Der (un)reife Kirchenapfel

von Marlies Prinz; 3.10.2024

Im unserem Garten steht ein Apfelbaum. Jedes Jahr warten wir darauf, dass die Äpfel reif werden. Aber den richtigen Zeitpunkt zum Pflücken zu finden ist nicht einfach. Die Farbe der Äpfel kann täuschen. Während die roten manchmal noch sauer sind, sind die grünen vielleicht schon reif.

Erfahrung funktioniert in Zeiten des Klimawandels auch nur mäßig. Waren die Äpfel sonst immer im September reif, sind sie es heuer aufgrund der Hitze schon im August. Steif darauf zu beharren, dass wir immer erst im September gepflückt haben, hätte uns einen Teppich voller verfaulter Äpfel beschert.

Eine Entscheidung zum sakramentalen Amt für Frauen in der Kirche sei noch nicht reif, berichtete die Studiengruppe 5 am Eröffnungstag der 2. Versammlung der Weltsynode. Woher weiß die Studiengruppe so etwas? Ist das nicht wie bei den Äpfeln? Von außen kann man nicht unbedingt sehen, ob sie schon reif sind. Die Farbe kann täuschen.

Wenn ich wissen will, ob ein Apfel reif ist oder nicht, muss ich ihn probieren. Starre ich ihn immer nur von außen an, wird er irgendwann überreif vom Baum herunterpurzeln. Schmecken wird er dann nicht mehr. Gewiss, das Risiko besteht, dass ich ihn sofort wieder ausspucke, weil er noch sauer ist. Man sollte also nicht sofort alle Äpfel pflücken und erst dann einen probieren, sondern umgekehrt. Einen probieren, und wenn er noch unreif ist, warten, und wenn der nächste Versuch einen reifen Apfel ergibt, kann man auch die anderen herunterholen.

Wobei es freilich aufzupassen gilt. Denn ein Apfelbaum wird von seiner Umgebung beeinflusst und hat Seiten mit mehr und mit weniger Sonneneinstrahlung. Und auch wenn die Äpfel auf der schattigen Seite noch unreif sind, können jene auf der sonnigen dennoch bereits reif sein. Könnte das nicht vielleicht ein Fehler der Studienkommission sein? Hat sie womöglich auf eine schattige Stelle geblickt und gesehen, dass die Entscheidung dort noch nicht reif ist und diese Erkenntnis kurzerhand auf den ganzen Baum, auf die ganze Kirche ausgeweitet?

Das ist gefährlich. Denn Äpfel, die schon reif sind, werden eben auch einmal überreif. Und wenn sie überreif sind, verfaulen sie auch einmal, und fallen ab. Zuerst nur einer, dann zwei, dann immer mehr, und irgendwann hängt auf der sonnigen Seite kein einziger Apfel mehr am Baum, während jene auf der schattigen Seite womöglich noch immer sauer sind. Die Äpfel interessieren sich auch nicht im Geringsten dafür, was wir von ihnen denken. Selbst wenn wir noch so überzeugt sind, dass sie niemals reif sein werden...wenn sie von der Sonne angestrahlt werden, werden sie das gleichsam von selbst. Eine Erlaubnis brauchen sie dafür nicht.

Natürlich hinkt der Vergleich – und zwar in unangenehmer Weise: Wenn ich eine Apfelernte verpasst und so lange gewartet habe, dass die Äpfel überreif vom Baum gefallen sind, kann ich auf das nächste Jahr hoffen. Ich bekomme einen neuen Versuch, und das sogar Jahr für Jahr. In der Kirche ist das nicht so. Den Jahreskreislauf der Natur gibt es in ihr nicht. Auf eine verpasste Ernte folgt kaum eine neue. Und die abgefallenen Äpfel tragen Verletzungen davon oder verfaulen überhaupt. Es ist unstrittig: Die Kirche hat vielfach nur eine einzige Chance. Eine Chance, die sie nicht verpassen darf.

Dass die Entscheidung zum sakramentalen Amt für Frauen noch nicht überall reif ist, ist realistisch. Aber zu meinen, sie sei überhaupt noch nicht reif, ist ein Verkennen der Realität. Es braucht Probierräume, durchaus auch auf die Gefahr hin, dass manche Versuche „sauer“ enden. Andere werden süß gelingen und der Kirche neue Möglichkeiten eröffnen. Es braucht keine Entscheidung, die gleich den ganzen Baum, die ganze Kirche, betrifft. Es braucht regionale Entscheidungen – je nach Umgebung und Bedingungen. Ansonsten gibt es irgendwann eben gar keine Früchte. Und steht im Evangelium nicht irgendwas vom Raushauen eines Baumes, wenn er keine Früchte bringt?