Zwischenruf: Von der Heiligkeit des Gewissens

24.09.2013, Stefan Herbst

„Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben.“ 1)

Hier spricht der Papst von der Heiligkeit des Gewissens. Es gibt diesen Schutzbereich eines jeden Menschen, der in seiner Intimität und Gottverbundenheit das je Eigene der Person ist. Die Menschenwürde wird hier angesprochen – die auch jenseits der „spirituellen“ Einmischung von anderen – ja sogar und vor allem auch jeder Institution ist. Das persönliche Gewissen ist die entscheidende Instanz des Zwiegespräches zwischen Gott und Mensch – der intimste Bereich, in den sich auch die Institution und auch kein Vertreter der Institution ungefragt und ungebeten einmischen darf.

Durch seine Heiligkeit entzieht sich das Gewissen dem Zugriff von außen. Im Gewissen eröffnet sich der Freiheitsraum des Menschen. Die Gedanken sind frei – die letzten Motive, Hintergründe und Abgründe des Menschen auch. Sie stehen allein Gott und seiner Liebe offen – nicht aber menschlicher Macht und Autorität – auch nicht kirchlicher Macht oder Autorität. Sie sind das Geheimnis der letzten Unverfügbarkeit und Einzigartigkeit – die „königliche“, d.h. unantastbare Natur des Menschen als Abbild Gottes.

Es gilt deshalb auch der Satz: „Wenn ein Homosexueller Gott sucht, wer bin ich darüber zu urteilen?“ 2)
Auch hier findet der Papst aus der Überhöhung eines „Stellvertreters Gottes“ zu seinem eigentlichen Titel, „Diener der Diener Gottes“ zu sein zurück, zu seiner Berufung, Diener des Menschen – jedes Einzelnen und damit der Menschheit insgesamt - zu sein. Denn nur, wer dem Einzelnen wirklich dient, dient auch der Allgemeinheit. Wer wirklich das unverfügbare Einzelne achtet, der kann angemessen von Allgemeinheit und Universalität sprechen. Wer einen Menschen liebt und befreit, liebt und befreit in ihm die ganze Menschheit.

Das sind ermutigende Sätze nach moralinsaurer Überdehnung und Einmischung jener, die meinten, allein für die Kirche zu sprechen oder gar sie zu sein und in unser aller menschliches, unverfügbares Leben, in unseren Intimbereich, der auch insbesondere unsere Sexualität betrifft hineinregieren zu können. Mit dem Eintreten für die Menschenrechte in der Kirche (manche sprechen von Christenrechten), die leider bisher meist tabuisiert wurden ist aber auch klar: Zensur und andere behördliche Maßnahmen von Kurie, Bischofskonferenzen und Bischöfen, meist gegen mißliebige TheologInnen und aufmüpfige Christen gerichtet, müssen ein Ende haben. „Es darf keine spirituelle Einmischung“ in die Person und die Freiheit des Wortes und der Theologie geben!

Jedenfalls lassen diese Worte auch auf eine neue Ausrichtung in der Menschenrechts- und Freiheitsproblematik der Kirche hindeuten. Hat der Papst damit erst einmal innerkirchlich Fronten begradigt dürfte es ihm umso leichter fallen, auch nach außen hin die Freiheits- und Bürgerrechte von Menschen zu vertreten, die durch die modernen Kommunikationsmedien und durch Geheimdienste insbesondere aus den USA und Großbritannien in noch nie gekanntem Ausmaß verletzt werden.

Nicht nur vor „spiritueller Einmischung“ (für die Kirche nach innen) sondern auch vor jeglicher Form der „informationstechnologischen Einmischung“ (so nach außen) muss der Mensch in seiner Menschenwürde und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung jeder Person geschützt werden.

Es ist zu hoffen, dass auch die Kirche endlich wieder lernt sich auch dann einzumischen, wenn es sich um die Menschenrechte aller handelt. Die Kirche darf hier nicht schweigen – und dies nicht nur weil im Bereich der informationellen Selbstbestimmung auch sie selbst bedroht ist und beispielsweise das Beicht- und Seelsorgegeheimnis (Telefonseelsorge, e-Mails mit seelsorglichen Inhalten) der Kirche auf noch nie gekannte Weise ausgehöhlt und gefährdet wird.

Die Heiligkeit des Gewissens gilt es also nach innen und nach außen zu schützen. Bleibt zu hoffen, dass sich die Europäischen Bischofskonferenzen und unter Ihnen die Österreichische und Deutsche Bischofskonferenz von den Worten des Papstes aufrütteln lassen und sich endlich mit diesem Thema – einem bedrängendem Thema unserer Zeit – auch im ökumenischem Kontext beschäftigten mögen.

Denn auch für die Frage nach Krieg und Frieden ist die NSA Spionage- und Ausspähungsaffäre relevant. Man spricht ja nicht umsonst von einem „Angriff“ auf die „Privatsphäre“. Hier wird der innere Frieden der Gesellschaft in unzulässiger Weise von staatlichen Stellen bedroht und ausgehöhlt. Ständige Überwachung untergräbt nicht nur die Freiheit sondern auch die inneren Grundlagen, die Grundordnung eines friedlichen Zusammenlebens. Wenn es stimmt, dass die Demokratie von inneren Voraussetzungen lebt, die sie nicht selbst schaffen kann, dann ist die Kirche hier, bei der in diesem Ausmaß nie da gewesenen Zerstörung des Vertrauens in unsere „freiheitlich-demokratische“ Gesellschaftsordnung, mehr denn je gefragt. Der innere Frieden wird mit der Zerstörung der Freiheit gleichermaßen in Frage gestellt und bedroht.

Sicher, es handelt sich mit den neuen Medien und dem Angriff auf Internet und Computer um ein neues Thema bei dem sich die Kirche auf Neuland begeben würde. Aber auch hier gilt: Wehret den Anfängen. Kirche ist aufgefordert nicht die Zeichen der Zeit zu verschlafen, sondern aufmerksam auf Sie zu hören und entsprechend, im Heute Gottes, ihre unverzichtbare Antwort zu geben.

Einstweilen gebührt dem Papst ein Dank für die innerkirchliche Klarstellung. Doch der Papst allein ist noch nicht die Kirche, ein Schmetterling noch nicht der Frühling. Es wird weiterhin darauf angekommen, dass sich kritische, aufgeklärte und aufrechte Christen für Reform an Haupt und Gliedern einsetzen und natürlich und vor allem für die „Sorgen und Nöte der Menschen“ (Kirchenkonstitution Gaudium et Spes) aller Welt und meines Nächsten allzumal.
Pax et Bonum – Friede und Heil! – mit Franziskus mein Segen für Dich Heiliger Vater - der Du auf die Anrede als „Heiliger Vater“ mit „Heiliger Bruder“ antwortest und damit den von außen verliehenen Titel zurückgibst (in seinem dialektischen Sinne von erwidern – aber auch im Sinne von ablegen)..... Ganz im Sinne des Verbotes Jesu, von ihm als Messias zu sprechen – das Messiasgeheimnis: Nur wer den Titel ablegt, kann ihn wirklich tragen! Gloria geht durch das Kreuz als völliger Entäußerung und nur so.

20. 09. 2013 Stefan Herbst

Anmerkungen:

1) Interview von Papst Franziskus am 19.9.2013 in Civiltà Cattolica. Vgl Stimmen der Zeit, http://www.stimmen-der-zeit.de/zeitschrift/online_exklusiv/details_html…

2) Aus dem Presseinterview, das der Papst von seinem Rückflug von Rio de Janeiro nach Rom am29. Juli 2013 gab. Vgl.: http://www.focus.de/politik/ausland/tid-32620/wer-bin-ich-ueber-sie-zu-…