Benedikts Kinderglaube

12.03.2013, Wolfgang Bergmann

Wolfgang Bergmann, Theologe und ehemaliger Kommunikationsdirektor der Erzdiözese Wien hat in der Tagenzeitung Der Standard am 12. Februar 2013 nachstehenden Kommentar der anderen Art geschrieben:

Benedikt XVI. landet beim Kinderglauben, in dem gegen wissenschaftliche Evidenz Erzählungen wörtlich genommen werden

Den einst modernen Theologen Joseph Ratzinger hat an der entscheidenden Stelle der Mut verlassen. Damit hat er sich gegen die Vernunft entschieden, die er so gern mit dem Glauben versöhnen wollte.

Was bleibt von Joseph Ratzinger nach diesem Konklave? Er, der nach Eigenangabe künftig unsichtbar bleiben will und nach Aussagen aus seinem Umfeld auch nicht mehr publizieren wird, hat rechtzeitig vor der Abdankung sein theologisches Werk mit einer Jesus-Trilogie abgeschlossen.

Verkehrt herum. Denn der dritte Band ist der nachgereichte Prolog. Benedikt XVI. beschäftigt sich zum Abschluss nicht mit Tod und Auferstehung, sondern mit der Kindheit Jesu - und landet selbst beim Kinderglauben. Das ist gleichzeitig tragisch!

Joseph Ratzinger vertrat als junger Wissenschafter eine Theologie, die das Zeug hatte, die Kirche in der Moderne ankommen und mit der Wissenschaft versöhnen zu lassen. Dogmen interpretierte er mutig und erfrischend neu. Die Überwindung der großen Kirchenspaltungen schien greifbar. Er war fortschrittlicher Theologe jenes Konzils, das Religions- und Gewissensfreiheit brachte und das lehrte, dass die Bibel nicht als historisches Lexikon misszuverstehen sei.

Rückwärtsentwicklung bei Jungfrauengeburt

Am Ende seines Werkes gelangt er aber genau zum Gegenteil. Plötzlich gibt es im Schlusskapitel ein herzhaftes Ja zur Historizität der Geschichte rund um die Sterndeuter (besser bekannt als die Heiligen Drei Könige, die man heute noch im praktischen Dreifachsarg im Dom zu Köln zu beherbergen glaubt) - als ob es auf die historische Frage überhaupt ankäme. Plötzlich ist das Lukasevangelium vor allem historisch zu betrachten, weil der Erzähler dort sagt, er habe sich entschlossen, " allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen".

Am deutlichsten ist die Rückwärtsentwicklung Ratzingers am Thema der Jungfrauengeburt abzulesen. 1968 schrieb Ratzinger fortschrittlich Sätze, in denen er es auch mit dem Glauben vereinbar hielt, dass Josef der biologische Vater Jesu war 1). Wenige Jahre später sah er sich veranlasst, zu dieser Aussage "Grenzen (...) deutlich herauszustellen" 2). Ein kleiner Kniefall zur Ermöglichung der nachfolgenden Kirchenkarriere. 2012, im letzten Band, geht es ihm nun tatsächlich um den unmittelbaren Eingriff in die Welt der Biologie. Er formuliert final: "Wenn Gott nicht auch Macht über die Materie hat, dann ist er eben nicht Gott." Ratzinger geht es nun beim Dogma der Jungfräulichkeit Mariens um "das Gottsein Gottes selbst".

Mit solchen theologischen Kurzschlüssen hat Ratzinger mehr das Potenzial, Stammvater eines neuen Agnostizismus zu werden, als moderne Menschen dem christlichen Glauben nahezubringen. Denn die so gewonnene Kurzformel kann lauten: Ohne Jungfrauengeburt kann es gar keinen Gott geben - das wird Austrittszahlen wohl eher befördern.

Was ist da passiert? Einen Erklärungsschlüssel findet sich im Vorwort des ersten Bandes seines mehr als 800 Seiten umfassenden Schlusswerkes. Benedikt schildert darin das Dilemma, dass durch die Fortschritte der historisch-kritischen Forschung der Glaube " immer mehr an Kontur verlor" . Hier dürfte der entscheidende Wendepunkt liegen!

Angst vor dem Ungewissen

Denn wenn Grundlagen für dogmatische Aussagen wissenschaftlich infrage gestellt werden - und Ratzinger hat in seiner Zeit als Gelehrter kaum ein heißes Thema ausgelassen -, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder ein mutiges Voranschreiten ins Ungewisse, in der auch Glaubensgemeinschaften eingestehen müssen, dass Glauben nicht in der Gewissheit einzelner Sätze besteht. Da gibt es dann mehr Schweigen als Worte und Antworten. Das führt in die "negative Theologie", der Fachterminus für die gar nicht negative Erkenntnis, wonach man über Gott eher sagen kann, was er nicht ist, als dass man ihn beschreiben könnte.

Wenn man das denkerisch nicht aushält, gibt es eine Alternative: den Weg der Regression. Den Weg zurück zum Kinderglauben, der dann auch gegen alle wissenschaftliche Evidenz Erzählungen wörtlich nimmt, anstatt nach deren inhaltlicher Sinnspitze zu fragen. Ein Weg der Einpanzerung, der alles Kritische, der alle Anfragen der Vernunft als Diktatur des Relativismus denunziert. Ratzinger hat an der entscheidenden Stelle der Mut verlassen. Und sich gegen die Vernunft entschieden, die er so gern mit dem Glauben versöhnen wollte.

Mit edelsteinbesetzter Mitrag gegen das Armutsgefälle

Zu dieser Regression passt auch die äußere Mutation. Aus dem schlichten, bescheidenen Professor wurde ein Prinz, der die Prunkgewänder auspackte, die seine Vorgänger längst verräumt hatten. Wie skandalös es ist, mit edelsteinbesetzter Mitra das Armutsgefälle der Welt zu bedauern, fiel dem ehemals sensiblen und intellektuellen Theologen nicht mehr auf. Dass der von Gänswein gereichte Hermelin das Gegenteil von dem verkörpert, was Jesus wollte, auch nicht.

Ratzinger beschreibt seine Trilogie als "Ausdruck meines persönlichen Suchens". Insofern war es ein spannendes Projekt. Genau in der zentralen Frage der Kirche, was es mit diesem Jesus von Nazareth eigentlich auf sich hat, legte er als amtierender Papst ausdrücklich kein lehramtliches Dokument vor. Gott sei Dank. (Wolfgang Bergmann, DER STANDARD; 12.3.2013)

Anmerkungen:

1. "Die Gottessohnschaft beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer ganz normalen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum ..."

2. Indem er kompliziert formulierte, "die jungfräuliche Geburt ist der notwendige Ursprung dessen, der der Sohn ist, und der darin auch erst der messianischen Hoffnung einen bleibenden und über Israel hinaus weisenden Sinn gibt".

Zum Autor:

Wolfgang Bergmann, Magister der Theologie (kath.), 1988-1996 Pressesprecher der Caritas, 1996-1999 Kommunikationsdirektor der Erzdiözese Wien und Gründungsgeschäftsführer von Radio Stephansdom. Seit 2000 Geschäftsführer der Standard. 2010 erschien sein Romanerstling "Die kleinere Sünde" (Czernin-Verlag)