare in der christlichen Gemeinschaft nicht nur ausdrücklich willkommen geheißen, sondern auch eingeladen werden, vollwertige Mitglieder der Kirche zu sein, mit allen Rechten und Pflichten. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, ihre spezielle Sensibilität in die Kirche einzubringen.
Jede Beschränkung oder diskriminierende Praxis gegen Homosexuelle in Kirche und Gesellschaft sollte angeprangert und bekämpft werden.
Homosexuelle und ihre Beziehungen sollten von der Kirche akzeptiert werden gemäß der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den Gesetzen, die sie rechtlich anerkennen.
Humanae Vitae
Die Lehre der Kirchenleitung hinsichtlich der Empfängnisverhütung in der Enzyklika Humanae Vitae ist von den weitaus meisten Gläubigen nicht akzeptiert worden. Seit ihrer
Veröffentlichung haben sich viele katholische Paare entschlossen, stattdessen ihrem eigenen Gewissen zu folgen.
Weder das ritualisierte Wiederholen der Wichtigkeit von Humanae Vitae noch eine Praxis, die Enzyklika so wenig wie möglich zu erwähnen, noch die Betonung nur einzelner Aspekte wie in der Relatio Synodi und im Fragebogen für die Synode 2015 – werden dazu beitragen, die Nichtbeachtung und Ablehnung zu überwinden.
Im Instrumentum Laboris für die kommende Synode gibt es einen vorsichtigen Hinweis auf die Rolle des Gewissens. Das ist ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung.
Wenn es zu viel Widerstand gegen eine Überarbeitung der Lehre zur Empfängnisverhütung gibt, sollte die Synode zu diesem Streitpunkt besser schweigen, als nochmals den vergeblichen Versuch unternehmen, die Lehre erneut einzuschärfen.
Wir hoffen, dass die Synodenversammlung die Stimme des Heiligen Geistes wahrzunehmen vermag, die in Richtung eines Wandels des kirchenamtlichen und pastoralen Umgangs mit all diesen Fragen geht. Das ist schon häufig in der Geschichte unserer Kirche geschehen.
Bischöfliche Brüder, lasst Euch durch den Heiligen Geist erleuchten!
Initiiert wurde der Appell von Reformbewegungen, die aus Anlass des 50. Jahrestages des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) zwei internationalen Tagungen im November 2015 in Rom veranstalten:
- „Katakombenpakt erinnern und erneuern! Das geheime „Vermächtnis“ des Zweiten Vatikanischen Konzils“
11.-17. November 2015, Info: www.pro-konzil.de
- „Council 50: A Church - Inspired by the Gospel - For the World“
20.-22. November 2015, Info: www.council50.org