„Eines der umstrittensten päpstlichen Schreiben der neueren Kirchengeschichte – in doppelter Hinsicht“
Pressemitteilung München / Rom, 19. Juli 2018
Wir sind Kirche zum 50. Jahrestag der Enzyklika „Humanae vitae“ vom 25. Juli 2018
- Aussagen zur Empfängnisverhütung unter Einfluss von Karol Wojtyła
- Berechtigte Anfragen an die Unfehlbarkeit des Papstes durch Hans Küng
Fünfzig Jahre nach der Enzyklika „Humanae vitae“ von Papst Paul VI. hält es die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche für dringend notwendig, eines der umstrittensten päpstlichen Verlautbarungen der neueren Kirchengeschichte einer unmissverständlichen Kritik zu unterziehen. In doppelter Hinsicht leidet die römisch-katholische Kirche bis heute unter den Folgen dieses Schreibens:
- im Hinblick auf die Aussagen zur Empfängnisverhütung und
- im Hinblick auf den Anspruch kirchlicher Unfehlbarkeit.
Diese Auseinandersetzung hat auch das nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia“ von Papst Franziskus vom 19. März 2016, veröffentlicht am 8. April 2016, einzubeziehen. Es geht vor allem um Fragen der Gewissensbildung und ‑entscheidung, um das Verhältnis zwischen Tradition und Lehrentwicklung sowie um die Beziehung zwischen Lehramt, Theologie und dem Glaubenssinn der Gläubigen. Auch die anhaltende fehlende Zustimmung seitens der Mehrheit der Gläubigen gibt Anlass, die Lehre zu überdenken.
Die Aussagen zur Empfängnisverhütung
Minderheitsvotum unter Einfluss von Karol Wojtyła / Papst Johannes Paul II.
Wie bald nach der Veröffentlichung der Enzyklika „Humanae vitae“ bekannt wurde, kam das ausgesprochene Verbot jeder künstlichen Empfängnisverhütung gegen das klare Mehrheitsvotum des ursprünglichen Beratergremiums zustande. Maßgeblich beeinflusst hatte dieses Verbot der damalige Krakauer Erzbischof Kardinal Karol Wojtyła, der spätere Papst Johannes Paul II. Nach dem sehr positiv aufgenommenen, aber in vielen Texten zwiespältigen Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) praktizierte der Vatikan mit „Humanae vitae“ zum ersten Mal eine eindeutig reaktionäre lehramtliche Konzilsinterpretation, die sich vor allem unter den Päpsten Johannes Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) in zahllosen disziplinären und lehramtlichen Äußerungen fortsetzte und das öffentliche Ansehen der römisch-katholischen Kirche bis heute immens schädigt.
In einer heute noch gültigen Reaktion auf „Humanae vitae“ hatten die deutschen Bischöfe in der Königsteiner Erklärung vom 30. August 1968 (in Österreich die Mariatroster Erklärung, in der Schweiz die Solothurner Erklärung, in den USA eine Gruppe um den anerkannten Moraltheologen Charles E. Curran) zu Recht den Vorrang des Gewissens vor päpstlichen Erklärungen hervorgehoben. Von einem Anspruch auf „Unfehlbarkeit“ dieser Lehre war nur indirekt die Rede. Die Enzyklika beruft sich auf die Lehre, „wie sie vom kirchlichen Lehramt bestimmt und beständig vorgelegt wurde“. (Nr 6)
Der Anspruch der Unfehlbarkeit des Papstes
Berechtigte Anfragen durch Hans Küng
Als erster stellte Hans Küng in seinem 1970 erschienenen Buch „Unfehlbar? Eine Anfrage“ die drängende Frage nach der Berechtigung des Anspruchs auf die Unfehlbarkeit allgemeinverbindlicher päpstlicher Lehraussagen. Deswegen wurde ihm nach langen Auseinandersetzungen am 18. Dezember 1979 durch Papst Johannes Paul II. die kirchliche Lehrerlaubnis („missio canonica“) entzogen. Doch Küng nahm seine theologisch fundierte Kritik am Unfehlbarkeitsdogma, das 1870 beim Ersten Vatikanischen Konzil unter äußerer Bedrängnis (Verlust des Kirchenstaates) und hochproblematischen Umständen (massiver päpstlicher Druck; über 30 Prozent verweigerten die klare Zustimmung) zustande gekommen war, nicht zurück. Hauptverfasser der Unfehlbarkeitsbulle von Papst Pius IX. war der moralisch äußerst fragwürdige Jesuit Joseph Kleutgen (1811-1883; vgl. „Die Nonnen von Sant’Ambrogio“ des anerkannten Kirchengeschichtlers Hubert Wolf).
Unfehlbarkeitsfrage aktueller denn je
Inzwischen ist die Tendenz zu einer „schleichenden Infallibilisierung“ (Unfehlbarmachung) aller päpstlichen Lehraussagen und kirchlichen Glaubenssätze zu beobachten. Sie beruft sich auf die Konzilskonstitution (Nr 25), die die Unfehlbarkeit nicht mehr an eine amtliche päpstliche oder konziliare Erklärung, sondern an die gemeinsame Überzeugung der räumlich getrennten Bischöfe bindet. Wir sind Kirche hält diese Entwicklung für äußerst problematisch, da sie jeden Wandel im Dogmenverständnis ausschließt.
Wenn manche Bischöfe wie Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der ehemalige Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, im März 2018 argumentieren, der jetzige Papst habe nicht die Macht, das kirchliche Verbot künstlicher Verhütungsmittel aufzuheben oder zu lockern, weil Papst Paul VI. es als unfehlbar verkündet habe, so kann selbst die für den 14. Oktober 2018 vorgesehene Heiligsprechung von Papst Paul VI. nicht bedeuten, dass damit auch alle seine Verlautbarungen unwandelbar und unfehlbar sind.
Auch die jüngsten Versuche des jetzigen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Kardinal Luis Francisco Ladaria Ferrer SJ, die Unmöglichkeit der Frauenordination als unfehlbar zu klassifizieren, zeigen mit erschreckender Deutlichkeit: Die Frage nach der Unfehlbarkeit des Papstes ist aktueller denn je. Dieses Dogma verhindert jede grundlegende Kirchenreform. Es gehört dringend auf den Prüfstand. Die Kritik daran sollte zum ceterum censeo aller kirchlichen Reformbemühungen werden.
weiterführende Links siehe auf der Homepage von Wir sind Kirche Deutschland: https://www.wir-sind-kirche.de/?id=125&id_entry=7100