09.05.2012, Hermann Häring
Im März 2012 veröffentlichte das Slowakische Teoforum einen Aufruf , in dem es sich mit der Österreichischen Pfarrer-Initiative solidarisierte. Darufhin wurden die Slowakischen Bischöfe nervös und bestellten beim Kirchenrechtsprofessor Ján Duda ein Gutachten. Darauf antwortet der Deutsche Dogmatiker Hermann Häring:Der Kirchenrechtler Prof. Dr. Ján Duda hat der Österreichischen Pfarrer-Initiative vorgeworfen, sie vertrete klar „eine Position der Häresie“. Diese Behauptung ist absurd, in keiner Weise begründbar und trifft für keinen in dieser Initiative vorgetragenen Punkte zu. Im Gegenteil, die Initiative ist von einer leidenschaftlichen Liebe zur Kirche und von einer pastoral motivierten Sorge um ihre Zukunft getragen.
Ein Plädoyer für die Ordination von Frauen ist fern jeder Häresie.
Aus mehreren Gründen ist insbesondere ein Plädoyer für die Ordination von Frauen (Punkt 7 der Initiative) fern jeder Häresie:
- Schon das Neue Testament kennt prominente Frauen, die möglicherweise Gemeindeleiterinnen waren, so vor allem Lydia, Phoebe und Priska, aber auch Junia, die man in der westlichen Kirche seit dem 13. Jahrhundert - unter dem Namen Junias - zum Mann umdeutete (vgl. die Zusammenfassung der Entwicklung in Peter Arzt-Grabner, Junia, die rehabilitierte Apostelin. Aus der Werkstatt der Exegeten - ein textkritischer Beitrag, in: Bibel und Kirche 2010 /Nr. 4: Frauen in der frühen Kirche/, 243-245). Weder Jesus noch die Apostel schließen direkt oder indirekt Frauen aus diesem Dienst aus. Unbefangen wird Maria von Magdala später Apostelin der Apostel (apostola apostolorum) genannt.
- Frauen sind wie Männer Abbild Gottes und eine neue Schöpfung (2 Kor 5,17), haben durch die Taufe wie Männer „Christus angezogen“ (Gal 3,21) und teil am Allgemeinen Priestertum; in Christus Jesus gibt es zwischen Mann und Frau keinen Unterschied (Gal 3,28). Zudem handeln priesterliche Personen, wie die Dogmatik sagt, „in der Person“, nicht im „Mannsein“ Christi.
- Wenn dennoch durch die Jahrhunderte nur Männer ordiniert wurden, ist dies nachweislich nicht biblischen oder lehramtlichen Zeugnissen, sondern den patriarchalen Kulturen des Judentums, des Griechentums und ganz Europas zuzuschreiben.
- Schließlich: Wenn man von der Tatsache, dass im 12er-Kreis nur Männer waren, ableiten will, dass nur Männer Priester werden können, müsste man genau so strikt fordern, dass nur Juden Priester werden können, denn die Zwölf waren alle Juden.
Aus diesen inhaltlichen Gründen haben die offiziellen Äußerungen von Paul VI. (Inter insigniores, 1976), Johannes Paul II. (Ordinatio Sacerdotalis, 1994) und Äußerungen von Kardinal Ratzinger unter Fachleuten und in katholischen Gemeinden die schwelenden Diskussionen gerade nicht beenden können, sondern intensiviert. Die Diskussion hatte schon in den 60erJahren in der katholischen Kirche und in anderen Kirchen begonnen. Heute plädieren nicht nur viele anerkannte Exegetinnen und Theologinnen, sondern auch auffallend viele zeitgenössische Dogmatiker für die Ordination der Frau; sie alle sind über jeden Häresieverdacht erhaben. Genannt seien: W. Beinert, B. J. Hilberath, P. Hünermann, M. Kehl, G. Kraus, P. Neuner, K. Rahner, E. Schillebeeckx, S. Wiedenhofer und viele andere. Ein Plädoyer für die Diakonatsweihe von Frauen (die in der klassischen Lehre als Vorstufe zum Priestertum gilt) findet sich auch im Memorandum 2011, das in Deutschland von über 300 Professorinnen und Professoren unterzeichnet wurde. Nie hat eine kirchliche Instanz in diesem Zusammenhang den Vorwurf der Häresie erhoben. (Zur neuesten Diskussion siehe den ausgewogenen Artikel von Georg Kraus, Frauenordination. Ein drängendes Desiderat in der katholischen Kirche, in: Stimmen der Zeit 12/2011, 795-803.)
Ein Gewissensvorbehalt ist in wohl begründeten Ausnahmesituationen möglich.
Prof. Ján Duda irrt sich ferner in seinen Äußerungen zur Frage des Gewissensvorbehalts innerhalb der katholischen Kirche. Unbetritten ist von beiden Seiten: Dieser Gewissensvorbehalt in der Kirche kann kein Aufruf zu subjektiver Willkür sein; von dieser Position ist auch Karol Moravčík weit entfernt. Aber der Gewissensvorbehalt kann in wohl begründeten Ausnahmesituationen in Kraft treten, wenn z.B. das Volk Gottes und ernstzunehmende, engagierte Seelsorgerinnen und Theologinnen viele Jahre hindurch auf Grund ihrer Kenntnis von Schrift und Glaubenslehre (und gestärkt durch intensive selbstkritische Diskussionen) zur Überzeugung gelangen, dass die Kirchenleitungen ihrer Verpflichtung zur Seelsorge nicht mehr genügen und sich so am Zusammenbruch der Pastoral schuldig machen. In diesem begründeten Fall ist eine Berufung auf das Wort des Petrus berechtigt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5,29). Auch bedarf es keiner eigenen Begründung dafür, dass auch kirchliche Amtsträger (unbeschadet ihrer amtlichen Stellung) zum Irrtum fähige Menschen sind.
Die Tradition der Kirche hat das immer schon gewusst und z.B. den Bischöfen Recht und Pflicht zum rechtswirksamen Widerspruch gegenüber dem Papst eingeräumt. Zudem trägt das gegenwärtig gültige Kirchenrecht den Laien und Amtsträgern grundsätzlich das Recht und die Pflicht auf, „ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und ... den übrigen Gläubigen kundzutun“ (Can 212 §3). Auch wenn das Kirchenrecht diese Regelungen restriktiv interpretiert und den Fall eines offenen Ungehorsams nicht nennt, sind die Regelungen doch im Geist des altehrwürdigen Prinzips zu verstehen: „Das Heil der Seelen ist das höchste Gesetz“ (salus animarum, summa lex). Der angesehene römische Kirchenjurist, M. F. Kardinal Pompedda, hat als Präsident des obersten Gerichtshofs der Apostolischen Signatur in einem bekannten Interview darauf hingewiesen: „Meine Sorge war und ist, daß die Rechtsprechung in der Kirche keinen anderen Zweck verfolgt als das salus animarum, das Seelenheil“ (30giorni 02/2004). Darauf spielen die kanonischen Bestimmungen mehrfach an und nicht ohne Grund blieb dieser Satz in der letzten Zeile des CIC (Can 1752) erhalten.
Das 2. Vatikanische Konzil versteht das Gewissen als ausgezeichneten Ort der Gottesbegegnung, nämlich als „verborgenste Mitte“ und „Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“. Dies gilt für Karol Moravčík und die Unterzeichner der Österreichischen Pfarrer-Initiative umso mehr, als sie diese ihre Gewissensentscheidung einer langen und intensiven, mit Mitchristen besprochenen Prüfung im Angesicht des Wortes Gottes unterzogen haben. Auch jetzt sind sie, wie bekannt, zu offenen Gesprächen bereit und glücklich darüber, dass Benedikt XVI. sie in seiner Predigt vom 5. April gerade nicht gerügt oder verurteilt, sondern ihnen Fragen gestellt hat, auf die sie gerne antworten. Wir sollten in den gegenwärtigen, gewiss schwierigen Diskussionen also nicht päpstlicher sein als der Papst.
Tübingen, 2. Mai 2012 / Prof. Dr. Hermann Häring
Curriculum vitae von Professor Dr. Hermann Häring
Hermann Häring, geb. 1937, war nach dem Abitur acht Jahre im Jesuitenorden, studierte Philosophie in Pullach bei München und war drei Jahre u.a. in der Jugendarbeit und Katechese tätig (1956-1964). Nach seinem Theologiestudium in Tübingen (1964-1968) promovierte er 1970 über das Kirchenbild in der Bultmannschule und habilitierte 1978 über das Böse bei Augustinus. Von 1970-1980 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Direktor am Institut für ökumenische Forschung (Tübingen) unter Leitung von Hans Küng. 1980 wurde er Professor für systematische Theologie an der Universität Nijmegen (Niederlande); er war Kollege und später Nachfolger des international bekannten Edward Schillebeeckx, der als Konzilstheologe einen großen Einfluss ausübte und später bahnbrechende Bücher zu Fragen der Christologie, der Gottesfrage und kirchlicher Strukturen schrieb. Hermann Häring war sieben Jahre Dekan der Fakultät. 1999 gründete er zur Integration moderner fundamentaltheologischer Fragestellungen das neue Fach „Wissenschaftstheorie und Theologie“ und ein interdisziplinäres Institut für Theologie, Wissenschaft und Kultur. Es lebt heute in den Forschungsabteilungen „Theologie und Naturwissenschaft“ und „Theologie und Literatur“ weiter.
Hermann Häring ist verheiratet, hat drei Kinder und drei Enkelkinder. Seit seiner Emeritierung 2005 lebt und wirkt er in Tübingen. Sein aktuelles Forschungsinteresse gilt besonders Fragen des ökumenischen und interreligiösen Dialogs sowie der kirchlichen Erneuerung; er ist ein ausgewiesener Kenner der Theologien von Hans Küng und Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. Zudem ist er wissenschaftlicher Berater beim „Projekt Weltethos“. Hermann Häring wurde 2009 mit dem Preis der Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche ausgezeichnet.
Seine neuesten Bücher sind:
· Freiheit im Haus des Herrn. Vom Ende der klerikalen Weltkirche (Gütersloh 2011);
· Im Namen des Herrn. Wohin der Papst die Kirche führt (Gütersloh 2009);
· ferner zwei Sammelbände zu den Jesusbüchern von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.:
· Der Jesus des Papstes. Passion, Tod und Auferstehung im Disput (Berlin 2011);
· „Jesus von Nazareth“ in der wissenschaftlichen Diskussion (Wien/Berlin 2008).
06.05.2012 /Peter Križan, Erwin Koller