05.11.2011, Wolfgang Bergmann
Der Beitrag von Wolfgang Bergmann ist der Zeitung "DER STANDARD" vom 21. November 2011 entnommen.
Achtung: In der weiten Welt der katholischen Kirche laufen auch Phantombischöfe herum. Sie sehen aus wie Bischöfe - sind aber keine. Trotzdem werden sie vom Papst in den Bischofshäusern geduldet und dürfen das Bett mit ihren Ehefrauen teilen.
Wie geht denn das? Ich muss ausholen:
Die Verteidiger der aktuellen Kirchenstruktur verwenden gerne den berühmten Sportvereins-Vergleich. In der katholischen Kirche werde eben Fußball gespielt, wer sich für Ping-Pong interessiert, möge den Verein wechseln. So leicht lassen sich die Sportarten aber selbst von den Bewahrern nicht auseinander halten. Die strengen römischen Kirchenverantwortlichen sind nämlich in speziellen Situationen bereit, die Statuten zu beugen. Meist dann, wenn es um die Ausweitung des Einflussbereiches geht.
Sonderregelungen, die noch einigermaßen nachvollziehbar sind, ergeben sich z.B., wenn ein verheiratetet orthodoxer Priester zur katholischen Kirche übertritt. Seine orthodoxe Priesterweihe ist nach katholischem Verständnis gültig. Warum ihn nicht als Priester wirken lassen?
Schräg wird es beim Übertritt eines evangelischen Pastors. Nach katholischer Sicht ist der evangelische Kirchenmann, weil dort die Priesterweihe kein Sakrament ist, nur eine Art Pastoralassistent. Er muss erst zum Priester geweiht werden. Nach römischer Richtlinie wäre das ganz einfach: Unverheiratete können Priester werden. Verheiratete eben nur Religionslehrer oder Pastoralassistenten - wie die andern "Club-Mitglieder" auch. Warum sollte ihnen das nicht zumutbar sein?
Hier lässt der Papst aber die Ausnahme zu, dass Verheiratete geweiht werden. Das kirchenpolitische Interesse, andere "herüberzuholen" ist offensichtlich größer, als die eigene Identität zu wahren. So grundlegend für die Identität kann es also nicht sein. (Vor vier Jahren hat auch Erzbischof Schönborn einen verheirateten Ex-Pastor geweiht).
Wie es der Zufall so will, passierte es schon, dass ein ausnahmsweise verheirateter katholischer Priester in einen Pfarrhof zog, wo gerade ein Priester seinen Posten räumen musste, weil er sich zu einer Frau bekannte. Falls ein Gitterbett schon da war, konnte es wenigstens praktischer Weise vom Nachfolger übernommen werden. Denn ab sofort durfte in solchen Pfarrhäusern offiziell Ping-Pong gespielt werden.
Seit es in der anglikanischen Kirche wegen der Ernennung von Frauen zu Bischöfen am rechten Rand brodelt, gibt es neue römische Statuten-Akrobatik, um den Übertritt schmackhaft zu machen:
Papst Benedikt XVI. schuf eine eigene rechtliche Regelung, um anglikanischen Gemeinschaften als ganze Gruppen Platz in der katholischen Kirche zu geben (Apostolische Konstitution Anglicanorum coetibus). Es gilt: Sie sehen aus wie Anglikaner (Ritus) - sind aber doch irgendwie katholisch. Diese Konstitution ermöglicht auch, Verheiratete zu Priestern zu weihen. Das kennen wir schon von den katholischen Ostkirchen.
Die Anglikaner stellten die Römer aber noch vor eine neue Herausforderung: Was tun mit verheirateten Bischöfen? Die lehnen die Römern ab. Dass Petrus verheiratet war, zählt dabei gar nicht. Hier gilt plötzlich das Vorbild der orthodoxen Ostkirchen, denen sich die katholische Kirche noch am nächsten fühlt. Dort dürfen Priester verheiratet sein, Bischöfe aber nicht.
Es wären nicht echte römische Kirchenjuristen, wenn es nicht auch dafür eine, bisher kaum öffentlich beachtete, Lösung gäbe, die das Abwerben und Übertreten anglikanischer verheirateter Bischöfe erleichtert! Naiv wer glaubt, der Übertritt sei eine reine Glaubensfrage und hätte nichts mit Ämtern und Macht zu tun. Das Lockmittel lautet: Ehemalige anglikanische verheiratete Bischöfe können zwar nur zu Priestern geweiht werden, aber sie dürfen trotzdem mit der Leitung einer Diözese beauftragt werden. (Ergänzende Normen zu Anglicanorum coetibus Artikel 11 §1). Auch dürfen sie, bei wohlwollender Zustimmung des Hl. Stuhles, die bischöflichen Insignien tragen (§4). Mit Stab, Mütze und Ring führen sie eine Diözese. Das fühlt sich an wie ein Bischofsamt - ist aber keines, denn Bischofsweihe gab es nicht.
Das einzige was sie von "wirklichen" Bischöfen unterscheidet: Sie selbst können keine Priesterweihen vornehmen. Dafür müssen sie geweihte Kollegen "einfliegen". Das ist praktisch kein Problem, denn so oft kommt die klerikale Reproduktion ohnehin nicht vor. Im Gegenzug gibt es für Phantombischöfe die Ping-Pong-Lizenz. Mit Segen des Papstes.
Für jene, die schon immer treue Katholiken waren, ergibt sich damit genau betrachtet ein Schlupfloch in den Statuten. Wer per Übertritt ein paar Jahre quasi als Gastarbeiter in einer anderen Kirche zubringt, könnte dann unter Nutzung einiger Sonderregeln als verheirateter Priester in seine römisch katholische Heimatpfarre zurückkehren. Aber da müsste man schon so doppelbödig und akrobatisch denken, wie die römischen Gesetzestexter. Wer will das schon?
PS: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklärt werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischöfe Stellung genommen. Zu den Vorgängen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwürdig. (derStandard.at, 21.11.2011)
Autor: Wolfgang Bergmann, Magister der Theologie (kath.), 1988-1996 Pressesprecher der Caritas, 1996-1999 Kommunikationsdirektor der Erzdiözese Wien und Gründungsgeschäftsführer von Radio Stephansdom. Seit 2000 Geschäftsführer DER STANDARD. 2010 erschien sein Romanerstling: "Die kleinere Sünde" (Czernin-Verlag) zum Thema Missbrauch in der Kirche