4. Februar 2022
Sehr geehrter Herr Kardinal, sehr geehrte österreichische Bischöfe!
Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising sowie Berater von Papst Franziskus im Kardinalsrat, hat sich in einem viel beachteten Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ für ein Ende des Pflichtzölibats ausgesprochen. Sein Leidensdruck ist offensichtlich zu groß geworden als dass er zu dieser Frage weiter schweigen könnte. Die Erkenntnisse rund um die MHG-Studie über Missbrauch in der deutschen Kirche 2018 sowie um das zuletzt vorgestellte Münchner Missbrauchsgutachten haben ihn offensichtlich so erschüttert, dass er seine bischöfliche Zurückhaltung aufgab und das schon viel zu lang praktizierte kollektive Schweigen der Hirten brach.
„Wir sind Kirche“ begrüßt die nun gefundene Ehrlichkeit und Offenheit von Kardinal Marx. Seit Jahrzehnten wissen wir um die zahlreichen Probleme, die der Pflichtzölibat bedingt: Er ist nicht nur eine folgenschwere Hauptursache für den Priestermangel, sondern stellt darüber hinaus v.a. auch insofern eine Gefahr für die Menschen in der Kirche dar als sich durch ihn auch ungeeignete und sexuell unreife Männer zum Priesteramt hingezogen fühlen, die als Priester schwersten Schaden über Menschen und Kirche bringen können. Die tragischen Enthüllungen der letzten Jahre und Jahrzehnte quer über den Erdkreis belegen dies in dramatischer Deutlichkeit.
In Deutschland hat nun also Kardinal Marx endlich offene Worte gefunden. Wo aber ist der Kardinal von Wien? Wo sind die österreichischen Bischöfe? Käme nicht gerade der österreichischen Kirche die Verpflichtung zu einem offenen Wort zu, wo wir in unserem Land doch schon vor bald 30 Jahren mit der Affäre Groer die Möglichkeit gehabt hätten, sexuellen Missbrauch und seine strukturellen Bedingtheiten in der Kirche zu thematisieren?! Was alles hätte an Leid und Verbrechen erspart bleiben können, wenn man sich damals ehrlich und tabulos an eine Aufarbeitung gewagt hätte?!
Zu beobachten ist seit Jahrzehnten aber, dass die so wichtigen Diskussionen permanent auf halbem Weg stehen bleiben, dass man den Pflichtzölibat wie eine heilige Kuh gleichsam als Götze verehrt und dass es gerade die Bischöfe sind, die sich diesbezüglich in unverantwortbares Schweigen hüllen.
„Wir sind Kirche“ fordert Kardinal Schönborn und die österreichischen Bischöfe auf, ähnlich wie Kardinal Marx das verschämte Schweigen endlich zu brechen und laut und deutlich zuzugeben, dass die verpflichtende Form des Zölibats unheilbringend ist und als Relikt vergangener Zeiten dringendst abgeschafft werden muss. Nur so wird das Priesteramt überhaupt eine Zukunft haben, nur so kann die Kirche in der Zukunft glaubwürdig sein.
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