PRESSEGESPRÄCH 20-JAHRES-FEST
SALZBURG 25. SEPTEMBER 2015
20 Jahre Reformarbeit: Was hat sie gebracht?
Unsere Ziele
Unser Blick war immer auf jene gerichtet, die unter den geltenden Regeln der Kirche leiden. Daher ging es uns auch darum, die flächendeckende, kleingegliederte Struktur der Kirche aufrecht zu erhalten und zu stärken, - auch wenn es keinen ordinierten Priester mehr gibt - , also die Gemeinden vor Ort zu stützen. Sie sind die Orte, wo Glaubensleben und soziales Leben zusammenfallen, wo Solidarität und Mitmenschlichkeit gelebt werden. „Jede Pfarre soll eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen“ (Franziskus): das funktioniert nur in funktionierenden Pfarren.
Die Blickrichtung unserer Reformarbeit war aber immer eine doppelte: ein „Volksbegehren“ richtet sich an die Regierung mit dem Wunsch nach einer Gesetzesänderung. Das wurde uns verweigert. So sind wir zu einer innerkirchlichen Opposition geworden. Wir beobachteten die Kirchenleitung kritisch und nehmen Stellung zu ihren Äußerungen.
1.Bewusstseinsveränderungen
Das Bewusstsein „Wir sind Kirche“ – nicht: wir gehen in die Kirche und lassen uns dort belehren – hat Fuß gefasst. Das Kirchenvolk will und kann die Kirche mitgestalten. Den sogenannten Laien und Laiinnen „gehört“ die Kirche ebenso wie dem Klerus.
Wir haben Verzerrungen und Perversionen durchschaut, ein autoritäres Papst- und Bischofsbild hat sich bei den meisten in Luft aufgelöst, die innerkirchliche Zweiklassengesellschaft mit Privilegienwirtschaft und Zölibat überzeugt weitgehend weder innerhalb noch außerhalb der Kirche.
Wir haben keine Scheu mehr vor Neuerungen, auch wenn sie die Kirchenleitung nicht akzeptiert. Wir lesen selber die Bibel, reden mit Christen und Christinnen aus anderen Kirchen, trauen uns selber zu, das allgemeine Priestertum zu leben. Der Mut zu Regelüberschreitungen und offener Kritik bei Unrechtszuständen ist gewachsen. Wir haben auch beigetragen zu einer verständlicheren Sprache innerhalb der Kirche, weil wir sehr klar die Dinge so beim Namen nennen, wie sie viele Gläubige empfinden.
2. Weltweite Vernetzung
Wir sind Kirche ist zu einer weltweiten Organisation geworden. Reformgruppen gibt es auf allen Kontinenten in über 40 Ländern. Das „International Movement We are Church“ arbeitet intensiv auch mit anderen Reformorganisationen zusammen (jetzt z.B. bei der Synode).
Die Zustimmung zu unseren Forderungen liegt hoch, weltweit zwischen 70 und 90 %. Der Wille, sich selbst dafür einzusetzen, ist allerdings marginal. Auch bei uns fehlen die Jungen:
3. Wo sind die Jungen?
Wir als „Wir sind Kirche“ müssen uns fragen, warum es keine jungen Menschen gibt, die die Fackel der Reformarbeit übernehmen. Wer übernimmt das kritische Gewissen für eine zukunftsfähige Kirche, wenn die jetzige Generation allmählich abtritt?
In diese Richtung zielt unser nächster Studientag, den wir für 2016 planen: Die alte Kirche und die jungen Leut‘.
Bezüglich ihres Generationenmanagementes hat unsere Kirchenleitung noch viel Entfaltungsmöglichkeiten.
In der Reformmüdigkeit jüngerer Generationen erkennen wir nicht Resignation, nicht automatisch Glaubensferne, sondern den Beweis dafür, dass sie ihren Weg sehr selbstbewusst und sehr unabhängig von der Kirchenleitung faktisch schon gehen. Wir werden ihre Fortschrittlichkeit anerkennen müssen, um ihnen das Steuer in die Hände zu legen. Das heißt, gerade im Blick auf die Jungen können wir aus der strukturellen Unbelehrbarkeit der kirchlichen Instanzen endgültig unsere Konsequenzen ziehen. Definitiv werden wir uns aus paternalistischen Klammern lösen. Wir sind Kirche sieht nicht die Bekehrung der Hierarchie als vorrangiges Ziel, sondern die Erneuerung und die Bestärkung der Kirche vor Ort, wie immer sie sich darstellt.
4. Wie geht es weiter?
Unsere Forderungen sind nicht obsolet geworden. Beim Start des Kirchenvolksbegehrens
ging es uns auch darum, mit den Bischöfen und dem Papst in einen Dialog zu treten. Dialog
geht aber nur, wenn beide Seiten wollen. Die Kirchenleitung hat das erfolgreich
verhindert. Aber damit sind unsere Ziele nicht verschwunden. Sie sind heute so wichtig wie
damals:
Zur Debatte stehen nämlich nicht primär binnenkirchliche Themen, sondern Fragen, die
uns alle als Einzelne, als Gemeinschaften und als Gesellschaft betreffen.
Wir fordern ein strukturell gesichertes Mitspracherecht in der Leitung, wir kämpfen dafür, dass Menschen, über die entschieden wird, in die Entscheidung miteinbezogen werden. Das ist ein demokratisches Grundrecht.
Die Abschaffung des Pflichtzölibats ist notwendig zur Überwindung des kirchlichen Kontrollwahns aller sexuellen Beziehungen.
Die Überwindung der Leibfeindlichkeit und eines biologistischen Sexualitätsverständnisses müssen endlich zu einer positiven Bewertung der Sexualität führen als vorbehaltloses Ja zur Würde aller Menschen und zum Respekt vor menschlichen Gemeinschaften und Gesellschaften, wie immer sie ausschauen.
Wir fordern nach wie vor die Abschaffung der Diskriminierung von Frauen, also des Berufsverbots aufgrund des Geschlechtes, weil wir auch sehen, dass die katholische Kirche damit ihre Orientierungskompetenz aufgibt. Solange die Kirchenleitung ihre Auffassungen über Frauen nicht aufgibt („Die Tür ist zu“), wird sie nicht dazu beitragen, die Armut der Frauen als strukturelles Problem zu lösen.
Die bisherigen Signale von Papst Franziskus stimmen uns zuversichtlich. Er hat das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit schon positiv verändert. Er setzt in seiner Personalpolitik Akzente gegen den Fundamentalismus, er setzt auf Synodalität. „Wir sind schon ein bisschen Franziskus-Fans!“ sagt Christian Weisner von der deutschen Kirchenvolks-Bewegung.
Wir stehen nicht am Ende, sondern am Anfang. Für Wir sind Kirche gibt es keinen Grund zur Resignation, wohl aber Anlass zu höchster Aufmerksamkeit. Denn wir leben heute in hochdynamischen, wenn nicht gar chaotischen Zuständen, die sich kaum mehr bändigen, gar steuern lassen. Doch nach christlicher Überzeugung sind wir ständig auf dem Weg in das Reich Gottes. Das ist die visionäre Sehnsucht. Solange wir diese Vision im Blick behalten, werden Arbeit und Leidenschaft nicht versiegen.