Hindert sie nicht!

Harald Prinz; 29.9.2024

Predigt von Dr. Harald Prinz in der Pfarrkirche Kronstorf, OÖ, am 29.9.2024, dem 26. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).

Lesung aus dem Buch Numeri (Num 11,25-29):
In jenen Tagen kam der Herr in der Wolke herab und redete mit Mose. Er nahm etwas von dem Geist, der auf ihm ruhte, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Sobald der Geist auf ihnen ruhte, redeten sie prophetisch. Danach aber nicht mehr. Zwei Männer aber waren im Lager geblieben; der eine hieß Eldad, der andere Medad. Auch über sie kam der Geist. Sie gehörten zu den Aufgezeichneten, waren aber nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen. Auch sie redeten prophetisch im Lager. Ein junger Mann lief zu Mose und berichtete ihm: Eldad und Medad sind im Lager zu Propheten geworden. Da ergriff Jósua, der Sohn Nuns, der von Jugend an der Diener des Mose gewesen war, das Wort und sagte: Mose, mein Herr, hindere sie daran! Doch Mose sagte zu ihm: Willst du dich für mich ereifern? Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!

Evangelium nach Markus (Mk 9, 38-40):
In jener Zeit sagte Johannes, einer der Zwölf, zu Jesus: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt. Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.

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Liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen!
Die heutigen Bibeltexte sind – so scheint mir –direkt ein Wink Gottes für die Kirche unserer Zeit. Denn es geht darin um die Eitelkeiten derer, die in der Glaubensgemeinde den engsten Kreis bilden und die daher üblicherweise das Wort führen oder die Handlungen setzen. Ihnen soll das Privileg erhalten bleiben, die einzigen zu sein, die solches dürfen, und alle anderen sollen draußen bleiben aus diesem Kreis der Erwählten und sollen schweigen im religiösen Reden und nichts Besonderes tun im Ritual des Religiösen.

Genau das war das Anliegen Josuas, als er zu Mose sagte „Herr, hindere die anderen daran, prophetisch zu reden!“ und nicht anders ist das Anliegen des Apostels Johannes zu verstehen, als er versuchte, einen Nicht-Apostel daran zu hindern, im Namen Jesu Dämonen auszutreiben. „Das geht doch nicht, dass andere das jetzt auch tun, das ist doch unsere Bestimmung!“, scheinen sie sagen zu wollen. Wie überrascht aber werden sie gewesen sein, als sie vernehmen mussten, dass es nicht nur doch geht, sondern dass es sogar gut ist, wenn es geschieht. „Hindert niemanden daran“, sagt Jesus und Mose sagt auf die Vorhaltung des Josua gar „Wie froh wäre ich, wenn das ganze Volk zu Propheten würde, wenn der Herr seinen Geist auf alle legen würde.“

Und doch, liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen, hat unsere Kirche trotz dieser Eindeutigkeit noch nicht wirklich verstanden, was Mose und Jesus hier sagen wollen, nämlich, was sie auch uns als Kirche heute sagen wollen. Stehen wir in unserer Zeit und in unserer Kirche nicht in einer durchaus vergleichbaren Situation? Gab es da nicht über viele Jahrhunderte die Klasse der Priester als innersten Kreis derer, die gewisse religiöse Riten vollziehen durften, Sätze sagen durften, die anderen verboten waren?! Und mit wie viel Eifer wachte die Kirche lange Zeit darüber, dass sich nur ja niemand erdreistete, etwas Priesterliches zu tun, etwas Priesterliches zu sagen, obwohl wir als Christinnen und Christen durch die Taufe doch alle Anteil am gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen haben?! Erst in der jüngsten Zeit und – seien wir ehrlich: erst in der Zeit des aktuellen Priestermangels – hat die Kirche mancherorts umzudenken gelernt, hat sie in der Spur des Zweiten Vatikanischen Konzils die uralte Tradition des allgemeinen Priestertums neu entdeckt und erst dadurch wurde es möglich, dass am Sonntag nicht ein geweihter Priester vorn am Altar steht, sondern einfach ein getaufter Christ, der versucht, seinen Glauben ernst zu nehmen und Gott und der Gemeinde einen Dienst zu tun. Ein Beispiel dafür bin ich, liebe Mitchristinnen und liebe Mitchristen, ein Beispiel dafür sind wir heute hier in Kronstorf.

Immer noch aber gibt es die leidige Frage, die schon aus den Worten Josuas im Alten Testament und aus den Worten des Johannes im Neuen Testament klingt: Darf der das überhaupt? Erst vor ein paar Tagen wurde mir wieder die Frage zugetragen „Darf es in einer Wortgottesfeier überhaupt ein Gloria geben?“ und ich erinnere mich an meine ersten Gottesdienste, die ich in einer deutschsprachigen Gemeinde in Rumänien gefeiert habe, wo mir die dortige Klosterschwester, mit der ich viel und gut zusammengearbeitet habe, einen Liturgiebehelf der deutschen Bischöfe zeigte, in dem ich zu dieser Frage lesen konnte, dass das gesungene Gloria – Sie kennen das bestimmt: Gloria in excelsis deo – ausschließlich ein Priester vortragen darf. Wie sehr hat es mich damals gejuckt, es genau deshalb erst recht zu singen! Aber es geht nicht um Protest, es geht nicht um Dagegenhalten, sondern es geht um die Grundfrage.

Die Grundfrage ist wichtig: Was darf jemand? Darf jemand Einfacher aus der Gemeinde das Gloria anstimmen, den Lobpreis Gottes, oder soll das nur ein Priester machen? Darf jemand Einfacher aus der Gemeinde eine Predigt halten und den anderen Christinnen und Christen mitteilen, wie er oder sie den Glauben mit dem Leben in Berührung bringt, oder soll auch das nur ein Priester tun? Darf jemand Einfacher aus der Gemeinde segnen – Menschen segnen und ihnen die Liebe Gottes zusagen, oder Wasser segnen und durch Gebet und Glaube aus Wasser Weihwasser machen? Oder darf auch das nur der Priester tun? – Mit Mose können wir antworten „Wie gut wäre es, wenn ALLE sich dazu berufen fühlten“ und mit Jesus müssen wir sagen „Hindert niemanden daran!“, obgleich wir freilich wissen, dass nicht jeder alles kann, dass nicht jede zu allem berufen ist. Die Lehre des Apostels Paulus von der Vielfalt der Gnadengaben und der Verschiedenartigkeit der Talente kommt da ins Spiel: Jede soll das tun, was sie kann, jeder soll den Dienst verrichten, zu dem er geeignet ist. Und da darf ́s denn dann auch ein wenig Vertrauen in Gottes Schöpfung geben: Nicht menschliche Kategorien wie Klassen oder Kastensysteme sollen darüber entscheiden, wer was tun darf und tun soll, sondern die Fähigkeiten und Talente, wie Gott sie verteilt hat, sollen darüber entscheiden! Dahin müssen wir zurückkommen als Kirche Jesu und das ist nichts weniger als eine Frage des Ernstnehmens der christlichen Botschaft.

Im Lauf der Jahrhunderte haben wir es uns anders angewöhnt, haben wir eine hauptberufliche Priesterklasse ausgebildet, und es war vielleicht auch ganz bequem so für den durchschnittlichen Christen und die durchschnittliche Christin: Man konnte diese Aufgaben dadurch getrost den Priestern überlassen. Aber zunehmend entdecken wir heute, dass damit auch etwas verlorengegangen ist vom Schatz unserer Kirche und dass wir neu anfangen müssen, unser gottesdienstliches Gemeindeleben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Und letztlich ist das ja auch eine Überlebensfrage unserer christlichen Gemeinden, zumindest in jener Form, wie wir sie heute haben. Denn was tun wir denn sonst angesichts des Priestermangels, in der die bequeme Versorgung von früher nicht mehr möglich ist?! Was tun wir sonst, wenn wir nicht selbst gestaltend aktiv werden? - Dass ich heute hier bei Ihnen in Kronstorf sein kann, ist nur möglich, weil gerade jetzt in St. Laurenz das Erntedankfest dort von einer ehrenamtlichen Gottesdienstleiterin aus der Gemeinde geleitet wird.

Und das ist kein Einzelfall. Vor wenigen Tagen erst erzählte mir eine andere Gottesdienstleiterin von St. Laurenz, dass sie dringend aus einer weiteren Nachbargemeinde angefragt wurde, ob sie nicht dorthin kommen könnte, den Sonntagsgottesdienst zu leiten, weil es keinen Priester für den Sonntag gäbe. Sie hat zugesagt und es ist gut so. Mit Mose dürfen wir sagen „Wie gut wäre es, wenn das ganze Volk Gottes in solchen Dienst eintreten würde!“ Und mit Jesus müssen wir sagen: „Hindert sie nicht daran!“