28.05.2013,
Univ. Prof. Dr. Basilius J. Groen hielt nachstehenden Vortrag am 26. Mai 2013 vor dem Lainzer Kreis in Wien.
Eine inspirierende und Geist-angeregte Eucharistiefeier – gar nicht selbstverständlich und alltäglich – stellt eine bedeutende Quelle und einen Höhepunkt des ganzen spirituellen Lebens dar. Christen und Christinnen kommen im Idealfall zusammen, um das Schriftwort der Befreiung und Versöhnung zu erfahren und die vom Heiligen Geist verwandelten Speisen von Brot und Wein rituell miteinander zu teilen, Leib und Blut Christi zu feiern, ja selber zu werden.
Die Feiergestalt der Eucharistie hat sich jedoch im Lauf der Kirchengeschichte oft verändert. Die fast zweitausendjährige Geschichte der Eucharistiefeier zeigt ein interessantes Paradox. Einerseits unterlag die Feiergestalt großen Veränderungen: vom paulinischen Herrenmahl, das gleichzeitig ein Sättigungsmahl war, bis zur heutigen eindrucksvollen ostkirchlichen Göttlichen Liturgie, in der jedoch die meisten Teilnehmenden nicht kommunizieren; von der in Westeuropa so sehr bewunderten und nachgeahmten stadtrömischen Liturgie über die spätere nur vom Priester gelesenen Privatmesse bis hin zur von den Liturgischen Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts und vom Zweiten Vatikanischen Konzil erneuerten katholischen Gemeindemesse; und vom reformatorischen Predigtgottesdienst mit dem Einsetzungsbericht und dem Kommunionempfang als eine Art selten stattfindenden Annex bis zur erneuerten evangelischen Agende mit regelmäßiger Abendmahlsfeier, bis zum modernen Feierabendmahl, wo Kommunionempfang selbstverständlich und mit einer Agape verbunden ist, oder bis zur heutigen ökumenischen Thomasmesse für so genannte ‚Rand-Christen‘ mit freier Gestaltung. Andererseits weist die eucharistische Feiergestalt eine erstaunliche Kontinuität auf: bereits bei Justin dem Märtyrer, also etwa in der Mitte des zweiten Jahrhunderts, finden wir die folgende Struktur vor: Lesungen, Predigt, Fürbitten, Gabendarbringung, Großes Dankgebet, Kommunion und Kollekte. Die Grundstrukturen von Wort- und Tischgottesdienst in ein und derselben Feier haben sich bewährt und sind in den meisten christlichen Kirchen wieder klar zu erkennen.
Auch die Theologie der Eucharistie zeigt sowohl Kontinuität als auch unterschiedliche Akzente. Von der Betonung des in der Apostelgeschichte bezeugten gemeinsamen ‚Brechen des Brotes‘ über den zunehmenden Stellenwert des Opfergedankens und die Überbetonung der Rolle des Priesters – seine ‚Konsekrationsvollmacht‘ genügte, um das Opfer Christi zu vollziehen – bis zur Wiederentdeckung der Gemeinschaftsdimension sowie des epikletischen Aspektes, also der Einsicht, dass es der Heilige Geist ist, der die Gaben und uns wandelt, der uns vereint.
Hier beschäftigen wir uns mit der Vielgestaltigkeit und einigen neuen Formen, nicht nur der Eucharistie sondern der Liturgie insgesamt. In meiner Beschreibung der heutigen rituell-liturgischen Landschaft werde ich mich auf die Situation in West- und Mittel-Europa konzentrieren; dabei muss ich jedoch viele Nuancierungen außer Acht lassen. Bekanntlich hat während der fünfzig Jahre, die seit dem Konzil verstrichen sind, die Teilnahme an den Gottesdiensten erheblich abgenommen (übrigens ein Prozess, der mancherorts bereits vor dem Konzil angefangen hatte). Kirchliche Liturgie und gesellschaftlicher Kontext klaffen immer weiter auseinander, Gottesdienst und Kultur sind immer weniger deckungsgleich. Die Abnahme trifft vor allem für den Sonntag und die Feste im Lauf des Kirchenjahres zu. Weihnachten und (mancherorts auch) Allerheiligen/Allerseelen erfreuen sich noch zahlreicher Kirchgänger/innen. An der Osternacht dagegen, die theologisch betrachtet den Höhepunkt des Kirchenjahres darstellt, nehmen viel weniger Menschen teil. Was die Feier der Sakramente und Sakramentalien betrifft, werden Taufe, Erstkommunion, Firmung, Trauung und Bestattung noch bevorzugt wahrgenommen, obwohl es auch hier einen quantitativen Rückgang gibt. Zudem dienen diese Feiern für die meisten daran Teilnehmenden in erster Linie als ‚Lebensrituale‘ und das Feiern der eigenen Lebenssituationen stellt ein rite de passage dar: an erster Stelle wird die Geburt eines Kindes bzw. die Liebe eines Paares und das Leben eines/r Verstorbenen gefeiert. Die für die Liturgie bezeichnende Differenzerfahrung, nämlich sich von der biblischen Botschaft kritisch befragen und beschenken zu lassen bezüglich der Vision einer neuen Erde und eines neuen Himmels, wird von vielen Teilnehmenden kaum erfahren. Ferner befindet sich die Ohrenbeichte heute in einer schweren Krise, die Zahl der Diakonen- und Priesterweihen ist niedrig und die meisten Kranken und Sterbenden werden nicht mit heiligem Öl gesalbt. Die meisten Katholik/inn/en sind ‚Festchrist/inn/en‘ geworden: sie besuchen die Kirche nur noch anlässlich bestimmter Feste oder Lebensrituale. In diesem Kontext spricht man gelegentlich humoristisch von ‚Vierräder-Christ/inn/en‘: Für die Taufe werden sie in einem Auto zur Kirche gefahren, für die Trauung fahren sie wiederum in einem Auto zum Gotteshaus und für ihre Bestattung werden sie notwendigerweise nochmals auf vier Rädern in die Kirche hineingebracht.
In der Debatte über die Abnahme der Kirchenmitglieder muss man übrigens ein Phänomen berücksichtigen, das die gesamte Gesellschaft betrifft, nämlich die Tatsache, dass im heutigen West- und Mittel-Europa nicht nur die Großkirchen einen Mitgliederverlust erleiden, sondern auch die politischen Großparteien davon betroffen sind und dass – vor allem in den Großstädten, weniger auf dem Lande – auch Vereine und Sportverbände die Mitglieder verlieren. Tageszeitungen und Zeitschriften haben immer weniger Dauerabonnenten und -abonnentinnen, der Verkauf von Einzelnummern in Geschäften und auf der Straße wird immer wichtiger. Darum müssen diese Einzelnummern interessant aussehen, es müssen immer wieder ‚neue Punkte verbucht‘ werden. Für das Fernsehen gilt Ähnliches: Die Programme müssen möglichst attraktiv gestaltet werden, sonst schalten die Zuschauenden mit ihrer Fernbedienung um (zapping), um zu sehen, was auf den anderen Kanälen läuft. Viele Leute möchten sich nicht binden. Dies alles ist ein Symptom der heutigen Individualisierung, Pluralisierung und Detraditionalisierung.
In Anbetracht dieser Landschaft ist die Versuchung groß, von einer gegenwärtigen ‚geistigen Wüste‘ (so u.a. Papst Benedikt XVI.) zu sprechen und – was die konkreten Feierformen der Liturgie betrifft – eine ‚Reform der Reform‘ anzustreben. Laut Befürwortern der ‚Reform der Reform‘ ist die heutige liturgische Praxis zu sehr ‚anthropozentrisch‘ statt ‚theozentrisch‘, nur ‚subjektiv‘ statt ‚objektiv‘, stellt sie eher einen Bruch mit der richtigen kirchlichen Tradition statt einer Kontinuität dar, stehen die schwankenden Gefühle der Menschen statt der festen Heilszusage Gottes im Mittelpunkt. Die menschlichen Anliegen, nicht die eucharistische Anbetung des dreieinen Gottes; unangemessene Kreativität, Improvisierung und Spontaneität, nicht Sich-Halten an die ehrwürdige Tradition mit ihren fixen Gebeten. Auch wenn Andacht, Anbetung und ‚Schauer‘ vor dem Heiligen unentbehrliche Qualitäten der katholischen Liturgie sind, so ist dieses negative Urteil über die heutige liturgische Situation meiner Ansicht nach viel zu pauschal und sind Nuancierungen angebracht.
Vielerorts nämlich hat die konziliare Liturgiereform die Feierqualität und die tätige Teilnahme zahlreicher Gläubigen, inklusive Priester, erheblich gesteigert. Sie hat das geistliche Leben enorm bereichert und zur Vitalität und Ausstrahlung der christlichen Spiritualität intensiv beigetragen. In der Tat wurde sie vielerorts ‚Quelle und Höhepunkt der gesamten christlichen Existenz‘! Allerdings muss einiges noch in die Praxis umgesetzt werden. So kann man in Österreich wahrnehmen, dass zum Beispiel die Kelchkommunion in den meisten Gemeinden kaum stattfindet, das Stundengebet in den Gemeinden wenig praktiziert wird und nicht-eucharistische Gottesdienste im Allgemeinen wenig gefeiert werden, weil alles sich noch immer um die Messe dreht. Zudem sind, wie früher, die religiösen Gefühle von Kirchgängern recht unterschiedlich. Sie schwanken zwischen feurigem Eifer und bloßer Routine. Längst nicht alle katholischen Christ/inn/en wünschen sich eine ‚volle, bewusste und aktive Teilnahme‘ und nur eine Minderheit möchte sich aktiv im kirchlichen und liturgischen Leben engagieren. Die große Mehrheit befindet sich in der Mitte und wartet mehr oder weniger passiv ab, wie die Kirche sich entwickelt. Man sollte dennoch diese Gruppe nicht missachten. Sie will immerhin zur Kirche gehören. Ist die Kirche nur die Kirche der Engagierten oder schließt sie auch die ‚Lauen‘, die Masse ein? Für die Zukunft einer lebendigen Kirche, für ihre notwendige Weiterentwicklung, für ihr Aufgeschlossen-Sein für die Zeichen der Zeit, ist jedoch die Minderheit, die sich aktiv beteiligen möchte, unentbehrlich.
Eine weitere Nuancierung ist, dass es vielen am Gottesdienst Teilnehmenden äußerst wichtig ist, in einer konkreten Feier den geistlichen Hunger zu stillen, Heilung und Befreiung, Vertrauen und Hoffnung zu erfahren. Für zahlreiche Menschen trifft das alte Schema, nämlich ‚ich glaube und es gibt die Sonntagspflicht, darum gehe ich in die Kirche, darum nehme ich an der Messe teil‘ nicht mehr zu, sondern ein neues Schema: die Liturgie dient vor allem der Selbst-Entdeckung und der Begegnung mit anderen, und nur so kann sie für diese ein Weg zur Entdeckung des Gottgeheimnisses werden. Man sucht also nach der eigenen Identität, Sinnperspektive sowie Begegnung und Gemeinschaft (Franz-Josef Nocke).
Hier berühren wir den wichtigen Punkt der Differenzierung der Liturgie je nach Gruppe. Die Erfahrungen und Sprachformen von beispielsweise Jugendlichen oder Frauen sind oft recht unterschiedlich und weichen vom offiziellen kirchlichen Sprachgebrauch ab. Dennoch wird oft keine Rücksicht darauf genommen. Sie verdienen es allerdings, honoriert zu werden. Die Kirche möchte ja, wie sie in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes darlegt, ausdrücklich Rücksicht nehmen auf die Situation der Menschen in der heutigen Welt, auf ihre gegenwärtigen Anliegen, Nöte, Hoffnungen und Freuden. Man sollte nicht nur die späteren Konzilsdokumente im Licht der Liturgiekonstitution, sondern Sacrosanctum Concilium auch im Licht der Pastoralkonstitution und der übrigen Konzilstexte lesen.
Im Allgemeinen muss Liturgie inklusiv sein, darf das Sprechen von Gott zum Beispiel nicht nur maskulin sein. Sie darf weder andere christliche Gruppierungen noch den von Gott zuerst gerufenen Partner, das jüdische Volk, ausschließen. Es empfiehlt sich daher im liturgischen ‚Angebot‘ stärker zu differenzieren. In Jugendgottesdiensten können die spezifischen Jugendanliegen besser zum Ausdruck kommen. Sollten Diözesen sich nicht dazu entschließen, dass in bestimmten Kirchen Gottesdienste in einer modernen Sprache, mit einer freieren Struktur als gewöhnlich, gefeiert werden? Sie sollten nicht nur die Feier der ‚tridentinischen‘ lateinischen Messe in bestimmten Kirchengebäuden genehmigen, sondern auch Gemeinden auf der anderen Seite des kirchlichen Spektrums den geeigneten Raum bieten. Die Erfahrung lehrt, dass Menschen, die am Rand oder außerhalb der Kirche stehen, Gottesdienste mit einer freien Struktur und einer modernen Sprache oft Geist-inspiriert finden. Gute Beispiele dafür sind die ökumenischen ‚Thomas-Feiern‘ für so genannte ‚randkirchliche, zweifelnde und andere gute Christen‘. Bei diesen Thomasfeiern gibt es auch die explizite Möglichkeit, selbst zu wählen, in wie weit man sich engagieren möchte, sich an einem bestimmten Ritual während der Feier zu beteiligen oder in der Anonymität zu verbleiben. So kann man sich von einem Mitglied des liturgischen Teams einen persönlichen Segen wünschen. Kranke oder andere Personen, die sich in einer Lebenskrise befinden, können sich auf ihren Wunsch mit Öl salben lassen. Dann gibt es die im katholischen Erfurter Dom und anderswo gefeierten Segnungsgottesdienste für ‚der Kirche Entfremdete‘ und ‚Nicht-Glaubende‘. Der ‚Gottesdienst für Liebende‘ am Valentinstag zieht Paare der verschiedensten kirchlichen und nicht-kirchlichen Schattierungen an. Es handelt sich hier um eine Mischung von einerseits traditionellen christlichen und andererseits neuen, anderen Elementen. Der ‚Gottesdienst für Liebende‘ beinhaltet Elemente wie z.B. popsongs und lovesongs, Klavier- und Saxophonspiel, die Benutzung eines Beamers mit Naturfotos sowie ein persönliches Zeugnis eines Paares über ihre Beziehung und eine gegenseitige Segnung aller Paare, in der die Partner einander sagen, warum sie sich lieben, dem Partner oder der Partnerin etwas Gutes wünschen und Ähnliches.
Des Weiteren gibt es die Frauenliturgien, Taizé-Gottesdienste, Jugendgottesdienste im Allgemeinen und die meditativen Gottesdienste in einigen Klöstern und anderen Häusern, wie z.B. im ‚Haus der Stille‘ südöstlich von Graz. Unterschiedliche Formen des Stundengebets müssten in den Pfarren mehr gefördert werden sowie allerlei Art zeitgemäße Andachten, in denen eine freiere Sprache möglich ist, und besondere Gottesdienste, wie z.B. regelmäßig gefeierte Gottesdienste für Trauernde. In der Grazer Herz-Jesu-Pfarre wurde vor einer Woche eine eindrucksvolle Pfingstvigil gefeiert mit liturgischem Tanz, Licht- und Farbeneffekten, neuer Sakralmusik und literarischen Fragmenten der mystischen Poesie von Hildegard von Bingen und Mechtild von Magdeburg.
Zur Förderung unseres Aufgeschlossen-Seins für das Liebesmysterium des sich um die Menschheit kümmernden dreieinen Gottes, brauchen wir die Sprachen von heute. Die konziliare Liturgiekonstitution hat gewiss einen wichtigen Neuanfang gemacht, wir stehen jedoch erst am Anfang dieses Prozesses der Rezeption der vielen Volkssprachen und ihrer zahlreichen Gestalten. Offiziell-kirchliche Dokumente und Entscheidungen treten momentan für den hohen theologischen Stellenwert des liturgischen Lateins ein und befürworten wörtliche Übersetzungen in die jeweiligen Muttersprachen. Dies führt aber zu erheblichen liturgiepastoralen Problemen, wie die Einführung des neuen englischen Messbuches und des neuen deutschen Begräbnisrituale klarmachen.
Eine sehr wichtige Begebenheit unserer religiösen Kultur ist, dass für immer mehr Westeuropäer/innen Religiosität und Kirchenzugehörigkeit zwei unterschiedliche Dinge darstellen; sie erfahren die ‚göttliche Welt‘ und die Begegnung mit dem Transzendenten ebenso außerhalb der traditionellen Kirchen. Religiöse Rituale in diesem Bereich blühen. Die Kirche verliert immer mehr das Monopol auf die Gestaltung religiöser Rituale und muss mit starker Konkurrenz rechnen. Das bedeutet ebenfalls, dass ‚Kunden‘, die Orientierung am Ritenmarkt suchen, sich überlegen, welches ‚Produkt‘ für sie am besten passt. Viele Menschen möchten sich nicht binden. Wie gesagt, sind Individualisierung, Pluralisierung und Detraditionalisierung signifikante Merkmale unseres Zeitalters. Die Menschen können selbst nachdenken, auswählen und entscheiden.
Zudem gibt es auch hausgemachte und interne liturgische Faktoren für die Abnahme der Teilnahme am kirchlichen Ritual. Ghettoisierung, autoritäre Entscheidungen und Strukturen, Missbräuche und extreme Formen des Klerikalismus sind alles andere als attraktiv. Weiterhin klagen mehrere Theolog/inn/en – stellvertretend für viele ‚einfache‘ katholische Christ/inn/en – über die ihres Erachtens ‚abgehobene‘ und ‚nicht-inklusive‘ Liturgiesprache. Viele nicht-sprachliche Symbole werden oft nicht verstanden, weder von Erwachsenen noch von Jugendlichen. Ob die Situation früher besser war, sei dahingestellt. Es gab damals mehr soziale Kontrolle und einen stärkeren gesellschaftlichen Druck, in die Kirche zu gehen. Außerdem spielten früher auch andere Faktoren eine bedeutende Rolle: Der Kirchgang diente zum Beispiel unter anderem als eine Art ‚Heiratsmarkt‘ und stellte überhaupt ein zentrales Forum öffentlicher Kommunikation dar.
Es stellt sich hier auch die dringende Frage der Existenz von Ortsgemeinden. Wie sieht die Beziehung zwischen dem Zusammenkommen der Ortsgemeinde, der Eucharistiefeier, den Wort-Gottes-Feiern und den ‚Pfarrverbänden‘ aus? In zahlreichen Pfarrgemeinden steht die Sonntagseucharistiefeier als solche ja unter großem Druck. Vielerorts gibt es Wort-Gottes-Feiern. Es handelt sich hier um ein existentielles Thema. Einerseits beobachtet man, dass zahlreiche Priester am Samstagabend und am Sonntag mehreren Feiern vorstehen, um möglichst viele Pfarrgemeinden zu bedienen, auch wenn das für diese Priester oft eine stressige Angelegenheit ist. Andererseits wird in den so genannten ‚priesterlosen Gemeinden‘ nach guten Lösungen gesucht und es werden Sonntagsgottesdienste ohne Priester gefeiert – bald mit Kommunionausteilung, bald ohne diese. Es ist merkwürdig, dass es einerseits für diese Wort-Gottes-Feiern von Bischöfen approbierte liturgische Bücher gibt, und dass andererseits dieselben Bischöfe diese Feierarten nicht fördern, insbesondere die Ausbildung der dafür zuständigen Laien nicht hoch bewerten und dass sogar in einigen Diözesen angeordnet wird, dass wenn in einem Pfarrverband oder Dekanat irgendwo eine Messe gefeiert wird, nicht anderswo gleichzeitig eine Wort-Gottes-Feier stattfinden darf.
Die konziliare Liturgiekonstitution selbst spricht explizit über die ‚Wort-Gottes-Feier‘ (sacra verbi Dei celebratio) und sagt: „Zu fördern sind eigene Wort-Gottes-Feiern an den Vorabenden der höheren Feste, an Wochentagen im Advent oder in der Vierzigtagezeit sowie an den Sonn- und Feiertagen, besonders da, wo kein Priester zur Verfügung steht; in diesem Fall soll ein Diakon oder ein anderer Beauftragter des Bischofs die Feier leiten“ (SC 35,4). Das Konzil empfiehlt einer Pfarrgemeinde also kein Ausweichen auf eine Messfeier in einer anderen Pfarre, sondern betont die eigene Pfarrliturgie, auch in der Form einer Wort-Gottes-Feier. Denn auch die Wort-Gottes-Feier wird vom Konzil Liturgie der Kirche genannt. Angesichts der Präsenz Christi in seinem Wort ist es ebenfalls relevant, an einigen weiteren Aussagen des Zweiten Vatikanums zu erinnern. Die Liturgiekonstitution nennt als Weisen, wie Jesus in der Liturgie anwesend ist, nicht nur das Messopfer und die übrigen Sakramente, sondern auch die Schriftlesung sowie das Beten und Singen der Kirche: „Gegenwärtig ist Christus in seinem Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden. Gegenwärtig ist er schließlich, wenn die Kirche betet und singt, er, der versprochen hat: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt. 18,20)“ (SC 7). In der Dogmatischen Konstitution über die Göttliche Offenbarung lesen wir: „Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht“ (DV 21). Die Verehrung der Heiligen Schrift wird hier also bildhaft mit derjenigen der eucharistischen Gaben gleichgesetzt. Die Gemeinschaft, die im Vollzug der Schriftlesung zu Stande kommt, ist nicht weniger wert als diejenige, die bei der eucharistischen Kommunion entsteht. Allerdings gibt es einige Priester und Laien, die behaupten, eine Wort-Gottes-Feier am Sonntag erfülle nicht die Sonntagspflicht, sie sei ‚nicht gültig‘. Meines Erachtens sollte man hier nuancieren. Die so genannte ‚Sonntagspflicht‘ gipfelt in der sonntäglichen Eucharistiefeier auf. Sie gipfelt darin auf, das heißt nicht, dass sie sich darin erschöpft. Auch in der Wort-Gottes-Feier wird des Paschamysteriums gedacht, und auch dort betet man gemeinsam und hört auf das Wort Gottes. Viele Katholiken sind jedoch oft noch ängstlich. Ängstlichkeit: ‚Darf ich dies oder jenes?‘, ‚Ist es nicht verboten?‘, ‚Sind Sie sicher, dass es erlaubt ist?‘, ‚Was wird die Nachbarin oder der Nachbar wohl sagen?‘, ‚Was wird der Pfarrer wohl sagen?‘, ‚Was wird der Bischof wohl sagen?‘, ‚Was wird Rom wohl sagen?‘, ‚Wie steht es um die Weltkirche?‘ oder ‚War diese Messe gültig?‘ ‚Ist sie gültig, wenn wir dies oder jenes machen?‘. Dieses Angstphänomen ist kein Privileg einer einzelnen Schicht innerhalb der Kirche. Laien fürchten sich oft, ‚dort vorne‘ zu stehen, geschweige – zum Beispiel als Lektorin oder Lektor – ein liturgisches Kleid zu tragen. Sie haben Angst vor dem Kommentar der Nachbarn: ‚Sie meint wohl, dass sie mehr als wir ist!‘, ‚Er hält sich wohl für sehr wichtig.‘ Respekt vor den Nachbarn oder vor kirchlichen Behörden ist gewiss nicht überflüssig, aber Furcht und Ängstlichkeit sind bestimmt keine christlichen Tugenden. Jesus sagt so oft in den Evangelien: ‚Fürchte dich nicht!‘
Allerdings ist die Liturgie nicht auf die ‚klassischen‘ Gottesdienste im Kirchengebäude beschränkt, sondern umfasst ein viel breiteres Spektrum. Andere Orte, wo Liturgie gefeiert wird, sind im Besonderen die Krankenhäuser, Seniorenheime, Pflegeheime, Schulen, Freiluft usw. In der Schule sind auch Rituale, wie zum Beispiel an den Festen von St. Martin und St. Nikolaus, relevant. In der Autobahnkirche spielt das Fürbittenbuch eine besondere Rolle. In diesem Buch befinden sich allerlei Art Anliegen von Autofahrern, die im Laufe der Woche vorbeifuhren, anhielten und kurz in der Autobahnkirche verweilten. Zudem gibt es die Hausliturgie: das Beten vor dem Essen, obwohl dies immer mehr abnimmt, und andere religiöse Familienrituale. Des Weiteren besteht die ‚Gemeinde‘ der wöchentlichen Fernseh- und Radiogottesdienste vor allem aus Senioren, Kranken und Behinderten; sie ist nicht klein und ziemlich konstant. Bei besonderen Anlässen, wie bei königlichen Trauungen oder Bestattungen von Kirchenrepräsentanten – man denke an die Beerdigung von Kardinal Franz König oder von Papst Johannes Paul II. –, ist die Fernsehgemeinde sogar enorm. Ein Musterbeispiel dafür ist der Tod der englischen Prinzessin Diana, die Trauerkundgebungen vor dem Londoner Buckingham Palace und die Bestattungsfeier in der Westminster Abbey. Die Fernsehübertragung des Totenamtes am 6. September 1997 berührte Millionen Menschen auf der ganzen Welt tief. Obwohl diese Diana nie persönlich gekannt hatten, fühlten sie sich, als ob sie eine gute Freundin, sogar ihre beste Freundin („Diana, you are my best friend“) verloren hätten. Ein Paradox bei solchen Fernsehgottesdiensten ist dieses: es besteht einerseits ein großer physischer Abstand, weil die Zuschauenden auf ihrem Sofa zu Hause sitzen, andererseits empfinden viele von ihnen eine tiefe Verbundenheit mit der verstorbenen Person, die sie so während seines/ihres Lebens viel weniger erfahren haben. Das Fernsehen, vor allem eine geschickte Kameraführung und eine kluge Regie, verstärkt die Gefühle der Zuseher/innen und kanalisiert diese gleichzeitig, indem es Verbundenheit kreiert. Ein Nebeneffekt solcher eindrucksvollen Medienübertragungen ist übrigens, dass ‚normale‘ Gottesdienste daneben verblassen: einige erwarten, dass diese ebenso bewegend und berührend sind und sie sind enttäuscht, wenn das nicht der Fall ist.
Auch die Welt des ‚Medienreligiösen‘ (Arno Schilson) im Allgemeinen besitzt eine fast religiöse Struktur. Man denke hier vor allem an Heils- und Unheilsversprechen in der Werbung, den rituellen Feiercharakter der Shows und die Vorbildfunktion der in Talkshows dargestellten Biographien. Die Programmstruktur des Fernsehens – beispielsweise stellt die ‚Zeit im Bild‘ im ORF eine wichtige Markierung im Tagesablauf dar – hat für viele Menschen die Funktion des Morgen- und des Abendlobes und der dreimaligen Angelusglocke übernommen. Zudem gibt es eine wachsende Anzahl von so genannten ‚Stillezentren‘ in Betrieben, Schulen, Ministerien und so weiter, wo Mitarbeitende sich für Meditation, ‚Zu sich selbst kommen’, und private Rituale zurückziehen können.
Zu nennen sind auch die ‚Lebensrituale‘ bei der Geburt oder Adoption von Kindern, bei Beziehungen, Scheidungen oder Verlusten sowie die wieder beliebter werdenden Wallfahrten. Beispielsweise erlebt der beschwerliche camino zum Schrein des hl. Jacobus in Santiago de Compostela seit einigen Jahrzehnten eine spektakuläre Renaissance. Viele der den camino zu Fuß Gehenden verfassen und veröffentlichen ein Pilgertagebuch. Die Grenzen zwischen Touristen und Wallfahrern, an Religion Interessierten, Suchenden und Festglaubenden, Nicht-Kirchlichen und Kirchlichen sind fließend. Für zahlreiche Pilger/innen sind nicht Motive, wie ein Gelübde, Buße, Danksagung oder ein starker Bezug zu Jesus Christus bzw. Maria, ausschlaggebend, sondern das Gehen des Weges selbst: die Erfahrung des eigenen Körpers und seiner Beschränkungen, die Natur, in der man unterwegs ist, die Reflexion über den eigenen Lebensweg, Begegnungen mit anderen Pilgernden und die persönlichen religiösen Überzeugungen. Beliebt sind auch Erntedankfeste und Segnungen, wie die Palmweihe, Adventkranzsegnung und Osterspeisensegnung (‚Fleischweihe‘), letztere vor allem in Kärnten und der Steiermark (sowie in Slowenien, Polen, im orthodoxen Russland und anderswo in Europa). Diese Segnungsarten stiften und stärken Identität; in einer globalisierten Welt zeigen sie regionale Verwurzelung. ‚Brauchtum‘ blüht zurzeit. Zusätzliche Vorteile dieser Segnungsarten sind: sie dauern nicht lange, sind sinnlich – es gibt viel zu sehen, riechen und betasten – und die Teilnehmenden bestimmen etwas Wichtiges selber – das Herrichten des Korbes bzw. des Strauches und des Kranzes – und können es mit nach Hause nehmen. Manche kirchliche Verantwortungsträger stehen diesen Segnungen ambivalent gegenüber: einesteils betrachten sie diese als eine Chance zur Evangelisierung, weil viele Menschen teilnehmen, die sonst nicht oder kaum in die Kirche kommen, andernteils empfinden sie Gefühle des Unbehagens, weil offenbar diese angeblich ‚oberflächlichen‘ und ‚nach Magie riechenden‘ Rituale bei vielen besser ‚ankommen‘ als die wöchentlichen Sonntagsgottesdienste. Doch zeigt dieses Phänomen auch, wie wichtig die allgemeine religiöse Volkskultur ist. Sie ist ein äußerst bedeutender Humusboden für die Erfahrung von Heiligkeit und Sakramentalität. Wenn dieser Humus untergeht, ist auch die offizielle Liturgie gefährdet, auszutrocknen!
Beim alljährlich am zweiten Sonntag im Dezember stattfindenden Worldwide Candle Lighting wird der Kinder, die vor, während oder nach ihrer Geburt verstorben sind, gedacht und es werden von Verwandten Kerzen für sie angezündet. Relevant ist auch das Ritual am AIDS Memorial Day und an anderen Gedächtnistagen. Im Fall eines tödlichen Verkehrsunfalls sind nicht nur Wegkreuze üblich, sondern am Ort des Unfalls – oder am Ort einer großen Katastrophe oder eines Attentates – werden auch oft Blumen niedergelegt, Zeichnungen aufgehängt und Kerzen angezündet. Am Ort, wo die verstorbene Person tätig war – falls es sich um einen Schüler oder eine Schülerin handelt: in der Schule –, wird eine ‚Gedächtnisecke‘ oder ein ‚Altar‘ eingerichtet, wo sich Fotos, Blumen, Kerzen, Gedichte, ein Buch, in dem man einen Abschiedsgruß oder Ähnliches schreiben kann, Zeichnungen usw. befinden. In den Niederlanden ist es seit den 1990er Jahren üblich geworden, dass nach einer Katastrophe oder einem Akt sinnloser Gewalt ein ‚stiller Umzug‘ (stille tocht) gehalten wird: Würdenträger und viele Bürger/innen ziehen schweigend am Tatort vorbei und kommen danach in einem Stadion oder einer Kirche für eine Gedächtnisfeier oder einen ökumenischen bzw. multireligiösen Gedächtnisgottesdienst zusammen. Die Teilnehmenden wollen damit ihre Solidarität zeigen (und diese wahrscheinlich auch suchen), gegen den Gewaltakt protestieren und sogar das Übel oder die Gewalt bannen.
Im Zentrum mehrerer Großstädte gibt es am Ende des Arbeitstages Kurzgottesdienste, wie z.B. der ‚Zwölfminuten-Gottesdienst‘ in der evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. In der katholischen Grazer Stadtpfarrkirche gab es einige Zeit ‚Fünf nach Fünf‘. Im Bonner Münster bevorzugt man die Mittagspause: dann wird eine kurze, für ein breitgefächertes Publikum angedachte Stundenliturgie gefeiert. Solche Feiern entsprechen dem modernen Lebensgefühl, weil sie kurz sind und die Schwelle zum Hineinkommen niedrig ist. Äußerst wichtig ist des Weiteren die zunehmende Bedeutung des Internet. An Gottesdiensten kann man live über das Internet teilnehmen. Auf speziellen memorial sites kann man für Verstorbene virtuelle Blumen auf ebenfalls virtuelle Gräber legen oder seinen Namen in virtuelle Kondolenzlisten eintragen. Mit dem world wide web geht jedoch eine andere Art von Gemeinschaft einher als dies anderswo der Fall ist: es fehlt nicht nur die Dimension der leiblichen Anwesenheit, sondern es werden auch die Symbolhandlungen durch Fingerbewegungen auf der Tastatur und der ‚Maus‘ verrichtet.
Jedenfalls gibt es heutzutage eine vielschichtige Pluralität von rituellen und liturgischen Aktivitäten, die sich außerhalb des Kirchengebäudes abspielen. Nur wenige davon lassen sich als klassische Liturgie betrachten. Die Grenzen zwischen kirchlicher Liturgie, außerkirchlicher Liturgie und ‚bloßem‘ außerkirchlichem Ritual sind nur schwer zu ziehen. Es handelt sich bei vielen Lebensritualen und bei virtuellen Computer-Ritualen um Feierformen, die Pfarre und Kirche übersteigen. Die Teilnehmenden erfahren oft mehr Verbundenheit mit ihrem eigenen Kulturkreis als mit den Kernfeiern der Pfarrgemeinde, der sie formell angehören. Die monolithische Volkskirche mit einer starken Partizipation an den pfarrgemeindlichen Kernfeiern gibt es kaum mehr. Wir haben es mit kleinen Kerngemeinden und einer großen pluriformen Gruppe von Christ/inn/en um diese herum zu tun. Leider sind viele pfarrgemeindliche und diözesane Liturgiefeiern kaum auf die ‚Gelegenheitsbesuchenden‘ abgestimmt. Die liturgische Pastoral ist vor allem darauf gerichtet, ‚Fernstehende‘ zu den ‚Kernfeiern‘ zu ‚locken‘. Pfarrer klagen über den geringen Kirchenbesuch. Es wäre meiner Meinung nach ratsam, die traditionellen Kirchen zu öffnen für den ‚Randbereich‘ mit seiner reichen rituellen und liturgischen Tätigkeit. Diese Öffnung bedeutet nicht, dass unbedingt alles übernommen werden muss. Liturgie wird nicht nur von ihrem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld beeinflusst, sondern man könnte/sollte auch versuchen, falls notwendig, eine kritische Funktion gegenüber diesem Umfeld auszuüben. Ausgangspunkte dieser Kritik sind im Besonderen die Exoduserfahrung Israels, d.h. die Erfahrung des von Unterdrückung befreienden Gottes, sowie das Leben Jesu – sowohl sein tiefes Gottesvertrauen als auch seine Solidarität mit den Marginalisierten –, das Paradox seines Todes und seiner Auferstehung sowie die Geist-Gabe. Es ist jedoch ratsam, aus christlich-liturgischer Perspektive Neues nicht sofort abzulehnen, sondern sich zunächst möglichst weit für das Neue zu öffnen. Übrigens ist auch die ‚klassische‘ Eucharistiefeier das Ergebnis der ‚Inkulturierung‘ des Christentums in früheren Jahrhunderten, z.B. in der Reichskirche im Römischen Reich während des vierten und fünften Jahrhunderts oder in Frankenreich während des Frühmittelalters. Liturgie ist immer in Bewegung, immer der Veränderung unterworfen. Auch Gott selbst ist keine unveränderliche Größe, sondern ein dynamischer, lebendiger Gott. Leben bedeutet Veränderung und Veränderung bedeutet Leben.
Es bleibt daran festzuhalten, dass die Liturgie, die Bibel und das Leben zusammengehören. Wenn Menschen an der Eucharistie teilnehmen und nicht erfahren, dass es zwischen ihrem normalen Leben, der Kultur, in der sie leben, dem Gottesdienst und der biblischen Vision einer neuen Welt und eines neuen Bundes eine Verbindung gibt, dann dürfte die Messe allmählich unbedeutend für sie werden und sie könnten auch ohne sie leben. Das ist es, was wir heutzutage wahrnehmen. Natürlich tritt aufgrund Modernisierungsprozesse vielerorts eine ‚Verdunstung‘ des traditionellen Gottesglaubens hervor, aber der Verlust des Zusammenhangs zwischen Liturgie und Leben, Gottesdienst und Kultur ist teilweise hausgemacht.
Dauerhafte Liturgieerneuerung geht weder ohne Rücksichtnahme auf die jeweilige Kultur noch ohne biblisch-theologische Erneuerung. Das in der Katechese gehörte und erklärte Schriftwort, das im Gottesdienst gefeierte Wort Gottes sowie das in der Diakonie und Caritas gelebte Wort sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn sie getrennt werden, läuft die Liturgie Gefahr, nur ‚dröhnendes Erz‘ zu werden (vgl. 1 Korinther 13,1). Im eucharistischen Gebet geht es um die ‚Wandlung‘. Diese Wandlung ist jedoch nicht nur auf die Gaben beschränkt, sie betrifft auch uns, ja die ganze Welt. Die drei Dimensionen, nämlich die Wandlung der Gaben, unsere Wandlung sowie die Wandlung der Welt gehören untrennbar zusammen. Kontemplation und Aktion, Mystik und soziales Handeln, Liturgie und Caritas gehören zusammen. Die Eucharistiefeier hört nicht bei der Kirchtür auf. Es gibt auch ‚Liturgie vor der Liturgie‘ und ‚Liturgie nach der Liturgie‘.
Liturgieerneuerung ist ein immer aktuelles Geschehen. Heute feiern wir das Dreifaltigkeitsfest. Vom dreieinen Gott beseelte, performative, alte und neue Symbolhandlungen und –Texte können Veränderungen, eine Bekehrung in den Teilnehmenden bewirken und so zur Begegnung der Gemeinde mit dem Unsichtbaren sowie zum Verbunden-Sein miteinander beitragen. Dies geschieht übrigens auf allerlei Weisen, sowohl in alten als auch in neuen Gestalten: in der Klage genauso wie im Lobpreis, im tastenden Zweifel wie im festen Wissen, flehend oder verkündigend, verzweifelt anrufend oder segnend.
Zum Referenten:
Basilius Jacobus (Bert) Groen ist Vorstand des Instituts für Liturgiewissenschaft, Christliche Kunst und Hymnologie sowie Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für den interkulturellen und interreligiösen Dialog in Südosteuropa an der Universität Graz. Im Studienjahr 2011/12 war er Fellow und Gastprofessor an der Yale University (Institute of Sacred Music), USA. Für mehr Info siehe: www.b-groen.org
Einige seiner Publikationen in Bezug auf das Thema dieses Vortrags sind:
- ‘Die eine Sonntagseucharistie und die pluriforme Gemeinde’, in: Rudolf Pacik und Andreas Redtenbacher (Hg.) Protokolle zur Liturgie: Veröffentlichungen der Liturgiewissenschaftlichen Gesellschaft Klosterneuburg, Bd. 1, Würzburg 2007, 79-100.
- ‘Liturgie und Armut: Der Gottesdienst vor und nach dem Gottesdienst’, in: Leopold Neuhold und Livia Neureiter (Hg.), Muss arm sein? Armut als Ärgernis und Herausforderung, Innsbruck und Wien 2008 (= Theologie im kulturellen Dialog 15), 104-156.
- (mit Peter Ebenbauer) ‘Männerliturgie – Frauenliturgie – und dann? Beobachtungen und Impulse auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Liturgie’, in: Sigrid Eder und Irmtraud Fischer (Hg.), „…männlich und weiblich schuf er sie…” (Gen 1,27): Zur Brisanz der Geschlechterfrage in Religion und Gesellschaft, Innsbruck und Wien 2008 (= Theologie im kulturellen Dialog 16), 217-256.
- ‘Liturgie mit Kranken und Sterbenden’, in: Hans Walter Ruckenbauer und Walter Schaupp (Hg.), Macht Religion gesund? Christliches Heilsangebot und Wellness-Kultur, Innsbruck und Wien 2010 (= Theologie im kulturellen Dialog 14), 189-229; auch in Ordensnachrichten 47 (2008) Nr. 3, 16-48.
- ‘Einige liturgische und ökumenische Aspekte des Frauendiakonats’, in: Dietmar W. Winkler (Hg.), Diakonat der Frau: Befunde aus biblischer, patristischer, ostkirchlicher, liturgischer und systematisch-theologischer Perspektive, Münster, Berlin und Wien 2010 (= orientalia – patristica – oecumenica 2), 89-115.
- ‘Liturgische Spiritualität in der ostkirchlichen Orthodoxie und im Katholizismus’, in: Elisabeth Pernkopf und Walter Schaupp (Hg.), Sehnsucht Mystik?, Innsbruck und Wien 2011 (= Theologie im kulturellen Dialog 22), 157-181.
- ‘Einige Aspekte der heutigen “tätigen Teilnahme”’, in Heiliger Dienst 58 (2004) 288-302.
- ‘Die Volkssprache in der Liturgie: Chancen und Probleme’, in Jaarboek voor Liturgie-onderzoek 21 (2005) 105-128.
- ‘Złoty środek? Rzymskie Dyrektorium o pobożności ludowej i liturgii. Die goldene Mitte? Das römische Direktorium über die Volksfrömmigkeit und die Liturgie‘, in: Keryks: Międzynarodowy przegląd pedagogicznoreligijny – Internationale religionspädagogische Rundschau 6 (2007) 19-42.
- ‘Wallfahrten im Judentum, Christentum und Islam’, in Heiliger Dienst 61 (2007) 26-47.
- ‘Die Liturgie: Das Konzil, das gottesdienstliche Leben und die religiöse Volkskultur heute’, in: Theologisch-praktische Quartalschrift 160 (2012) 248-253.
- (Hg. mit Benedikt Kranemann) Liturgie und Trinität, Freiburg i.B. 2008 (= Quaestiones Disputatae 229).
- (Hg. mit Christian Gastgeber) Die Liturgie der Ostkirche: Ein Führer zu Gottesdienst und Glaubensleben der orthodoxen und orientalischen Kirchen, Freiburg i.B. 2012.
- ‘Antijudaismus in der christlichen Liturgie und Versuche seiner Überwindung’, in: Joachim Kügler (Hg.), Prekäre Zeitgenossenschaft: Mit dem Alten Testament in Konflikten der Zeit – Internationales Bibel-Symposium Graz 2004, Münster 2006 (= bayreuther forum Transit: Kulturwissenschaftliche Religionsstudien 6), 247-278.