"Wir dürfen aus Gott kein strafendes Monstrum machen"

 

04.02.2010, Franz Gruber

Der Linzer Dogmatiker Franz Gruber zu den Aspekten der biblischen Rede vom "strafenden Gott" und warum sie nicht zur Erklärung von Naturkatastrophen herangezogen werden darf.

04.02.10 (KAP-ID) Auf die Problematik der Rede von einem "strafenden Gott" hat die jüngste Aufregung um Aussagen des Windischgarstener Pfarrers Gerhard Maria Wagner zur Erdbebenkatastrophe in Haiti ein Schlaglicht geworfen. Die Pressestelle der Diözese Linz erinnerte dabei an ein Interview, das der Linzer Dogmatiker Prof. Franz Gruber vor einem Jahr der "Linzer Kirchenzeitung" (9/2009) dazu gegeben hat.

Gruber betont darin, die Aussage "Gott straft dich!" gehöre "zu den am meisten missbrauchten Formen der Gottesrede". Sie sei immer wieder in der christlichen Erziehung und Katechese eingesetzt worden und habe "das christliche Gottesbild furchtbar entstellt". Anstatt beim Wort "Gott" unbedingtes Vertrauen und Hoffen zu empfinden, löse es Angst und Schrecken aus. Andererseits sei Gott aber auch "die Macht der Gerechtigkeit". Die Rede von einer "Strafe Gottes" sei daher oftmals "ein Hilferuf der Opfer, die keine Gerechtigkeit mehr erfahren". Die Furcht vor strafenden Göttern "ist sicher eine Urangst des Menschen. Wir finden sie darum auch in allen Religionen", so Gruber weiter. In den überlieferten religiösen Weltbildern habe es ja noch kaum ein Verständnis einer eigengesetzlichen Natur gegeben. "Alle Ereignisse wurden auf göttliche Handlungen zurückgeführt, gute wie böse, Gesundheit und Krankheit, Sieg oder Niederlage im Krieg sowie Dürre oder Überflutungen", hält Gruber fest.

Auch die Bibel enthalte viele Texte und Erzählungen, in denen Gott in Zusammenhang mit Strafe gesehen wird, "und sie gehören zu den schwierigsten Themen der Theologie", so der Dogmatiker. Das Alte Testament bekenne Gott als Schöpfer und darum als die letzte Macht über allem Geschehen. Doch diese Schöpfung "ist auch eine gebrochene: darum das Leid, der Schmerz, der Tod". Einerseits gelte für das Alte Testament der "Tun-Ergehen"-Zusammenhang, die Überzeugung: Wer gegen die Gesetze des Lebens lebt, auf den fällt sein Handeln zurück. Gruber weiter: "Andererseits ist Gott die Macht der Gerechtigkeit: Er hat am Bösen kein Gefallen. Er zieht die Täter zur Rechenschaft, und gerade in den Psalmen wird Gott oft als Instanz angerufen, er möge doch endlich eingreifen, auch strafen, damit den Übeltätern das Handwerk gelegt wird. 'Strafe Gottes' ist hier oftmals ein Hilferuf der Opfer, die keine Gerechtigkeit mehr erfahren."

Doch der "Tun-Ergehen"-Zusammenhang reiche auch im Alten Testament nicht als Erklärung für das Leid, es gibt "Kontrastgeschichten, die das Tun-Ergehen-Schema sprengen", hebt Gruber hervor. Das Buch Hiob sei das herausragende Beispiel, es sei mit der Frage "Woher und warum das Leid?" nicht zufällig zu einem - bis heute ungebrochen aktuellen - Stück Weltliteratur geworden. Gruber: "Hiob erleidet alles, was einem zustoßen kann. Ein Unglück jagt das andere, bis er schließlich seine Familie verliert. Seine Freunde meinen, er werde von Gott gestraft, weil er gesündigt hat. Gott weist diese Spekulationen aufs Schärfste zurück."

Allerdings bekomme auch Hiob keine Antwort auf seine Frage nach dem "Warum?"; doch anerkenne Gott Hiobs Treue und seinen Weg des Klagens und Bittens. "Das heißt: Die Bibel lehrt uns hier, nicht mit Schuldzuweisungen oder Strafandrohungen zu kommen, sondern im Leid vor Gott zu klagen und zu bitten, einander zu helfen und zu stützen", betont der Theologe.

Gott ist Freund des Lebens

Aus christlicher Sicht "hat uns Jesus einen neuen Zugang zu Gott erschlossen". Im Johannesevangelium (9,1-12) weise Jesus zum Beispiel jeden Versuch zurück, das Leid eines Blindgeborenen mit dessen Sünde oder der Sünde seiner Eltern zu erklären. Gruber: "Er lehnt es ab, Krankheit als Strafe Gottes zu deuten. Dem stellt Jesus sein heilendes Tun gegenüber: Wenn er den Blinden heilt, dann ist das für Jesus ein Offenbarungszeichen des Wirkens Gottes. Nicht das Unglück - dass der Mann blind ist, ist ein Zeichen für die Macht Gottes, sondern dass er geheilt wird."

Jesus drehe das Vorzeichen um und lehrt einen neuen Blick auf Gott. Er ermutige, "Gott in den heilenden Ereignissen des Lebens zu entdecken, und in den tragischen, wie in der Geschichte vom umgestürzten Turm, der 18 Leute erschlug (Lukas 13,4-5), sich zu besinnen und für die eigene Umkehr zu öffnen". Das Neue Testament bekräftige, was schon im Alten gilt: "Gott ist ein Freund des Lebens, er ist eine unbedingt gute und menschenfreundliche Macht (Titus 3,4)."

Im Fall von Naturkatastrophen haben - wie Gruber erläutert - die Entdeckungen aus Geologie, Biologie, Astronomie und Chemie in den vergangenen drei Jahrhunderten zu der Einsicht geführt, dass Naturkatastrophen nicht durch übernatürliche göttliche Eingriffe, sondern durch die Naturgesetze verursacht sind. Gruber: "Naturkatastrophen sind physikalische Phänomene, die wir naturwissenschaftlich erklären können. Sie sind nicht unmittelbar auf das moralische Handeln von uns Menschen zurückzuführen, auch wenn es indirekt der Fall sein kann, was wir am Klimawandel beispielsweise sehen. Biologisch gesprochen: Der Preis des Lebens auf der Erde sind die evolutionären Gesetzmäßigkeiten, zu denen leider auch Tod und Katastrophen gehören."

Aussagen der Bibel zu Naturkatastrophen sind keine naturwissenschaftlichen Sätze, sondern "Sinndeutungen des menschlichen Lebens", wie der Theologe betont: "Wir sind Lebewesen, die zum Leben und Überleben Sinnerfahrungen brauchen. Bei persönlichen oder kollektiven Leidkatastrophen geraten wir an absolute Grenzen und stürzen in Verzweiflung. Wir können dann nicht mehr einfach von Gott als dem reden, der alles gut gemacht hat. Die Welt zeigt uns täglich diese Kehrseite der Schöpfung."

Die Antwort der Bibel sei "das Versprechen Gottes, dass er auch im Dunkel des Lebens gegenwärtig ist". Wer stattdessen anfange, wieder vor-neuzeitlich von Gott als Strafendem zu sprechen, "der macht - wie Gruber warnt - "aus Gott ein Monstrum: Denn dieser Gott will, dass Abertausende unschuldige Menschen vernichtet werden, weil er ein paar Menschen für ihre Sünden straft. Ein solches Gottesverständnis steht nicht auf dem Boden der Bibel und ist blanker Zynismus gegenüber den Opfern und Überlebenden solcher Katastrophen. Wir dürfen als Theologen oder Erzieher/innen nicht mehr der Versuchung erliegen, Gott an die Stelle unserer Gefühle der Wut oder an die Stelle der Erziehung oder Welterklärung einzusetzen."

aus www.kathpress.at KATHPRESS-Infodienst Nr.404, 4. Februar 2010, Seite 4