22.02.2008, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Beinert
Der Zeitschrift "Christ in der Gegenwart" 60. Jahrgang, Nr.9/2008 vom 2. März 2008 entnommen.
Drei Feststellungen hat der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch getroffen: Der Priesterzölibat ist ein Geschenk für die Kirche. Er ist heute schwer jungen Männern zu vermitteln. „Und natürlich ist die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit nicht theologisch notwendig", so Zollitsch im Spiegel-Interview (18.2.). Einen Abschied vom Zölibat nannte er eine Revolution, einen Eingriff in das innere Leben der katholischen Kirche, der ohne ein neues Konzil nicht möglich sei. Einer seiner Amtsbrüder meinte, das Zölibatsgesetz sei „jetzt und in Zukunft" unabänderlich und im Übrigen sei dazu „alles schon einmal und von allen gesagt worden".
Der letzte Satz ist vermutlich kaum bestreitbar - so wenig wie die Feststellung, dass über Ursachen und Verhinderung von Blinddarmentzündungen auch schon alles einmal gesagt worden ist. Darf man sich deswegen um Menschen mit Appendizitis nicht kümmern? Solange der Blinddarm ein Problem ist, wird man darüber reden und vor allem helfen müssen. Wenn man jenes tut und über dieses nachdenken muss - und beides geschieht, ob es einem Liebes oder Leides ist -, sollte man als erste hygienische Maßnahme die gegebenenfalls vorhandenen Wunden sauber legen.
Da ist zu konstatieren, dass es bei der Debatte genau genommen ganz und gar nicht um den Zölibat als solchen geht. Die „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen" (Mt 19,12) ist seit den Anfängen des Christentums als eine evangeliumsentsprechende Lebensform geachtet worden. Und es gibt zahllose Zeugnisse von Christinnen und Christen, dass die Ehelosigkeit erfüllen und glücklich machen kann. An erster Stelle sind die Ordenschristinnen und Ordenschristen anzuführen, für die die Ehelosigkeit diskussionslos ein unverzichtbarer Bestandteil der mönchischen Existenz immer war und ist und bleiben sollte. Sie befreit zu einer großen Weite und setzt Kräfte der Liebe frei, die zum Wohl der Welt entscheidend beitragen.
Verheiratet in der Ostkirche
Man kann heute nicht mehr sagen, dass der Zölibat eine höherwertige Lebensstatus-Wahl sei als die Ehe. Es gibt keinen Stand der Vollkommenheit, aber sehr wohl die Vollkommenheit eines Standes. Man kann deswegen nicht Einzelschicksale unglücklicher Verwirklichung als Instanz einsetzen. Niemand kommt ernstlich auf die Idee, die Ehe wegen der Scheidungen und das Autofahren wegen der Unfälle abzuschaffen.
Was wirklich zur Debatte steht, ist die kirchenrechtliche Verknüpfung der Berechtigung, das Weihesakrament zu empfangen, mit dem Verzicht auf die Ehe. Dieses sogenannte Junktim hat es gut tausend Jahre in der Kirche nicht in der heute vorgeschriebenen Form gegeben. Es ist definitiv erst im elften Jahrhundert durch Papst Gregor VII. eingeführt worden und laut Joseph Ratzinger „eine Lebensform, die in der Kirche gewachsen ist" („Salz der Erde", 1966). Es hat auch immer wieder den Stoff für Diskussionen geboten. Wirklich in unangefochtenem Besitz war die Verknüpfung niemals. Das zeigen allein schon die unablässigen Mahnungen der Kirchenleiter durch die Jahrhunderte.
Sie hat auch niemals für alle katholischen Geweihten gegolten und gilt auch zur Stunde nicht für alle. Die kirchenrechtliche Regelung betrifft lediglich die katholischen Kleriker des lateinischen Ritus. Für die Geistlichen der ebenso katholischen unierten Kirchen des Ostens existiert sie bis zur Stunde nicht. Ausgenommen sind die Bischöfe. Für sie ist das Gesetz universal in Kraft, gleich, welchem Ritus sie angehören. Das Zweite Vatikanische Konzil, welches hohe Worte für das lateinische Gesetz fand, hat betont, es wolle „in keiner Weise jene andere Ordnung ändern, die in den Ostkirchen rechtmäßig Geltung hat" (Dekret über Dienst und Leben der Priester Nr. 16, 1). Daneben hat seit Pius XII. eine vatikanische Regelung Raum gegriffen, wonach Geistliche aus anderen christlichen Konfessionen beim Übertritt in die römisch-katholische Kirche nach entsprechender Dispens weiter im Stand der Ehe und die Ehe leben dürfen. Zuletzt wurde in größerem Maßstab davon Gebrauch gemacht, als anglikanische Priester aus Protest gegen die Frauenordination wechselten.
Es ist auch nie behauptet worden, dass es irgendwelche theologisch zwingenden Gründe gebe, die Anlass zum Zölibat böten. Dem steht die eben genannte päpstliche Praxis entgegen, die sonst schlicht als illegitim zu bezeichnen wäre. Dem steht auch der Wortlaut des einschlägigen Kanons im kirchlichen Gesetzbuch entgegen, der den Wert der klerikalen Ehelosigkeit rein vergleichend sieht: Der Zölibat wird bezeichnet als „eine besondere Gabe Gottes …, durch welche die geistlichen Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen Christus anhangen und sich freier dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können" (can. 277 § 1 CIC). Leichter und freier. Aber leicht und frei kann man den Zweck offensichtlich auch in der Ehe anzielen. Im gerade zitierten Konzilsdokument (Nr. 16, 2) steht: „Der Zölibat ist jedoch in vielfacher Hinsicht dem Priestertum angemessen."
Es handelt sich dabei also nach allen greifbaren einschlägigen Bekundungen um eine rein disziplinäre Angemessenheitsaussage. Kein Dogma, kein Theologumenon wird mit Notwendigkeit berührt. Wäre es anders, müsste man auch kohärent erklären können, warum es zu allen Zeiten und fast ausschließlich in der ersten Hälfte der bisherigen Christentumsgeschichte kein absolutes und allgemeines Eheverbot für Kleriker gegeben hat. Man muss dann aber auch ebenso schlüssig nachweisen, dass heute und in Zukunft keine Änderung der geltenden Regelung des Kanon 277 §1 denkbar sei. Jedenfalls wurde sie 2005 bei der Weltbischofssynode diskutiert und 2006 hat sie Kardinal Hummes, Präfekt der Kleruskongregation, geprüft.
Angesichts der Sachlage muss die Frage gestellt werden und lauten: Ist die Ehelosigkeit des Diözesanpriesters noch angemessen? „Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit, / Leicht beieinander wohnen die Gedanken, / Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen" (Schiller, „Wallensteins Tod" II/ 2, 787-789). Kürzlich veröffentlichte das Sekretariat der Bischofskonferenz die statistischen Daten der katholischen Kirche in Deutschland für 2006. Sie werden in Beziehung zu 1990 gesetzt. Alle Balkendiagramme für die Eckwerte weisen kontinuierlich abwärts: Mitgliederzahlen, Taufen, Erstkommunionen, Gottesdienstteilnahme… Bestürzend ist die Aussage: „In den Pfarrgemeinden sind Trauungen inzwischen zu seltenen Ereignissen geworden." Und die Priesterweihen desgleichen. Im Berichtsjahr wurden 121 Männer geweiht. 664 schieden aus unterschiedlichen Gründen aus dem aktiven Dienst aus. Nur ein knappes Fünftel wurde also rechnerisch ersetzt. De facto muss jeder Neupriester den Dienst von fast sechs anderen übernehmen.
Als die Bischöfe Familie hatten
Niemand wird behaupten wollen, das Zölibatsgesetz sei der einzige Grund für diese katastrophale Misere. Und niemand kann behaupten wollen, es spiele gar keine Rolle. Jeder Priester dürfte - einschlägige pastorale Erfahrung vorausgesetzt - junge Männer kennen, bei denen es so ist. Nun ist der Mangel nicht bloß außerordentlich beklagenswert. Er stellt den Grundauftrag der Kirche selbst in Frage. Das Dekret über das Laienapostolat des vergangenen Konzils fasst ihn knapp so zusammen: „Die Botschaft Christi der Welt durch Wort und Tat bekanntzumachen und ihr seine Gnade zu vermitteln. Das geschieht vorzüglich durch den Dienst des Wortes und der Sakramente." Dieser aber ist, ungeachtet aller Laienrechte, „in besonderer Weise dem Klerus anvertraut" (Priester-Dekret Nr. 6,1). Dessen geringe Zahl vermag ihm in weiten Teilen der Welt nicht mehr nachzukommen. Für unsere Region hat das inzwischen jeder aktive Katholik verinnerlicht.
Wenn es stimmt, dass dieser Zustand mangelnder Auftragserfüllung zu einem beträchtlichen Teil dem Zölibatsgesetz zuzuschreiben ist, dann ist schwer zu sehen, wie diesem noch Angemessenheit zugesprochen werden kann. Sicher wird es in der Linie der Tradition der halben Kirchengeschichte liegen, alles zu tun, damit diese Angemessenheit plausibel wird - übrigens nicht nur für die potenziellen Kleriker, sondern auch für ihr Umfeld (Eltern, Freunde). Das geschieht schon seit langem, ohne jeden relevanten Erfolg. Könnte es dann vielleicht in der Linie der Tradition der anderen Hälfte der Kirchengeschichte liegen, die ursprüngliche Regelung zu probieren? Da war es selbstverständlich, dass der Presbyter und der Bischof verheiratet waren. Erst wenn er eine Familie in Ordnung halten kann, meint der inspirierte Autor, besteht Aussicht, dass er auch die Gottesfamilie zu leiten in der Lage ist (1 Tim 3,2-5 und Tit 1,6).
Was also nun? Hier wird für nichts plädiert als für ein unbefangenes und dialogbereites Nachdenken - um der Treue der Kirche zu ihrem Auftrag willen. Wie es der Vorsitzende der Bischofskonferenz für seine Pflicht hält.
Wolfgang Beinert war Professor für Dogmatik in Regensburg. Zahlreiche Veröffentlichungen.
CiG 9/2008