Das war die Herbert-Haag-Preisverleihung 2024:
Und wieder hat uns die Preisverleihung der Herbert Haag Stiftung 2024 in Luzern beeindruckt und in unserer Arbeit gestärkt und motiviert. Sie stand heuer unter dem Leitmotiv „aufarbeiten und aufdecken – aufklären und aufbrechen“. Geehrt wurden Norbert Lüdecke, em. Professor für Kirchenrecht in Bonn, und die beiden feministischen Theologinnen und Publizistinnen Doris Strahm und Silvia Bernet Strahm. Alle drei sind aufgrund ihrer Bemühungen zur Aufklärung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse und zur Aufdeckung unmenschlicher und unterdrückender
Strukturen und Handlungen bekannt geworden.
In seiner Begrüßungsrede widmet sich der Präsident der Herbert Haag Stiftung, Odilo Noti, dem Freiheitsbegriff, unter dessen Motto die ganze Stiftung steht: „Das Netz ist zerrissen und wir sind frei!“ „Ohne Freiheit kein Glaube und keine Kirche“, sagt er. „Deshalb ist die Rede von der Freiheit in der Kirche eine Antithese zum
Katholizismus des Antimodernismus, der kirchliche Strukturen und kirchliches Recht nach wie vor prägt.“
Irmtraud Fischer, seit 2022 Univ. Professorin am Institut für Antike der Universität Graz, nachdem sie als Professorin für Alttestamentliche Bibelwissenschaft in Pension gegangen ist, hielt die Laudatio für Prof. Lüdecke. Dieser ist ja nicht unumstritten, weil seine „glasklare Darstellung des katholischen Kirchenrechts“ so manche ihrer Hoffnungen auf Veränderung, Verbesserung oder selbst nur auf Schlupflöcher beraubt (vgl. sein Buch „Die Täuschung. Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?“). Irmtraud Fischer sieht das als gerechtfertigt an: „Er verweigert sich einer pastoralen Weichzeichnung eines Rechts, das keine individuellen Grundrechte kennt und letztlich ein politisches Recht ist, dessen Auslegung und Anwendung unkontrollierbar in den Händen der katholischen Hierarchie liegt.“ Damit laufe das „geltende kanonische Recht heutigem westlich-demokratischen Rechtsverständnis diametral zuwider.“
Kirchenreform.AT hat genau aus diesem Verständnis die Kirchenvolks-Konferenz 2022 dem Thema einer Kirchenverfassung gewidmet. Auch wir sind der Meinung wie Irmtraud Fischer, Norbert Lüdecke und viele andere: „Solange es diese rechtliche Verfasstheit und die sie legitimierende Lehramtstheologie der Katholischen Kirche gibt, so lange wird es keine tiefgreifenden Veränderungen geben, bestenfalls Schönheitskorrekturen.“ In Kurzform: keine Reform ohne neue Verfassung.
Norbert Lüdecke betont in seiner Dankesrede, wie sehr ihm immer an der „Unterscheidung zwischen ‚Kirchenträumen‘ und der real existierenden römisch- katholischen Kirche gelegen ist.“ Dabei zitiert er den Gründer der Stiftung, Herbert Haag. Auch ihm war schon klar: „Ohne Gleichheit kann es keine Freiheit in der Kirche geben. Alle Reformen seien nur aufgeklebte Pflaster, die die eigentliche Krankheit nicht heilen.“
So sieht Lüdecke auch die laufende Weltsynode völlig illusionslos, wo sich „katholische Laien an runden Tischen auf eine Augenhöhe mit Männern phantasieren, die gänzlich, nämlich ontologisch verschieden von ihnen und aufgrund ihrer identitären Wandlung in der sakramentalen Weihe immer mit der Letztrechthabe ausgestattet sind“.
Wir sind Kirche hat schon oft beklagt, dass durch eine absurde Theologie der Priesterweihe mit der sogenannten Seinsumwandlung „Schafe“ zu „Hirten“ gemacht werden (sofern es sich um männliche Schafe handelt!) und mit der Lizenz zur Kontrolle und Machtausübung in der Kirche betraut werden. Insofern hat uns die Verleihung des Preises an Herrn Lüdecke auch selbst bestärkt.
Ute Leimgruber, Professorin für Pastoraltheologie in Regensburg und Mitglied des Stiftungsrates, hielt die Laudatio für die beiden feministischen Theologinnen Doris und Silvia Strahm. „Geschlechtergerechtigkeit ist ohne Zweifel eine der am offenkundigsten unerledigten Aufgaben der katholischen Kirche. … Dass Sexismus und Misogynie in der Kirche auch heute jeden Tag und überall auf der Welt Menschen unterdrücken, schädigen und unfrei halten, dass Kirchenvertreter mit der Bibel in der Hand, der Rede von ‚gottgewollter Tradition‘ auf den Lippen und
Klerikalismus im Blut eine umfassende Geschlechtergerechtigkeit verhindern, ist ein Skandalon von besonderer Schwere. Daran ist kein Vorbeikommen.“
Aber dann beschreibt sie das Lebenswerk der beiden Schwestern Strahm, die zu den Pionierinnen der feministischen Theologie in der Schweiz gehören. Sisterhood is powerful! Den beiden ging es immer auch darum, „etwas Positives zu tun“, und das ist ihnen in hohem Maße gelungen. Lang ist die Liste der Projekte, beeindruckend die vielen schriftlichen Werke, mit denen sie beide an unterschiedlichen Orten dafür gesorgt haben, dass öffentlich wurde, „was die Kirche, insbesondere die katholische, Frauen angetan hat.“ Dabei haben sie die Grenzen und Begrenzungen ihrer Konfession und auch ihres Kontinentes überschritten und die Ansätze kontextueller und postkolonialer feministischer Theologie vielen nahe gebracht.
Nun haben die beiden, gemeinsam mit Monika Hungerbühler, einen Band mit dem Titel „mächtig stolz“ herausgebracht, in dem 40 Jahre feministischer Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz dokumentiert sind. Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet schreiben dazu im Vorwort: Das feministische Engagement hat „die Kirchen und die traditionelle Theologie zwar nicht nachhaltig verändert, aber sie hat uns verändert, hat sich eingeschrieben in unsere Biografien und in jene unzähliger Frauen weltweit.“
Ute Leimgruber sagt am Ende ihrer Laudatio: „Mit Wachheit haben Sie schon in den 70er Jahren trotz der scheinbar unveränderbaren Betonposition eines römisch-katholischen Lehramts in Sachen Geschlechtergerechtigkeit feministische Theologie betrieben, lustvoll, experimentierfreudig und immer auch in der Freiheit, sich selbst etwas Gutes zu tun. Sie sind bis heute – unter anderen kirchenpolitischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen – nicht müde geworden, gegen patriarchale Unterdrückung und die Gefährdung eines friedvollen Zusammenlebens der Menschen und für ein gutes Leben aller einzutreten!“
Wie sehr ist den beiden und allen ihren Vorkämpferinnen („Wir stehen auf den Schultern von Riesinnen!“) dafür zu danken. Ihre Wachheit, ihre Hartnäckigkeit, ihre Initiative, ihre Kreativität sind ein Beispiel für uns alle. Heute nötig wie eh und je, vielleicht sogar mehr als eh und je.
Das Netz ist zerrissen, wir sind frei – wenn wir wollen und uns trauen!