Ad limina – Welches Bild der Kirche von Österreich wird hier vermittelt?

Vermutlich werden wir nie erfahren, was der Kardinal und die Bischöfe ihrem Amtsbruder, dem Bischof von Rom, über die Situation der katholischen Kirche in Österreich als Ganzes, und in ihrer jeweiligen Diözese berichtet haben. Warum eigentlich? Mit welchem Recht wird hier ein Bericht über uns abgegeben, von dessen Inhalt wir nichts wissen dürfen? In früherer Zeit war es selbstverständlich, dass der Quinquinalbericht in der Diözese unter Mitwirkung des Klerus und der Laien erstellt wurde. Gemeinsam haben sie ein Bild der Diözese gezeichnet. Als ehrenamtlich tätige Laien, die das ganze Jahr in und für unsere Diözese, und darüber hinaus auch österreichweit arbeiten, haben wir wohl das Recht hier mitzureden. Mitarbeiten heißt mitgestalten und heißt Mitverantwortung tragen.

Was vom Bericht des Kardinals in Rom zu erwarten ist, zeigt sein Interview, das er am vergangenen Sonntag gegenüber Radio Vatikan gegeben hat, schonungslos auf:

Da ist zunächst die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Pfarrer-Initiative, die Schönborn dahingehend beantwortet, dass es sich „bei den Priestern, die den Aufruf (zum Ungehorsam) gemacht haben, wirklich nur um einen ganz kleinen Prozentsatz, fast im Promille-Bereich, handle“. Sieht man sich die konkreten Zahlen an, so entpuppt sich der kleine Prozentsatz als nicht zu vernachlässigbare Größe: In Österreich gibt es knapp 4.000 Ordens- und Weltpriester und 650 ständige Diakone. Von diesen sind 416 Priester (knapp über 10 %) und 93 Diakone (rund 14 %) Mitglied der Pfarrer-Initiative.

Betrachtet man den Altersdurchschnitt von 59 Jahren, zeigt sich, dass es sich hier ausnahmslos um Priester/Diakon handelt, die - im Unterschied zum Herrn Kardinal - über eine jahrzehntelange praktische pastorale Erfahrung verfügen, und aus eigener, oft leidvoller Erfahrung wissen „wo der Schuh wirklich drückt“. Hier wird Seitens des Kardinals versucht, eine Personengruppe zu minimalisieren, die das weder quantitativ, und schon gar nicht qualitativ verdient hat. Nicht zu vergessen, die rund 75 % aller Priester und Diakone, die bei einer bundesweiten Befragung ihre Sympathie gegenüber der Pfarrer-Initiative bekundet haben, dieser aber aus Sorge um ihre berufliche (=pastorale) Arbeit nicht beitreten wollen oder können (was alleine für sich schon ein eigenartiges Bild auf die innerkirchliche Situation wirft).

Die Aussage des Kardinals ist daher eine Desavouierung des überwiegenden Teils des Klerus. Man darf auf jeden Fall gespannt sein, wie der Herr Kardinal dem Ratschlag, den er beim Treffen mit Papst Franziskus von diesem erhielt, „Seid Euren Priestern nahe“, nachzukommen gedenkt.

„Von Papst Franziskus lernen wir, dass sich die Kirche nicht übermäßig mit ihren Strukturen beschäftigen solle“, meint der Kardinal, um im gleichen Atemzuge mit der Bemerkung „Das Thema Gemeinschaft habe Vorrang vor der Frage territorialer Zugehörigkeit“ genau der Intention von Papst Franziskus zu widersprechen (und damit der Praxis seiner Mitbrüder in Klagenfurt oder Salzburg, die klar gesagt haben, dass es in ihrem Bereich keine Pfarrzusammenlegungen geben werde). Und weiter „Menschen fänden sich dort ein, wo sie eine lebendige Glaubensgemeinschaft finden, und nicht dort, wo sie territorial hingehören“. Der Kardinal übersieht dabei aber, kraft fehlender eigener Erfahrungen, dass das Idealbild darin liegt, die lebendige Glaubensgemeinschaft dort zu finden, wo man territorial hingehört. Mit der ständigen Gründung neuer Bewegungen und deren einseitiger Förderung verhindert der Kardinal geradezu den Erhalt bestehender und funktionierender bzw. die Bildung neuer idealtypischer Glaubens- (= Pfarr-) Gemeinschaften. Lebendige Gemeinde, die alle und alles einschließt, kann nämlich nur dort wachsen und gedeihen, wo die Menschen leben. Hunderte Beispiele in Österreich stehen dafür.

Elitäre Zirkel können/sollen dabei eine wertvolle Bereicherung/Ergänzung dessen niemals aber Ersatz dafür sein, da sie nur einen kleinen Teil des spirituellen - und kaum einen des caritativen- Spektrums abdecken. Pfarre versteht sich als Heimat - von der Wiege bis zur Bahre.

Auf der Homepage der vom Kardinal geförderten Plattform „Jakob“ findet sich unter „ad limina“ eine bemerkenswerte Aussage des 2002 verstorbenen Kurienkardinals Francois Xavier Nguyen Van Thuan gegenüber seinen vatikanischen Mitarbeitern: „Ein ganz konkreter Bereich, in dem wir diesen unseren typischen Dienst der Gemeinschaften (gemeint sind damit die Bewegungen) verwirklichen können, ist zweifellos die Aufnahme der Bischöfe während ihres Ad-limina-Besuches. Die Besuche ad limina sollen ein besonderes Moment jener Gemeinschaft darstellen, die für das Wesen der Kirche so grundsätzlich entscheidend ist.“

Diese Anmaßung darf nicht unwidersprochen bleiben. Grundsätzlich entscheidend für das Wesen der Kirche sind wohl alle die Gläubigen - Kinder, Jugendliche, Erwachsene jeden Alters, Alleinstehende oder Verheiratete, Männer und Frauen - die das ganze Jahr über in den Pfarren, Dekanaten und Diözesen, ob in Jungschar, Jugend, Frauen- und Männerbewegung, Familienrunden, als Tischväter und Tischmütter, oder als Firmgruppenleiter/innen pastoral tätig sind: In ihren Händen liegt die Zukunft der Kirche. Sie gehen, der Aufforderung unseres Bruders Franziskus folgend, zu den Randgruppen, den Gescheiterten, den Verzweifelten, den Alten und Kranken – und bringen ihnen die Frohbotschaft. Ihnen fehlt oft die Zeit, um sich im Kreis um eine Kerze zu setzen und zu singen (ohne das abwerten zu wollen), ihnen fehlt oft diese Zeit für sich, da sie sich eben den anderen widmen.

Die Behauptung des vietnamesischen Kardinals, die auch von seinem österreichischen Amtsbruder bei jeder Gelegenheit unterstrichen wird, wonach die Gemeinschaften (Bewegungen) „für das Wesen der Kirche so grundsätzlich entscheidend“ seien, ist ein Schlag ins Gesicht und eine Desavouierung des Engagements des Großteils der ehrenamtlich tätigen Laien in den Pfarren. Mit seiner einseitigen Förderung bzw. Bevorzugung der Bewegungen hungert Kardinal Schönborn die gewachsenen Pfarrstrukturen mit allen ihren oben genannten Einrichtungen und Gruppierungen personell und materiell aus – um dann festzustellen, dass viele der Pfarren nicht überlebensfähig sind.

Und letztlich sind es die Aussagen unseres Kardinals zur Vatikan-Umfrage, die am Wahrheitsgehalt seines Berichtes an den Bischof von Rom Zweifel aufkommen lassen. Schönborn spricht von 30.000 Teilnehmern an der Befragung. In Wahrheit waren es 42.500. Geflissentlich verschweigt der Kardinal dabei etwa die rund 4.000 Teilnehmer an der Befragung der KAÖ, die etwa 4.000 Teilnehmer an der gemeinsamen Befragung der Laieninitiative und von „Wir sind Kirche“ und die 1.100 Teilnehmer aus der Jugend. Auch verschweigt der Herr Kardinal geflissentlich, dass die Erzdiözese Wien wenig dazu beigetragen hat, dass sich mehr Menschen an der Befragung beteiligen. Offensichtlich war man in Wien (wie auch in St. Pölten) an der Befragung, und dem zu erwartenden Ergebnis gar nicht interessiert. Hier wurde klar gegen die Intentionen von Papst Franziskus gehandelt.

Es stellt sich aber auch die Frage, ob der Herr Kardinal meint, sich mit der Ablieferung des Ergebnisses der Befragung in Rom seiner Aufgabe und Verantwortung entledigt zu haben. Papst Franziskus weist stets darauf hin, dass er, gemäß dem Subsidiaritätsprinzip, den nationalen Bischofskonferenzen mehr Eigenverantwortung überlassen möchte. Die leidige Ausrede, „Rom wünscht das nicht“, hat damit ausgedient. Unsere Bischöfe werden daher in Zukunft noch mehr daran zu messen sein, wie ernst sie die in der Befragung geäußerten Anliegen der Gläubigen nehmen, und welche Maßnahmen sie zur Verbesserung der Situation treffen. Dann müsste man in fünf Jahren die Fragebogen neuerlich versenden um zu sehen, auf welchen Gebieten eine Verbesserung eingetreten ist und auf welchen nicht. Und die Bischöfe müssen sich dann die Frage gefallen lassen, was sie dazu beigetragen oder was sie unterlassen haben.

Wenn der Herr Kardinal im Interview meint, „man sehe (etwa bei der Berichterstattung über die Pfarrerinitiative) „den Unterschied zwischen dem, was medial transportiert wird und dem, was Realität der Kirche ist“, dann kann man das 1:1 auf seine Berichterstattung in Rom umlegen. Auch bei dieser sieht man den Unterschied zwischen dem, was dorthin transportiert wird, und dem, was Realität der Kirche ist.

(Nebstbei stellt sich die Frage, wie jemand, der so leichtfertig mit Zahlen umgeht - indem er etwa die Größenordnung von 10 bis 14% im Promillebereich ansiedelt - seine Funktion im Aufsichtsrat einer (Vatikan-) Bank wahrnehmen will.)

Wir verlangen daher zunächst, dass die Berichte, die nach Rom gegangen sind, offen gelegt werden.

Die Diözesen sind die Summe der Gläubigen und nicht der Bischof „himself“. Wir haben daher das Recht, zu wissen, was über uns, unsere Arbeit, unsere Sorgen und Nöte bei unserem Bischof von Rom hinterlegt worden ist. Sollte dies nicht erfolgen, oder der Inhalt der Realität nicht entsprechen, werden wir einen Bericht der Laien verfassen, der die Situation der Kirche in Österreich darstellt, so wie sie ist - und nicht so, wie der Herr Kardinal glaubt, wünscht oder anordnen will, dass sie ist - und diese Papst Franziskus überreichen.

Zum Autor: Prof. Mag. Rolf M. Urrisk-Obertynski ist Brigadier i. R. des Österreichsichen Bundesheeres und seit 40 Jahren in ehrenamtlicher Funktion im Laienapostolat tätig.

Kathpress Chefredakteur Dr. Paul Wuthe antwortet:

Lieber Rolf,

Dein auf dem Blog-Portal von Andreas Unterberger erschienener Beitrag nehme ich zum Anlass, um mich mit einer Klarstellung bei Dir zu melden.

Es geht um Deine Ausführungen zu den Aussagen von Kardinal Christoph Schönborn zum „Aufruf zu Ungehorsam“. Im Interview für Radio Vatikan – über das in der Folge auch die Kathpress berichtete - sagte der Kardinal zum „Aufruf“:

„Ich habe dann immer erklärt, dass jene Priester, die wirklich den Aufruf gemacht haben, wirklich nur ein ganz kleiner Prozentsatz, fast im Promille-Bereich, der Priester sind.“

Diese Aussage wird nun von Dir heftig kritisiert, weil es doch viel mehr Priester seien, die diesen Aufruf getätigt hätten.

Genau hier liegt aber ein offensichtliches Missverständnis vor: Die Aussage von Kardinal Schönborn basiert darauf, dass der im Juni 2011 gemachte „Aufruf zum Ungehorsam“ lediglich ein Vorstandsbeschluss des „Pfarrerinitiative“ war. Von daher ist klar, dass es sich nur um eine ganz kleine Gruppe handelt, die tatsächlich im Promillebereich liegt, wenn man daran denkt, dass es in Österreich rund 4.000 katholische Priester im Amt gibt.

Für die „Kathpress“ war klar, dass die Aussage des Kardinals nur so zu verstehen war.

Du kannst Diese meine Ausführungen gerne verwenden – beispielsweise zur Richtigstellung auf Deinem Blogeintrag.

Als Chefredakteur der „Kathpress“ nehme ich dieses Missverständnis zum Anlass, künftig noch mehr darauf zu achten, welches Faktenwissen man von Lesern bzw. Mediennutzern voraussetzen kann bzw. wann „erklärende Zusätze“ zwecks Kontextualisierung geboten sind, damit der Sinn einer Aussage richtig aufgenommen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Paul

Lieber Paul!

Ich danke Dir für Dein Mail und den Versuch einer Richtig(?)stellung.

Wenn man den von Dir zitierten Satz für sich alleine analysiert – da gebe ich Dir recht – könnte man ihn auch so, wie Du es darlegst, verstehen.

Nur, er stand nicht für sich alleine sondern im Kontext mit den Sätzen davor und danach. Die Argumentation ermöglicht nämlich die nachträgliche scheinheilige Entrüstung, so unter dem Motto: „Ich bin schon wieder falsch verstanden worden. Ich habe das so nicht gemeint“.
Aber genauso war es gemeint. Ausgangspunkt für die Aussage des Kardinals „es handle sich nur um einen ganz kleinen Prozentsatz, fast im Promillebereich“ war nämlich das Bedauern der „Bischöfe, wo immer ich sie treffe: „ Ihr Armen, wie schrecklich“. Und dann die Schlussfolgerung des Kardinals: „Dann war die Überraschung groß. Da sieht man den Unterschied zwischen dem, was medial transportiert wird, und dem, was die Realität der Kirche ist“. Für den Kardinal, lieber Paul, liegt die Realität im Promillebereich. In der Realität liegt sie hingegen in über 10%, die unterschrieben, und in den 75%, die ihre Zustimmung dazu kundgetan haben.

Die wahre Absicht des Kardinals, wie immer man seine Worte im Einzelnen bewerten mag, liegt im Versuch der Marginalisierung der Pfarrerinitiative. Und in der Beruhigung seiner besorgten Mitbrüder, die er sinngemäß so zum Ausdruck bringen will: „Macht Euch keine Sorgen, die kann man vergessen - Ich habe alles im Griff“. Dem ist aber (leider/Gott sei Dank) nicht so.

In der Hoffnung, dass Du mir trotzdem weiter gewogen bist, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen
Rolf

P.S.: Ich möchte nur klarstellen, dass ich hier nur meine persönliche - private - Meinung äußere, auch wenn ich mir dessen sicher bin, dass sie von zigtausend Gläubigen geteilt wird.

P.P.S.: Ich weiß, Vergleiche hinken immer. Aber ich versuche es trotzdem: Nehmen wir an, der X äußert sich verärgert über die „Umtriebe“ der Christen. Da will ihn der Y beruhigen, in dem er meint, beim Christentum handle es sich ja nur um einen zu vernachlässigenden Faktor, und er begründet das so: “Bei denen, die zu seiner Gründung aufgerufen haben, handelt es sich in Wirklichkeit ja nur um einen kleinen Prozentsatz, eigentlich ja nur um einen, und die zwölf, die ihn begleiten“. Wenn man die Christen also auf die dreizehn reduziert, nur um ihnen ihre Bedeutung damit abzuerkennen, verhöhnt man im gleichen Atemzug die 2,26 Milliarden Christen, die immerhin 32% der Weltbevölkerung ausmachen.