Klaus Mertes: Der Weggelobte

ZEIT-ONLINE veröffentlicht am 15. November 2012,07:00 Uhr, ein Interview mit Pater Klaus Mertes SJ. Er machte einen der größten Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche öffentlich. Diese schickte ihn in den Schwarzwald. Ein Besuch im Exil von Ilka Piepgras

Als Klaus Mertes im Frühjahr den Bürgerpreis der SPD entgegennahm, blitzte ein kleines silbernes Kreuz am Revers seines Anzugs. Es hatte die Größe eines Manschettenknopfes und war kaum zu sehen. Der Jesuitenpater hatte das minimalistischste Symbol gewählt, das ihm als Verweis auf sein Priesteramt zur Verfügung steht. Man musste genau hinschauen, um ihn als Mann der Kirche zu erkennen. Mit dem Preis zeichnet die SPD Zivilcourage aus und Skepsis gegen jede Art von Obrigkeit. Parteichef Gabriel pries in seiner Laudatio den Mut, mit dem der Jesuitenpater und Rektor Anfang 2010 sexuellen Missbrauch in seiner Schule, dem Berliner Canisius-Kolleg, öffentlich gemacht hatte : »Er hat Verantwortung für jahrelanges Schweigen und Vertuschen übernommen.« Dann trat Mertes in der Parteizentrale ans Rednerpult. Für ihn sei dieser Preis wie ein Stück Brot auf einer langen Wanderung, die noch lange nicht zu Ende sei. Der 58-Jährige ist ein hervorragender Redner, er sprach frei und leidenschaftlich. Am Ende seiner Ansprache hob er die Stimme. »Was ist los bei uns im Land, wenn das Selbstverständliche gepriesen werden muss?«, rief er. »Und was ist los in der katholischen Kirche, wenn das Nestbeschmutzung genannt wird?« Die Gäste klatschten begeistert. Viele katholische Laienfunktionäre waren gekommen, auch Schüler und Eltern des Kollegs, das Mertes bis zum Sommer letzten Jahres geleitet hat. Richard von Weizsäcker war da. Sogar einige der ehemaligen Schüler, die sexuell missbraucht worden waren, zollten Mertes Respekt. Vom Erzbistum Berlin kam niemand. Kein Kirchenfunktionär klatschte ihm Beifall, keiner hörte ihm zu.

Vergangenen Herbst ist Klaus Mertes von Berlin nach St. Blasien gezogen, in ein schattiges Tal im Schwarzwald, wo man hinter jeder Wegbiegung gegen eine Felswand läuft. Dort hat ihn sein Orden zum Leiter des Jesuitenkollegs ernannt. Ursprünglich habe man ihn für eine andere Position im Orden vorgesehen gehabt, heißt es. Er war als Provinzial im Gespräch – als Oberster der rund 450 Jesuiten in Deutschland. Doch dann machte er im Januar 2010 Hunderte Fälle sexuellen Missbrauchs von Schülern durch zwei Patres am Canisius-Kolleg öffentlich. Der Brief, in dem er ehemalige Schüler aus den siebziger und achtziger Jahren aufforderte, ihm über ihre Erfahrungen zu berichten, löste im ganzen Land eine Aufklärungswelle aus. Inzwischen hat die Deutsche Bischofskonferenz den Opfern eine Entschädigung von je 5000 Euro angeboten . Die Täter können strafrechtlich nicht mehr belangt werden, die Fälle sind verjährt. Beide haben den Orden Ende der achtziger Jahre verlassen.

Die Enthüllungen zeigten, wie sehr die Kirche durch jahrelanges Schweigen ihre Täter schützte. Nicht einmal die Selbstanzeige eines Paters war zum Anlass genommen worden, einzuschreiten und die Schüler vor weiteren Übergriffen zu bewahren. Indem er solche Vorgänge nicht wie bisher intern regelte, sondern vor aller Welt zum Thema machte, brach Mertes ein Tabu. Mit seiner Entschiedenheit hat er es geschafft, diese 2000 Jahre alte Institution aufzurütteln, wie es lange niemandem gelungen ist. Nach weltlichen Maßstäben hat er das Zeug zum Volkshelden. Aus der Perspektive der Kirchenhierarchie ist er ein Rebell. Einer, den sie jetzt in den Wald geschickt haben, nach St. Blasien. Zufall? Absicht? Und wie sieht es Mertes selbst?

Nackte Granitwände umrahmen das Schwarzwaldstädtchen, goldglänzend ragt die Kuppel des Domes aus dem Kurort. Das Kolleg ist in einer ehemaligen Benediktinerabtei untergebracht. Im Treppenhaus des Hauptgebäudes riecht es nach Bohnerwachs und Gemüseeintopf. Im geräumigen Büro des Kollegsdirektors hängen abstrakte Kunst und eine Kuckucksuhr. Bücher über Pädagogik und Religion liegen herum, ein Messbuch ist aufgeschlagen. Ein paar Jungs spielen Fußball im Hof. »Ich kann nicht bestätigen, dass ich höher in die Ordensleitung aufgestiegen wäre. Es hätte sein können. Hätte aber auch sein können, dass ich in die Priesterausbildung gegangen wäre oder auf einen Posten in Rom«, beantwortet Mertes die Frage, wie seine Karriere wohl verlaufen wäre, hätte er nicht die Kirche in Aufruhr versetzt.

Nicht, dass der Pater all die Jahre zuvor konform gewesen wäre. Immer wieder hat er Reizthemen besetzt, hat beispielsweise an seiner Schule Kinder aufgenommen, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben. Oder Mitbrüder darin unterstützt, der Kirche ihre Homosexualität zu offenbaren. Als der Papst die ultrakonservative Piusbruderschaft wieder in die Kirche aufnahm, erklärte Mertes in seiner Predigt, warum er das für einen großen Fehler hielt. Mit solchen Aktionen hat er sich Feinde gemacht. Katholische Fundamentalisten setzen das Wort »Aufklärer« im Zusammenhang mit Mertes gern distanzierend in Anführungszeichen oder bezeichnen ihn spöttisch als »modernistischen Geistlichen«. Ihm gehe es darum, eine »Propaganda-Lawine gegen die eigene Kirche loszutreten, um diese dann erfolgreicher mit seinen progressistischen Forderungen behelligen zu können«, beziehungsweise »sich als Medienstar feiern zu lassen« – so zwei typische Kommentare aus dem extremistischen Internetportal kreuz.net.

Mertes’ Kritiker bevorzugen die schriftliche Form, konfrontiert wird er selten. Man straft den unbequemen Kirchenmann indirekt ab. So lud ihn seine Diözese beim Papstbesuch vorigen Herbst zur offiziellen Begegnung mit Kirchenleuten im Freiburger Konzerthaus gar nicht erst ein. Mertes besuchte dann die heilige Messe auf dem Flughafengelände auf eigene Faust. Als er da auf dem Feld gestanden habe, erinnert er sich, habe ihn jemand gefragt, ob er Pater Mertes sei. Dann habe der Fremde ausgespuckt und sei weitergegangen. Es bleibt offen, wofür der Mann ihn verabscheut. Assoziiert er ihn mit den Missbrauchstätern? Verachtet er ihn als Nestbeschmutzer? Mertes hat sich auf beiden Seiten angreifbar gemacht, drinnen und draußen. »Weil ich die Täterseite repräsentiere und mich dazu bekenne, bin ich auch eine Projektionsfläche für Kirchenhasser«, sagt er. Er klingt nicht bitter dabei.

Klaus Mertes besitzt Qualitäten, mit denen man es in der Welt ganz nach oben bringen kann: Er ist klug, eloquent, beharrlich, entschlossen. Auf manche wirkt er einschüchternd und ein bisschen überheblich. Er bewegt sich schnell, seine Schritte holen weit aus, nicht jeder kann ihm folgen. Seine Ziele verfolgt er kompromisslos. Mehrfach benutzt er im Gespräch die Formulierung, jemand könne ihm den Buckel runterrutschen, zum Beispiel wenn die Rede auf »turbokatholische Eltern« kommt, die sich etwa an seiner liberalen Position zu Verhütungsmitteln stoßen. Es kommt vor, dass der Schulleiter solchen Eltern sagt, sie könnten ihn gern beim Heiligen Vater anzeigen. Und sich vermutlich denkt: Rutsch mir den Buckel runter.

Man kann sich gut vorstellen, dass so einer seine Vorgesetzten permanent reizt. Gefragt, ob die Kirche ihn abstrafe, lacht Mertes und sagt: »Taktvoll ausgedrückt würde ich sagen: Die Kirche könnte mich für ihre Öffentlichkeitsarbeit viel besser nutzen.«

»Aber niemand tut es. Weil Sie zu unbequem sind? Zu unberechenbar?«

»Das müssen die mir schon selbst sagen.«

»Es spricht aber keiner mit Ihnen, oder?«

»Nee.«

Missbilligung erfahre er allenfalls auf Umwegen, sagt er. Etwa wenn ein örtlicher Pfarrer ihn von einer Veranstaltung wieder ausladen müsse, nachdem die Bistumsleitung gegen seine Teilnahme interveniert habe. Oder als die Bischofskonferenz die Entscheidung eines kirchlichen Verbandes abgelehnt habe, ihn als geistlichen Berater anzuheuern.

Im Jahr 2010, als die Missbrauchsfälle öffentlich wurden, traten 180.000 Katholiken aus der Kirche aus . Das waren 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Nicht erst jetzt spricht man von einer Kirchenkrise – schon seit gut 30 Jahren driften die alltäglichen Anforderungen an Geistliche und die Kirchendoktrin immer weiter auseinander. Alarmiert durch die Austrittswelle, sucht die Deutsche Bischofskonferenz nun den Dialog mit ihren Gläubigen. Den Auftakt bildete letztes Jahr ein Kongress in Mannheim, wo 300 Entsandte aus Diözesen, Orden und Hochschulen miteinander diskutierten. Doch ausgerechnet der Mann, der den Missbrauch offengelegt hat, wurde vom Dialog ausgeschlossen. Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, wirkt genervt, wenn man ihn nach den Gründen fragt. »Mannheim war die Auftaktveranstaltung eines auf vier Jahre angelegten Dialogprozesses. Es ging bei dem Kongress nicht um das Thema Missbrauch«, sagt er. »Es gibt Tausende von Leuten, die man einladen kann«, setzt er unwirsch hinzu. Auch zur »Internationalen Konferenz über sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in der katholischen Kirche« letztes Jahr in Rom war Mertes nicht geladen. Was bedeutet das für ihn? Er zögert, bevor er antwortet. »Erstens sage ich dazu nur etwas, wenn ich gefragt werde. Ich möchte kein Schimpfer werden. Einer, der sich dauernd mit seinen Kränkungen beschäftigt. Obwohl natürlich manches kränkend ist, was ich gerade erlebe.«

Warum er angesichts dieser Erfahrungen noch katholisch ist? »Die Kirche ist für mich viel weniger als früher Selbstzweck geworden. Sie ist das Volk Gottes. Den Katholizismus mit einem sehr engen Loyalitätsverständnis gegenüber Hierarchien kann ich nicht teilen.«

»Man hat den Eindruck, Sie sind in Ihrer Spiritualität bestärkt worden.«

»Ich bin frömmer geworden. Ich bete mehr.«

»Warum sind Sie Christ?«

»Weil mich das Evangelium anzieht, weil es mir vor allem um die Frage nach Gott geht.«

Klaus Mertes bezeichnet sich selbst als klassisch katholisch und konservativ. Den tieferen Grund für die Unbeweglichkeit der Kirche vermutet er in einem »falschen Traditionsverständnis«, das vor allem an Sicherheitsdenken orientiert sei – für ihn »zutiefst areligiös«. Er selbst, davon ist er überzeugt, handle ganz im Interesse der Kirche und ihrer christlichen Botschaft. Umso mehr schmerzen ihn die Unterstellungen. »Diejenigen, die mir Nestbeschmutzung vorwerfen, sehen ja meine Loyalität mit der Kirche gar nicht. Wenn das aus der Hierarchie kommt, ist es bitter und tut weh.« Dennoch empfindet er den Missbrauchskongress in Rom als »Sensation«, weil sich dort erste Lücken in der Wagenburgmentalität der Kirche gezeigt hätten. Eine Frau, die vor Jahren von einem katholischen Priester missbraucht worden war, erzählte ihre Leidensgeschichte – und über 100 Bischöfe mussten zuhören. So viel Offenheit gab es vorher nicht. Und trotzdem wird einer wie Mertes geschnitten.

Sucht man bei Kirchenleuten nach Erklärungen für die Sprachlosigkeit, erhält man ausweichende Antworten. Vom »jahrhundertealten Beichtgeheimnis« ist dann die Rede, vom Wert »klösterlichen Schweigens«. Als seien Mertes’ Kreuzzug für Transparenz und die Überdiskretion der Institution unvereinbare Gegensätze. Einer, der nicht namentlich zitiert werden will, sagt: »Wir leiden in der Kirche an der überproportionalen Wahrnehmung prominenter Gestalten.« Wer wie Mertes draußen in der Welt Popularität genießt, macht sich der Eitelkeit verdächtig.

Bis heute hat niemand aus der Kirchenhierarchie den Dialog mit Klaus Mertes gesucht. Lediglich der Wiener Kardinal Schönborn lud ihn im Oktober 2010 in den Stephansdom ein, um vor 1500 Mitgliedern der Diözese über seine Erfahrungen mit dem Missbrauchsskandal zu sprechen. Heißt das, im Umgang mit Dissidenten führt die Kirchenleitung einfach ihre jahrhundertealte Praxis fort, Unangenehmes hinter verschlossenen Türen zu verhandeln? Wie ernst ist es ihr tatsächlich mit Reformen? Mertes springt an diesem Punkt des Gesprächs auf und läuft zum Schreibtisch. Er sucht am Computer nach einem Interview mit einem Bischof, in dem unterstellt wird, interne Kirchenkritiker hätten gar kein echtes Interesse am Dialog mit der Führung, sondern äußerten Kritik vorzugsweise über die Öffentlichkeit. »Denunziatorische Fragesteller und ängstliche Bischöfe!«, ruft Mertes hinterm Bildschirm hervor. »Das ist erschütternd! In katholischen Medien darf inzwischen widerspruchslos behauptet werden, der Missbrauchsskandal werde von Jesuiten und einigen deutschen Bischöfen schamlos dazu ausgenutzt, eine kirchenpolitische Reformagenda durchzusetzen.« In seiner Wahrnehmung ist das Klima innerhalb der bedrängten Kirche dabei, in Aggressivität zu kippen. »Der Hass auf Bischöfe, die wirklich zuhören und sich dann nachdenkliche Fragen stellen, wird größer.«

Klaus Mertes ist keiner, der sich als »Kirchenkritiker« in Talkshows setzt. Öffentlich redet er nur, wenn er dazu aufgefordert wird. Eine Initiative wie die in Österreich, wo einige Hundert Priester einen viel beachteten »Aufruf zum Ungehorsam« formuliert haben, würde er weder gründen noch führen. Die österreichischen Reformer sind durchschnittlich 60 Jahre alt, also keine jungen Wilden. Sie haben öffentlich erklärt, in ihren Gemeinden künftig niemandem die heilige Kommunion zu verweigern – nicht den geschiedenen Wiederverheirateten, nicht den Mitgliedern anderer Kirchen. Wut und Verzweiflung müssen groß sein, wenn jemand seine über Jahrzehnte eingeübte Folgsamkeit so demonstrativ überwindet.

Mertes ist ein leiser Mensch, kein Aufwiegler. Seine Grundhaltung ist eine religiöse und damit eine betrachtende. Jeden Abend vor dem Schlafengehen frage er sich: Was hat mich heute erfreut? Was hat mich bewegt, was bringt Erkenntnis? Bei den Jesuiten heißt das »Übung der Dankbarkeit« oder »geistliches Tagebuch«. Seit Januar 2010 hat er über 400 Seiten notiert. Die wertet er jetzt aus. »Emotional am anstrengendsten sind die Berichte der Opfer. Zu hören, was Vertrauensmissbrauch bei Menschen anrichtet – im Vergleich dazu ist das gegenwärtige Imageproblem der Kirche ein Witz.«

Mertes hält die Kirchenkrise für eine Prüfung, an der die Institution gewaltig wachsen kann. Eine Probe, ob sie ihre eigene Botschaft tatsächlich glaubt: »dass Gott zur Kirche steht, auch dann, wenn sie Sünderin ist«. In Reformen übersetzt hieße das: »Mehr Fähigkeit zur Selbstkritik und weniger Pomp. Die Überwindung des Zentralismus. Und dass Katholiken, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, keine Angst vor Diskriminierung haben müssen.«

Es klopft. In der Tür stehen ein Teenager und seine Mutter. Der Junge blickt verlegen zu Boden. Mertes zieht sich zum Bewerbungsgespräch mit den beiden zurück. Eigentlich möchte ihr Sohn die Schule gar nicht wechseln, erzählt die Mutter später, es sei der Wunsch des Vaters, selbst ehemaliger Schüler des Kollegs. Er solle mal überlegen, wie schwer ihm ein späterer Wechsel fiele, wenn er erst eine Freundin habe, gibt Mertes dem Jungen mit auf den Weg.

Spätabends, nach einem Essen im Kreis einiger älterer Patres, setzt Mertes das Interview fort. Draußen ist es dunkel. Aus den offenen Fenstern der Schülerzimmer hört man Adele und Rihanna.

»Bedeutet Ihre neue Aufgabe einen Rückzug vom Rebellentum?«

Mertes lacht. »Ich bin ja noch nicht am Ende.«

»...aber hier im Schwarzwald!«

»Mir tut diese Umgebung gut. Als der Rummel vorbei war, bin ich in ein Loch gefallen. Ich wusste an manchen Tagen gar nicht, wie ich aufstehen und den Tag überstehen soll. Ich habe eine Erschöpfungsdepression hinter mir. Radikalität hin oder her – Selbstschutz hat Vorrang.«

»Ihr Amt als Kollegsdirektor in St. Blasien ist auf zehn Jahre angelegt. Das heißt, wenn Sie hier aufhören, sind Sie...«

»...66.«

»Dann ist das jetzt vermutlich Ihre letzte Position?«

»Ja.« Er stutzt. »Ja, ja. Aber ich werde ja nicht von der Bühne verschwinden.«

»Hier im Schwarzwald haben Sie kaum eine Bühne...«

»Ich finde, das ist ein guter Test: Ist das, was ich zu sagen habe, interessant, wenn ich in St. Blasien bin? Oder hängt das Interessantsein daran, dass ich in Berlin bin? Dann will ich nicht interessant sein.«

»Wie haben die vergangenen zweieinhalb Jahre Sie verändert?«

»Ich kann noch besser als früher mit Einsamkeit umgehen. Kann das Alleinsein des Lehrers gut aushalten und brauche immer weniger die narzisstische Bestätigung. Ich habe viel Eitelkeit hinter mir gelassen.«

Mertes sagt, er habe in seinem Orden viele Verbündete. Auch darüber hinaus, etwa im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Katholische Verbände hätten angefragt, ob er die geistliche Leitung übernehmen könne. »Das sind große Vertrauenssignale. Überhaupt gibt es immer mal wieder Bemerkungen, aus denen ich schließe, dass viele mich im Stillen unterstützen.«

Zum Abschied bringt er die Besucherin zur Hauptstraße. Vorbei am Dom, über den Fluss, die mächtige Felswand im Rücken. »Grüßen Sie Berlin!«, ruft er, dreht sich um und eilt zurück. Ein paar Wochen nach dem Interview kommt eine Initiative ins Rollen: Rund 200 Pfarrer üben öffentlich Ungehorsam , indem sie in ihren Gemeinden geschiedene Wiederverheiratete zur Kommunion zulassen. Sie kommen aus der Diözese Freiburg. Es sieht so aus, als sei Pater Mertes doch am richtigen Ort.

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